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Humoristica Judaica
01.Februar 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur
Der Historiker und Sammler Jürgen Gottschalk hat seine einmalige Dokumentensammlung zum jüdischen Humor im Internet zugänglich gemacht
Sie nennen sich »Brennesseln«, der »Fidele Berliner«, »Zündnadeln«, »Börsiana«, »Travestien auf Schillers Gedichte in jüdischer Mundart« oder einfach nur »Jüdische Witze« – die Bücher und Buchtitel, die der Berliner Bibliophile Jürgen Gottschalk gesammelt hat. Seine Sammlung umfasst derzeit annähernd 1 000 Drucke und sonstige Realien unterschiedlichster Gattungen vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart zum Thema jüdischer Witz und Humor. Nun hat er einen Teil seiner wertvollen Sammlung, die hauptsächlich aus dem deutschsprachigen Raum stammt, in Form teilweise unikater Umschlag- und Titelblatt-Reproduktionen ins Internet gestellt. Damit sollen Interessierte zunächst einen visuellen Einstieg in das breitgefächerte Thema erhalten. Doch der Berliner Museologe will mehr und sieht sein Projekt als »work in progress«. Sukzessive wird er seine Objekte auch in den Zeitkontext einordnen und kommentieren. Am Ende soll ein komplettes Repertorium des Bestandes stehen. Doch Jürgen Gottschalk sammelt nicht nur jüdische Humor-Titel, sondern auch jüdische Autoren, die sich mit der Theorie von Witz und Humor befasst haben, sowie jüdische Theaterstücke, die als Parodien oder als Possen entstanden. Alles zusammen erweitert die Quellengrundlage für die Forschung – nicht nur zur Witz- und Karikaturenforschung, sondern auch zu Antisemitismus, Kulturtransfer oder Verlagsgeschichte.
Die Öffentlichmachung seiner Sammlung im Netz hat zudem das Ziel, auf die Thematik aufmerksam zu machen und weitere Mitstreiter zu gewinnen – Museologen, Archivare, Bibliothekare, Wissenschaftler –, die noch vergrabene Schätze bergen und am Thema weiterforschen.
Jürgen Gottschalk, früher Konservator der numismatischen Sammlung des Museums für Deutsche Geschichte, ist ein Kenner der Materie. Er hat bereits vor zwanzig Jahren damit begonnen, papierne Zeugnisse aller Art zum Thema »Jüdischer Humor« zusammenzutragen – wie der »Altvater« auf diesem Gebiet in den 1920ern, Alter Droyanov (1870–1938) und zuvor schon der Berliner jüdische Bibliophile Gotthilf Weisstein (1852–1907), der – wie Jürgen Gottschalk Jahrzehnte später – erster stellvertretender Vorsitzende des »Berliner Bibliophilen Abend e.V.« war. Gottschalk will Weissteins Projekt zur Geschichte des (unter anderem Berliner) jüdischen Humors weiter vorantreiben.
Das Terrain, auf dem Gottschalk sich bewegt, ist kompliziert. Es gibt fast keine Fachbibliographien zum Thema, was das Suchen und Finden erschwert. Bücher mit Witzthematik wurden als Trivial- und Gebrauchsliteratur oft nicht in Bibliotheksbestände aufgenommen. Die (gern mit farbigen Zeichnungen versehenen) Originaleinbände wurden oft ohne diese Umschläge in funktionale Bibliothekseinbände gekleidet; frühe Witze und Anekdoten sind ohnehin bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nur aus allgemeinen Sammlungen zu extrahieren, und auch die Einordnung jüdischen Humors birgt Probleme: Ist es ein jüdischer Witz oder ein von Nichtjuden oder von aus dem Judentum Konvertierten kreierter Witz? Ist der Autor oder Herausgeber jüdisch? Ist der Verlag oder Verleger jüdisch? Ist der Witz judaisiert worden? Handelt es sich um einen ursprünglich z.B. irischen Witz, der als »wandernder« Witz eine jüdische Einkleidung erfahren hat? Welche Rolle spielten jüdischer Humor und Humorliteratur überhaupt im Alltag, beispielsweise des Ghettos? Schwierig, weiß der Historiker Gottschalk, ist auch das Thema jüdisches Kabarett. Viele wunderbare Komiker – wie Robert Weil (Homunkulus) – fristen »ein biografisch-bibliografisches Schattendasein« – dank Engagierter wie Jürgen Gottschalk treten sie nun ein wenig ins Licht.
Auf seiner Webseite »Documenta Humoristica Judaica« sind die aufgenommenen Titel und Abbildungen, die ersten aus der Zeit vor 1789, die letzten aus der unmittelbaren Gegenwart, in Zeitepochen (bis zur Märzrevolution, bis zur Reichsgründung, bis zum Ersten Weltkrieg etc.) eingeordnet. So bereits vorhanden, können zur jeweiligen Abbildung Zusatzinformationen abgerufen werden. Eine Linksammlung, aktuelle Veranstaltungen und Beiträge von anderen Seiten zum Thema ergänzen das Angebot.
Judith Kessler
_http://humoristica-judaica.pirckheimer.org
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