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Grußwort des Vorsitzenden

30.September 2013 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde

Liebe Gemeindemitglieder,

das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung beobachtet und analysiert seit 1991 Konflikte weltweit. Für das vergangene Jahr wurden 414 Konflikte gezählt. Von diesen wurden 45 als hochgewaltsam, 20 gar als Kriege bewertet.

Die Art, Konflikte auszutragen, hat sich in den letzten Jahrhunderten stark verändert. Sehr vereinfacht dargestellt, kämpften bis zum ersten Weltkrieg Armeen auf Schlachtfeldern gegeneinander. Die Zivilbevölkerung litt natürlich unter den Auseinandersetzungen, aber sie war nicht das eigentliche Ziel der Kriegshandlungen.

Während des Ersten Weltkriegs schlachteten sich Soldaten weiterhin gegenseitig ab. Aber zunehmend wurden Zivilisten Opfer des Krieges. So kamen im Ersten Weltkrieg 10 Millionen Soldaten ums Leben – und etwa sieben Millionen Zivilisten. Der Zweite Weltkrieg forderte mindestens 55 Millionen Tote, mehr als die Hälfe, etwa 30 Millionen, waren Zivilisten, darunter mehr als 6 Millionen ermordete Juden.

Die Zahl der zivilen Opfer war so hoch, weil die Nazis rücksichtslos in der Kampfführung waren. Für sie waren auch Städte mit ihren Wohnhäusern, Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern legitime Ziele. Mehrere hunderttausend Zivilisten starben durch das barbarische Bombardement der Nazis aus der Luft.

Um dem Nazi-Terror in Europa ein schnelleres Ende zu bereiten, passten sich die Alliierten der Kampfführung der Nazis an. So bombardierten sie als Reaktion auch deutsche Städte. Vor allem die Briten waren der Meinung, durch das Flächenbombardement deutscher Städte die Moral der Zivilbevölkerung ebenfalls brechen zu können. Sie haben in diesem Zusammenhang den Begriff des „moral bombing“ geprägt. Mehrere hunderttausend deutsche Zivilisten sind durch „moral bombing“ über dutzenden von deutschen Städten ums Leben gekommen.

Seit dem Zweiten Weltkrieg stellen Zivilisten die eindeutig größte Opfergruppe bewaffneter Konflikte dar. Sie sind häufig auch das eigentliche Ziel von Kampfhandlungen. Staaten führen immer seltener Krieg gegeneinander. Stattdessen werden nichtstaatliche Gruppierungen von Staaten unterstützt, damit diese gezielt Terror gegen die Zivilbevölkerung betreiben.

So müssen arabische Staaten oder der Iran heute nicht mehr ihre Armeen einsetzen, um Israel zu zerstören. Sie versuchen, dieses Ziel kostengünstiger zu erreichen, indem sie Terrorgruppen wie die libanesische Hizb Allah oder den palästinensischen Islamischen Dschihad bzw. die Hamas unterstützen.

Hamas ist die Terrorgruppe, gegen die sich Israel in diesen Tagen behaupten muss. Sie ist in vielem den Nazis ähnlich, vor allem in ihrem Hass auf die Juden. Die Hamas hat sich in ihrer Satzung verpflichtet, alle Juden weltweit zu töten. Dabei jagte sie in den letzten Jahren bevorzugt Busse, Restaurants oder Einkaufszentren in die Luft, um möglichst viele zivile Opfer zu verursachen. Seitdem dieser Bombenterror aufgrund erhöhter israelischer Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr ohne weiteres möglich ist, versucht die Hamas, durch das gezielte Abfeuern von Raketen auf Wohngebiete, die Zivilbevölkerung im Süden Israels zu ermorden oder zumindest zu vertreiben.

Israel hätte die Möglichkeit, auf die terroristische Kriegsführung der Hamas zu reagieren wie die Alliierten auf den Terror der Nazis. Darauf verzichtet Israel bereits seit Jahren.

Aus diesem Grund wurde der israelischen Armee ein seltenes Kompliment zuteil. Der ehemalige Kommandierende der britischen Truppen in Afghanistan, Richard Kemp, also jemand, der sich durchaus mit dem Anti-Terrorkampf auskennt, ehrt Israel durch folgende Aussage:

„Keine andere Armee auf der ganzen Welt hat jemals mehr getan, als Israel jetzt tut, um das Leben unschuldiger Zivilisten in einem Kampfgebiet zu retten.“

Diese auf hohen ethischen Grundsätzen beruhende israelische Kriegsführung wird von den meisten europäischen Medien nicht gewürdigt. Als Beleg wird die Zahl der Opfer auf beiden Seiten aufgeführt. Mehr als 2000 palästinensische Tote werden den „nur“ 67 israelischen Toten gegenübergestellt. Statistisch betrachtet starben also an jedem der 50 Kriegstage 42 Palästinenser aber „nur“ 1,3 Israelis.

