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»I’m a Jew and I’m proud«
30.Januar 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Jugend
Israelische Volontäre von »Lehawa« unterstützen die Jugendarbeit
Passauer Straße, fünf Zimmer, Küche, Bad. Es sieht ein bisschen aus wie in einer Jungs-WG. Doch wir sind beim Berliner Ableger von Lehawa, einer israelischen Freiwilligen-Gruppe, die sich seit bald zehn Jahren im Auftrag der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden vor allem um die Arbeit mit Jugendlichen kümmert. Repräsentiert wird Lehawa in Berlin zur Zeit von Eliyos Paz und Evyatar Aviad.
Gekommen sind die beiden jungen Männer über Bnei Akiva, eine Freiwilligen-Organisation, die Volontäre (Schlichim) in alle Welt vermittelt. Lehawa-Gruppen gibt es derzeit in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Köln und München. Die Freiwilligen bleiben jeweils ein Jahr. Die Hamburger betreuen den nördlichen Osten mit und die Berliner alle anderen Gemeinden im ehemaligen Osten. Eliyos und Evyatar kennen sich deshalb inzwischen in Dessau, Leipzig, Halle, Dresden und Chemnitz auch besser aus als manch Alt-Wessi.
In Berlin unterstützt sie Shmulik Beribes (der noch zur Jüdischen Oberschule geht) bei der Alltagsbewältigung; zwei Stunden Deutschkurs pro Woche sind eben doch etwas mager.
Wir unterhalten uns also auf Englisch und wollen zunächst wissen, wo die Jungs herkommen. Eliyos Eltern kommen aus Südafrika, die von Evyatar aus Marokko und den USA. Sie selbst wurden in Israel geboren und wohnten dort in derselben Siedlung – Mizpe Jericho – zwischen Jerusalem und dem Toten Meer. Aber es gibt noch mehr Ähnlichkeiten: beide sind 23, waren in einer Jeschiwa und anschließend bei der Armee, wollen nach ihrer Rückkehr als »Hiking guides» arbeiten und später studieren (was, das wissen sie noch nicht).
Und was wollen sie in Berlin machen? »Unser Ziel ist es, bei so vielen Menschen wie möglich das Bewusstsein für ihre jüdische Identität zu wecken und zweitens Multiplikatoren zu finden und anzuleiten, die vor Ort weiter für diese Ziele arbeiten«.
»Die jüdische Identität in der Jugend stärken« wollen die beiden. Ihre Waffen: Tora, Talmud, Gitarre, eine ordentliche Portion jugendlicher Enthusiasmus und noch mehr Ideale. Denn Lehawa ist religiös und zionistisch (»dati leumi«) orientiert, also einer Orthodoxie verpflichtet, deren Mitglieder »bewusst ein Teil des Staates Israel sein» wollen, wie Eliyos erklärt.
Und das ist mit einem Haufen Arbeit verbunden. Am nächsten Wochenende beispielsweise fahren die Volontäre wieder nach Frankfurt/Oder, um einen Kabbalat Schabbat für die Zuwanderergemeinde zu organisieren. Mit allem drum und dran – aus der Tora lesen, singen, Speisen zubereiten, den Kiddusch machen. Sie arbeiten also nicht nur mit Jugendlichen, sondern machen auch Menschen mit den Gepflogenheiten des Judentums vertraut, die sehr viel älter sind als sie selbst.
Berührungsängste scheinen die jungen selbstbewussten Männer beneidenswerter Weise nicht zu haben. Nach vier Monaten in Berlin haben sie jedenfalls gute Kontakte zum Jugendzentrum der Gemeinde, zu Am Echad von der Lauder Foundation und sind offen für alle(s), sagen sie. »Wir wollen Qualität, nicht Quantität«. Allerdings seien die Möglichkeiten begrenzt. Es fehle immer »money, money, money«; sie würden beispielsweise gern kleine preiswerte Machanot für die »Ost«-Gemeinden machen, zu denen auch Jugendliche fahren könnten, die kaum Geld haben.
