Beitragssuche

Datum / Zeitraum:
Beitragsart:
Kategorie:

Heute schon an Morgen denken

01.September 2019 | Beiträge – jüdisches berlin | Feiertage

Gedanken zu Rosh Haschana von Rabbiner Yitshak Ehrenberg

Es gibt ein talmudisches Gleichnis über einen Fuchs im Weinberg. Zunächst streift er immer wieder rings um ihn herum, denn es gibt keinen Zugang – alles zu, komplett eingezäunt. Er hat solche Lust auf die Trauben und ist so hungrig, dass er nicht aufgibt. Endlich findet er einen kleinen Riss in der Umzäunung. Er versucht sich durchzuzwängen, doch die Öffnung ist zu klein. «Ich mach eine Diät», denkt er sich. Nach einem Tag des Darbens probiert er es erneut, doch er ist noch zu dick. Nach drei Tagen Hungern schafft er es schließlich, durchzukommen. Er tobt vor Freude und frisst nach Herzenslust herrliche süße Trauben. Schließlich ist er so voll, dass keine einzige Traube mehr in seinen Bauch passt. Als er nun hinaus will, oh weh – die Öffnung ist zu klein. Er fastet wieder drei Tage bis er sein ursprüngliches Gewicht erreicht, läuft hinaus und stellt fest: «Hungrig bin ich hinein und hungrig wieder hinausgegangen. Was habe ich gewonnen?» Da sagte ein Freund zu ihm: «Fuchs, du bist nicht gerade schlau. Du hättest erst einmal etwas von den Trauben genießen und dich dann ausruhen können. Danach aber hättest du  durch den Riß Trauben nach draußen schaffen sollen. So hättest du dir einen großen Vorrat anlegen können».

Das ist unser Problem. Wir kommen hier auf diese Welt und erkennen oftmals nicht, dass sie nicht das Ziel unserer Reise ist. Gott sagt: Esst, trinkt, jedoch mit Maßen. Sammelt aber auch für die Zeit, wenn ihr wieder aus dieser Welt herausgeht. Jeder Mensch erlernt einen Beruf oder absolviert ein Studium, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Auch denken wir an unseren Ruhestand, sparen für diese Zeit oder legen für andere Zwecke Geld beiseite. Doch da hört unsere Vorsorge schon auf. Was aber geschieht ein paar Minuten nach der Rente? Haben wir da schon vorgesorgt? Das war der Irrtum des Fuchses und das ist der Irrtum der meisten Menschen. Wir sorgen allein für das Hier, aber wir sorgen nicht für das Danach.

Es gibt ein Leben nach unserer Zeit auf dieser Erde. Sogar, wenn der Mensch das nicht glauben kann oder sich nicht sicher ist. Sagen wir die Chancen ständen nur fifty fifty. Wie viele Menschen spielen Lotto, mit Gewinnchancen die gegen Null laufen? Hier aber geht es um mehr als Lotto. Wir glauben, dass der Mensch nicht auf diese Welt kommt, um allein auf dieser Welt zu sein. Die Mischna sagt: «Diese Welt gleicht einem Korridor vor der kommenden Welt» (Awot 4:16). Rabbi Chajim Luzatto schreibt, dass der Mensch geschaffen wurde, um zu genießen und dass der wahre Ort dafür die kommende Welt ist. Diese Welt ist eine Art Durchgangsstation, durch die der Mensch in die eigentliche Welt eingeht. Die Welt hat eine Bestimmung. Alles auf ihr wurde um des Menschen und um seiner Bestimmung willen erschaffen. Hier ist der Ort, an dem wir für das Leben nach dem Tod sorgen. Unsere Weisen sel. A. vergleichen die kommende Welt mit dem Meer, der Wüste und dem Schabbat. Bevor man in See sticht, muss man für seine Ausrüstung auf der See sorgen. Will man in die Wüste aufbrechen, muss man vorher seinen Rucksack füllen. Schließlich ähnelt die kommende Welt dem Schabbat. Wer für den Schabbat vorbereitet ist, wird am Schabbat genießen können. Wenn aber nicht, was wird er am Schabbat essen?

An Rosch Haschana hören wir die Stimme des Schofars. Es will uns aufwecken, damit wir über die Bedeutung unseres Lebens nachdenken. Damit wir prüfen, ob wir auf dem richtigen Weg sind und was wir besser machen können. Wir sagen jeden Tag «Schma Israel» - Höre Jisrael, HaSchem Elokejnu, HaSchem Echad». Höre Israel, höre die Stimme des Schofars. Wir wollen nicht wie der Fuchs im Weinberg essen und hungrig wieder hinausgehen, sondern lasst uns im Weinberg etwas für die Zeit, da wir ihn verlassen, vorbereiten. Lasst uns zu Rosch Haschana für das neue Jahr beten und auch für die Ewigkeit.

Schana towa umeworechet. Wir wünschen allen ein gesegnetes und süßes Jahr 5780.

Rabbiner Yitshak Ehrenberg

Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin  

Heute schon an Morgen denken