Kann man bei dieser angeblichen Unverhältnismäßigkeit der Opferzahlen überhaupt von ethischer Kriegsführung sprechen? Man kann, man muss es sogar, wenn man weiß, dass mehr als 1100 von 2000 Toten auf palästinensischer Seite Hamas-Kämpfer waren. 900 weitere Tote waren Zivilisten. Sie sind gestorben, weil die Hamas ihre Bevölkerung ebenfalls terrorisiert und sie als menschliche Schutzschilde missbraucht.

Die Hamas begeht damit ein doppeltes Kriegsverbrechen: Zum einen terrorisieren ihre Raketen Zivilisten eines anderen Staates, zum anderen terrorisieren sie ihre eigene Zivilbevölkerung, weil sie ihre todbringenden Raketen aus Wohnhäusern, Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern abschießen. Aus Sicht der Genfer Konventionen verlieren diese zivilen Einrichtungen ihren Schutz, wenn sie militärisch genutzt werden.

Israel bemüht sich dennoch, die Menschen in Gaza in diesen von der Hamas missbrauchten Einrichtungen zu schützen. So wird die Bevölkerung durch Anrufe zu Hause oder auf dem Handy, durch Flugblätter oder durch akustische Signale zum Verlassen des Kampfgebiets aufgefordert. Die Hamas aber zwingt die Menschen, in den Wohnungen zu verbleiben. Viele geplante Manöver wurden von Israel sogar abgebrochen, weil nicht sichergestellt sein konnte, dass Häuser geräumt waren und allein Hamas-Kämpfer dadurch neutralisiert werden würden. Israel versucht also, zivile Opfer zu vermeiden, die Hamas versucht, möglichst viele zivile Opfer zu verursachen.

Nur wenige der eingangs zitierten weltweiten 414 Konflikte finden überhaupt Erwähnung in Zeitungen, im Radio oder im Fernsehen. Über mangelnde Aufmerksamkeit kann sich Israel nicht beklagen. Der Fokus der weltweiten Berichterstattung war im Sommer 2014 für 50 Tage mal wieder und stärker als ohnehin schon auf Israel gerichtet. Dabei wurde stets die vermeintliche Unverhältnismäßigkeit der Opferzahlen hervorgehoben. Dies hat erheblich dazu beigetragen, Demonstranten auf allen Kontinenten dazu zu bringen, auch Juden außerhalb Israels dafür zur Verantwortung zu ziehen. Jüdische Gemeinden in aller Welt bekamen diesen Antisemitismus schmerzhaft zu spüren.

Auch bei uns in Berlin wurden Juden in der letzten Zeit wieder verstärkt Opfer verbaler und körperlicher Gewalt. Daher muss ich leider nach wie vor alle Gemeindemitglieder, die sich durch das unverdeckte Tragen der Kippa oder anderer jüdischer Symbole in der Öffentlichkeit klar als Juden zu erkennen geben, zu erhöhter Vorsicht aufrufen. Wir alle müssen den jetzt wieder sichtbarer gewordenen Antisemitismus genau beobachten – jedoch ohne in Panik zu verfallen.

Zwar mehren sich Stimmen, die das Ende des europäischen Judentums kommen sehen. Ich bin jedoch der festen Überzeugung: Auch in fünfzig Jahren wird es die Jüdische Gemeinde zu Berlin noch geben. Ob diese aber 30.000 oder nur 3.000 Mitglieder haben wird, hängt maßgeblich von der Wehrhaftigkeit unserer Demokratie ab. Diese muss regelmäßig unter Beweis gestellt werden.

Eine Möglichkeit dazu bietet der 14. September 2014. An diesem Tag findet vor dem Brandenburger Tor eine vom Zentralrat der Juden organisierte Kundgebung gegen Judenhass statt. Es bleibt zu wünschen, dass auf dieser Kundgebung die Solidarität mit Israel nicht zu kurz kommt. Denn eines ist unstrittig: Hass auf Israel ist immer auch Hass auf Juden.

Liebe Gemeindemitglieder,

die Jüdische Gemeinde zu Berlin trauert um alle unschuldigen Opfer dieses Kriegs, gleich ob jüdisch oder muslimisch. Hoffen wir, dass das Jahr 5775 für Israel und alle Juden ein friedliches wird.

Schana tova u’metuka

Ihr

Dr. Gideon Joffe

 

Grußwort des Vorsitzenden