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Interview mit Lorenz Korgel
01.September 2019 | Beiträge – jüdisches berlin | Gesellschaft
Antisemitismusbeauftragter des Landes Berlin
Könnten Sie sich bitte für die Gemeindemitglieder, die Sie nicht kennen, kurz vorstellen?
Ich bin Politikwissenschaftler, 47 Jahre alt und arbeite seit 2008 für verschiedene Berliner Senatsverwaltungen. Aktuell leite ich in der Landesantidiskriminierungsstelle (LADS) der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung das Referat »Demokratieförderung und Prävention« und bin dort u.a. für die Koordination der Berliner Maßnahmen zur Prävention Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zuständig.
Welche Erfahrungen haben Sie bisher in der Bekämpfung von Antisemitismus, bzw. in der Antisemitismus-Prävention gemacht?
Zur Zeit meiner politischen Sozialisation in den 1980er Jahren wollten einige in der deutschen Öffentlichkeit, aber auch einige in meinem Umfeld gerne einen »Schlussstrich« unter die Vergangenheit des Nationalismus ziehen. In meiner Wahrnehmung wurde der Antisemitismus dabei selten offen kommuniziert, war aber immer »mit im Gepäck«. Damals hatte ich ein Gefühl der Hilflosigkeit, da sich beispielsweise eine meiner Großmütter von jeglicher Argumentation und Diskussion nicht beeindrucken ließ. Ich bekam erstmals einen Eindruck davon, dass Antisemitismus mehr als nur ein Ressentiment ist – es ist stattdessen ein Weltbild, welches sich nicht einfach einreißen lässt. Später habe ich dann doch versucht in der Erwachsenenbildung Argumente gegen Antisemitismus und Rassismus weiterzugeben. Seit 2008 bin ich für den Berliner Senat nun an der Vergabe von Projektmitteln zur Antisemitismusprävention beteiligt und hatte das Glück wegweisende Projekte wie z.B. die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin) bei ihrer Entstehung und Entwicklung begleiten zu dürfen.
Wo sehen Sie Defizite?
Wir haben in Berlin schon viel erreicht. Andere Bundesländer beneiden uns um unsere Präventionsprojekte und auch um die gute Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Trägern der Antisemitismusprävention und staatlichen Stellen. Gleichwohl habe ich auch das Gefühl, dass all dies noch nicht ausreicht. Es gibt noch einige Defizite aufzuarbeiten von denen ich hier nur wenige aufzählen kann: generell scheint es mir an einer Befassung mit Antisemitismus in seinen seit 1945 entstanden Erscheinungsformen zu mangeln. Dies führt dazu, dass beispielsweise im Bildungsbereich oft nicht angemessen auf israelbezogenen Antisemitismus reagiert wird. Deswegen ist es wichtig in die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften zu investieren, aber auch die Thematisierung von modernen Formen des Antisemitismus in der Schule zu ermöglichen. Wir müssen generell die gesellschaftliche Sensibilität für die Situation der Jüdinnen und Juden weiterentwickeln. Ich bemerke, dass der Einfluss des Antisemitismus auf das tägliche Leben der jüdischen Community unter nicht-jüdischen BerlinerInnen viel zu wenig wahrgenommen wird. Gleichzeitig wird jüdisches Leben nach meiner Wahrnehmung zu sehr auf die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Antisemitismus reduziert. Jüdisches Leben und jüdische Kultur sollten doch eigentlich als Normalität in unserem städtischen Alltag erkennbar sein, so ist es aber leider nicht. Ein weiteres Problem ist, dass zu oft über Antisemitismus gesprochen wird, ohne die jüdische Perspektive einzubeziehen. Wenn Jüdinnen und Juden Antisemitismus thematisieren, wird ihnen stattdessen eine Überempfindlichkeit vorgeworfen.
Welche Maßnahmen wollen Sie als erste angehen?
Ich habe keine Agenda mit der ich an die Öffentlichkeit gehe und sage: »So wird es gemacht!«. Ich führe zunächst viele Gespräche mit Vertretungen jüdischer Organisationen und Trägern der Antisemitismusprävention. Ich möchte zunächst verstehen, welche Probleme aus jüdischer Perspektive besonders vordringlich sind. Jenseits dessen gibt es selbstverständlich erste Projekte, die ich auch schon im Auftrag des Abgeordnetenhauses und des Berliner Senats angehe: Ich werde die »Berliner Landeskonzeption zur Weiterentwicklung der Antisemitismusprävention« begleiten und die Umsetzung überprüfen. Zudem möchte ich demnächst die Einsetzung einer Berliner ExpertInnenkommission zu Antisemitismus auf den Weg bringen. Ich setze mich außerdem dafür ein, dass von antisemitischen Attacken betroffene Menschen bald eine Anlaufstelle erhalten, die auf die Beratung nach antisemitischen Übergriffen spezialisiert ist. Es gibt viel, viel zu tun, glücklicherweise erhalte ich aus der LADS und der Justizverwaltung tatkräftige Unterstützung!
Wie wollen Sie die Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gestalten?
Ich hatte bereits ein Gespräch mit Herrn Dr. Joffe und bin ihm sehr dankbar für die freundliche Begegnung und die hilfreichen Hinweise. Wir haben vereinbart im Austausch zu bleiben. Ansonsten ist der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde mein Ansprechpartner im Alltag. Für den regelmäßigen Austausch mit Sigmount Königsberg bin ich sehr dankbar. Die Position der Jüdischen Gemeinde ist bei meinen Überlungen zu weiteren Handlungsschritten von zentraler Bedeutung.
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