Stattdessen wird viel improvisiert. Scheinbar auch im Lehawa-Quartier, mit den zusammengewürfelten Möbeln und den paar schiefen Plakaten an den Wänden. Ist das ihre erste eigene Wohnung? »Ja, darum sieht es auch so aus«, grinsen die Jungs. Doch sie waschen tapfer Wäsche, räumen auf und kochen selbst. (Evyatar gibt zu, dass er seine Mutter hin und wieder anruft, um sich ein Rezept für Houmus durchsagen zu lassen, oder sie gucken im Internet: Wie geht Hühnchen?)
Beide sind zum ersten Mal in Deutschland. Für Deutschland Freiwillige zu finden sei immer noch am schwierig-sten, sagen sie. Hier wolle keiner her, wegen der Geschichte. Aber sie wären an den Ort gegangen, wo man sie hingeschickt hätte.
Wie sie sich auf den Job vorbereitet haben? Nun, sie wären ja in der Jeschiwa und in der Armee gewesen, hätten viel gelesen und im Vorfeld auch einen Didaktik-Kurs besucht und ihre Kontakte hier, die hätten sie von ihren Vorgängern »geerbt«.
Und wie ist es so in Berlin? »Wir laufen mit Kippa und Zizit auf der Straße und sprechen Hebräisch«, sagt Eliyos. »Manchmal gucken uns die Leute dann komisch an oder reden über uns, Araber und auch Deutsche«. »Aber die meisten sind nett«, ergänzt Evyatar. Und was ist anders als in Israel? »Die Deutschen sind höflich ... sie drängeln nicht in der U-Bahn«, und das Nahverkehrsystem sei viel entwickelter als in Israel. Aber deswegen seien sie ja nicht hier. Also zurück zum Programm:
Dienstags, zählen sie weiter auf, gibt es bei Lehawa Unterricht zu interessanten Aspekten des Judentums von Kabbala bis Kaschrut, mittwochs einen Chug für 6- bis 14-Jährige, donnerstags besuchen sie die Jüdische Oberschule und machen in der großen Pause Programme mit den Schülern. Seit Januar haben sie donnerstags ab 19 Uhr auch einen »Coffeeshop« für Studenten (ohne Kekse). Und freitags dann ist Kabbalat Schabbat angesagt. Da kämen bis zu 40 Personen, etliche, manchmal ein Dutzend, schliefen dann »wegen Schabbat« sogar hier. Aha, deswegen also die vielen Betten. Wir dachten schon... Aber der Spruch »Ich wüsste schon, was ich machen würde, wenn ich Anfang 20 wäre, sturmfrei und ein Jahr Zeit hätte...« läuft ins Leere. »Wir haben Ideale. Andere gehen nach Indien, um sich eine gute Zeit zu machen, wir haben uns für das hier entschieden«.
Im Namen der jüdischen Identität erteilen sie also Hebräischunterricht, geben Bibelstunden für Kinder, organisieren Schiurim mit Gästen (wie Rafi von der Sochnut oder Lala Süsskind), spielen Theater und singen. Auf Evyatars Gitarre prankt ein »Ge’eh lehijot jehudi«. »Yes – ›I’m a Jew and I’m proud‹ – that is our slogan«, sagt einer der Jungs. Von Schlomo Artzi bis Bob Dylan, von romantisch bis kämpferisch haben sie alles drauf, einschließlich Mundharmonikaspielen. Und kaum sitzen sie da und fangen an zu klampfen, wird das Lehawa-Quartier auch schon urgemütlich.
Als wir zum Abschied noch eine Schüssel leckeren selbstgemachten Houmus in die Hand gedrückt bekommen, sind wir überzeugt, dass auch alles andere zur Stärkung der jüdischen Identität funktionieren wird.
Judith Kessler
_Lehawa: Passauer Straße 4,
U Wittenbergplatz, Tel. 23 62 46 16,
Evyatar: 0176-27676655,
Eliyos: 0176-82163168
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