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»In Verantwortung für den Anderen«
01.März 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur, Aktivitäten
60 Jahre »Woche der Brüderlichkeit« – auch in Berlin
»Wer einen Dialog führen möchte, muss auch Verbindendes und Trennendes klar benennen können«, schreibt Rabbiner Henry G. Brandt, der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschlands, in seinem Vorwort zu dem Lehr- und Lesebuch »Basiswissen Judentum«, das demnächst im Freiburger Herder-Verlag erscheint. Der jüdische Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit (DKR) setzt damit einen deutlichen Akzent gegen falsche Harmonie im Gespräch zwischen Christen und Juden.
Mitte März erlebt dieses institutionalisierte Gespräch mit der »Woche der Brüderlichkeit« seinen alljährlichen Höhepunkt. Die Auftaktveranstaltung findet dieses Jahr in Leipzig statt; ausgezeichnet wird der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Präses Nikolaus Schneider. Er wird am 11. März vom DKR unter anderem für seine deutliche »Absage an die Judenmission ohne Wenn und Aber« ausgezeichnet, die aus der Überzeugung erwachse, dass die Kirche nicht an die Stelle, sondern an die Seite des Gottesvolkes Israel getreten sei.
So weit, so gut. Nikolaus Schneider ist ein Name, den die meisten Deutschen gar nicht kennen. Ist also allein schon seine Wiederentdeckung der These, dass Juden nicht missioniert werden müssen, preiswürdig? Schneider hat dem DKR nach maßgeblichen Anteil an der Aktualisierung und Fortschreibung der bahnbrechenden Synodalerklärung der rheinischen Kirche von 1980 zur »Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden«. Warum aber ist denn die so sehr gewürdigte »Umkehr und Neugestaltung in den christlich-jüdischen Beziehungen in Gottesdienst, Verkündigung und Lehre« heute überhaupt noch nötig? Hat das über sechzig Jahre lange Wirken der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, das diesen Monat gefeiert wird, in den Kirchen wirklich so wenig Wirkung gezeigt?
»Wir bekennen uns zu Jesus Christus, dem Juden, der als Messias Israels der Retter der Welt ist und die Völker der Welt mit dem Volk Gottes verbindet«, hieß es 1980 in der Erklärung der Rheinischen Synode. Dieser Satz ließ aber außer Acht, dass jüdische Messiashoffnung eben nicht identisch ist mit dem Christusglauben der Christen. Papst Johannes Paul II. wurde da deutlicher: »In vollem Bewusstsein der zwischen ihnen bestehenden Bande wünscht jede Gemeinschaft, in ihrer eigenen Identität anerkannt und respektiert zu werden, außerhalb jeglichen Synkretismus und jeglicher zwielichtigen Appropriation«. Für Benedikt XVI. hingegen sind die Juden gerade nicht »unsere älteren Brüder«, sondern lediglich »Brüder aus dem jüdischen Volk, mit dem wir durch ein großes gemeinsames geistliches Erbe verbunden sind.« Das Vatikanische Staatssekretariat sprach 2008 von den Juden als dem »Stamm Abrahams« und setzte ihm das »Volk des Neuen Testaments« entgegen. Die Frage nach der Priorität ist hinfällig geworden. Die Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte durch Benedikt XVI. erscheint so als Bruch mit der nachkonziliaren katholischen Theologie – was damals gang- und denkbar war, muss demnächst zum 50. Jahrestags des Beginns des Zweiten Vaticanums neu diskutiert werden.
Was Ernst Ludwig Ehrlich (1921–2007) drei Jahre nach der Konzilserklärung über die Juden »Nostra aetate« resümierte, gilt für das interreligiöse Gespräch an sich: »Zahlreiche Fragen treten auf: Wer soll was unternehmen? Wozu können sogenannte ›Dialoge‹ führen? Wer kann Partner in den ›brüderlichen Gesprächen‹ sein? Müssen sich Priester nun auf die Jagd nach Rabbinern begeben (je orthodoxer, desto besser), um der Konzilsdeklaration in etwa Genüge zu tun? Von wem soll die Initiative ausgehen? Sind Mammutkonferenzen zu organisieren, auf denen Quantitäten von wohlmeinenden Katholiken und Juden sich versichern, wie sympathisch sie sich sind, und die Katholiken sich gegenseitig vergeben, was den Juden in Jahrhunderten angetan wurde? Oder aber ist die seelische Energie der Katholiken vielleicht mit der Konzilsdeklaration erschöpft, und es hätte damit sein Bewenden, und das katholische ›Soll‹ wäre nun erfüllt?« Auch der DKR darf sich nach 60 Jahren der »Woche der Brüderlichkeit« nicht mit dem Erreichten zufrieden geben. »Dieser seit Jahrzehnten angelaufene Diskurs bedarf der kontinuierlichen Pflege«, meint Rabbiner Andreas Nachama, »nicht Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit«.
Wenn man auf christlicher Seite das Gespräch mit dem Judentum oder die Begegnung mit Israel sucht, dann spricht man oft über eine abstrakte Größe, die nichts mit dem lebendigen Judentum in seiner ganzen Vielfalt, ja Widersprüchlichkeit zu tun hat. Wenn er von einem Erzbischof als »älterer Bruder« des Christentums begrüßt werde, fühle er sich »wie ein Dinosaurier, der eigentlich schon ausgestorben sein müsste«, sagt Rabbiner Walter Homolka, der Rektor des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam. Auch Papst Benedikt XVI. spreche in seinen jüngst erschienenen Jesus-Büchern mit großem Respekt von dem Judentum, sehe aber über Differenzen etwa in der Frage der Frauenordination oder der Ehescheidung hinweg, die sich aus unterschiedlichen Interpretationen der Heiligen Schrift ergeben. Dies wäre für Homolka ein lohnender Bereich für einen jüdisch-christlichen Dialog jenseits des Austausches von Höflichkeiten. Zu diskutieren wäre auch über das unterschiedliche Menschenbild, das schon Leo Baeck (1873–1956) angesprochen habe. Juden sähen den Menschen als Geschöpf und Abbild Gottes, als berufen zur Freiheit und somit fähig, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Hier gebe es eine Spannung mit der schon von Paulus betonten Erlösungsbedürftigkeit des Menschen und der später im kirchlichen Lehrgebäude verankerten Erbsündenlehre.
Zu den Asymmetrien im christlich-jüdischen Gespräch gehört auch die Einsicht, dass Jesus für Juden so gut wie keine Bedeutung hat. Warum sollten sich also etwa die erste und zweite Generation jüdische Zuwanderer in den Gemeinden, von denen ohnehin nur ein kleiner Teil ein religiöses Judentum praktiziert, überhaupt im Dialog mit Christen üben? In vielen der dreiundachtzig Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit fehlt es an engagierten jüdischen Mitgliedern. Um jüdische Partner für den Dialog gewinnen zu können, muss man auch dafür Sorge tragen, dass es in Deutschland eine theologische Ausbildung für sie gibt. Bislang haben sich nur die Bischöfe für eine Gleichstellung der jüdischen Theologie mit den christlichen Theologien und den islamischen Zentren an den deutschen Universitäten eingesetzt, nicht aber der DKR. Für die Zukunft, so Rabbiner Nachama, könne er sich vorstellen, »dass es nicht nur um Aufarbeitung gemeinsamer Geschichte und Durchdringung unterschiedlicher Begriffe in der jeweiligen Tradition geht, sondern vermehrt auch um gemeinsame Aufgaben, zum Beispiel beim Erhalt der Schöpfung.«
Hartmut Bomhoff
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