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Grußwort des Vorsitzenden

01.März 2015 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde

Liebe Gemeindemitglieder,

ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Antisemitismus. Europäische Staats- und Regierungsoberhäupter sahen sich veranlasst, aufgrund der tragischen Ereignisse der letzten Wochen ihre Solidarität mit ihrer jeweiligen jüdischen Bevölkerung zu bekunden.

Angesichts dieser Situation ist es kaum verwunderlich, dass der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Juden Europas massiv zur Alija, zur Auswanderung, aufruft und ihnen versichert, man werde sie „mit offenen Armen empfangen“.

Hier könnte der Eindruck entstehen, der europäische Antisemitismus würde ganz automatisch zu steigenden Einwanderungszahlen nach Israel führen.

Aber: Antisemitismus ist kein Verbündeter des Zionismus und wird es auch nie sein. Im Gegenteil! Denn für jeden jüdischen Menschen, der sich aufgrund antisemitischer Vorfälle für die Auswanderung nach Israel entscheidet, werden eine Vielzahl von Juden, aus Angst selbst Opfer von Antisemitismus zu werden, Ihr Judentum verleugnen und sich von Israel und allem, was mit dem Judentum in Verbindung steht, abwenden.

Auch der Vorstand der Jüdischen Gemeinde hat diese Erfahrung machen müssen, wenn auch in einem viel harmloseren Zusammenhang. Als es darum ging, die Jüdische Oberschule nach einer Persönlichkeit zu benennen, favorisierte der komplette Vorstand den Namen „Theodor Herzl“. Die Koach-Fraktion war sehr dafür, die Verbundenheit der Jüdischen Gemeinde mit dem Staat Israel durch diese Namensgebung zu unterstreichen. Die Schüler-, Lehrer- und Elternschaft hingegen sprach sich für den Namen „Moses Mendelssohn“ aus. Einige, weil man auf diesen Namen bereits seit Jahren hingearbeitet hat. Andere, weil man im wahrsten Sinne des Wortes befürchtete, antisemitische Angriffe auf sich zu ziehen, da durch den Namen „Theodor Herzl“ die Solidarität mit Israel und dem Begründer des modernen Zionismus zweifelsfrei dokumentiert sein und als Provokation empfunden werden würde.

Es ist also bekannt, dass sich nicht wenige Juden aufgrund antisemitischer Anfeindungen vom Judentum abwenden und gerade nicht nach Israel auswandern. Damit stellt sich die Frage, warum sich Netanjahu dann überhaupt so äußert, wie er es getan hat? Es ist schwer vorstellbar, dass Netanjahu so naiv ist und glaubt, seine Einladung nach Israel würde eine Masseneinwanderung auslösen. Zudem ist Netanjahu nicht der erste bedeutende Politiker Israels, dem auffallen wird, dass seine Einladung nur eine schwache Resonanz unter europäischen Juden erzeugen wird.

Die Erklärung dafür ist einleuchtend: Die Worte Netanjahus sind als verdeckte Aufforderung an die Staats- und Regierungsoberhäupter Europas zu verstehen, die Gefahren des Antisemitismus endlich ernst zu nehmen und glaubhafte Anstrengungen zu unternehmen, den Schutz jüdischer Einrichtungen der aktuellen Bedrohungslage anzupassen. Wie schwach das bisherige Empfinden für die terroristische Gefahr vor allem für die jüdischen Gemeinden in Europa ist, erkennt man besonders gut an aktuellen Aussagen zahlreicher Politiker. Sie sind als Eingeständnis zu werten, bisher zu wenig getan zu haben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Wir werden seitens der Bundesregierung, aber auch seitens der Landesregierungen und aller Verantwortlichen in Deutschland alles dafür tun, dass die Sicherheit jüdischer Einrichtungen, die Sicherheit der Bürgerinnern und Bürger, die jüdischer Herkunft sind, gewährleistet wird.“

Großbritanniens Innenministerin Theresa May: „Ich hätte nie gedacht, dass der Tag kommt, an dem Mitglieder der Jüdischen Gemeinde sich in diesem Land nicht mehr sicher fühlen. Wir werden unsere Anstrengungen verdoppeln, um den Antisemitismus auszulöschen.“

Dänemarks Ministerpräsidentin Hellen Thorning-Schmidt: „Heute will ich allen dänischen Juden sagen: Ihr seid nicht allein. Ein Angriff auf die Juden Dänemarks ist ein Angriff auf Dänemark - auf uns alle.“

Der niederländische Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans: „Was mich wirklich um den Schlaf bringt, ist, dass sich jetzt die Juden in Europa wieder Sorgen um ihre Sicherheit machen müssen.“

Für die sehr nahe Zukunft bleibt abzuwarten, ob die Worte der Solidarität bloße Lippenbekenntnisse sind, oder ob Sicherheitsmaßnahmen in der Tat der aktuellen Bedrohungslage angepasst werden. Immerhin sind allein in der Bundesrepublik 100 bekannte islamistische Terrorzellen im Visier der Fahnder. Einige unter ihnen werden vom Iran unterstützt.

Wie bereits vor 2500 Jahren, geht die größte Gefahr für Juden in Israel und der Diaspora heute wieder vom aktuell größten Terrorsponsor der Welt, dem Iran, aus. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Umgang mit dem iranischen Regime ein Indikator für die Ernsthaftigkeit ist, mit der europäische Regierungen ihre jüdischen Minderheiten schützen wollen. Wir sind guter Hoffnung, dass sich diese Erkenntnis schon bald unter den europäischen Staatsoberhäuptern durchsetzen wird.

Liebe Gemeindemitglieder,

ich wünsche Ihnen Chag Purim sameach.

Ihr Dr. Gideon Joffe

Grußwort des Vorsitzenden