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Grußwort des Vorsitzenden
01.Mai 2014 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde
Liebe Gemeindemitglieder,
»Wetten, dass…« ist eine der beliebtesten Fernsehsendungen Deutschlands. Als ihr baldiges Aus verkündet wurde, war das Ausmaß der in Radio, Fernsehen und Zeitungen entbrannten Diskussionen mehr als verwunderlich. Warum reagieren die Medien so heftig auf das Ende dieser Show? Schließlich geht es ja »nur« um Unterhaltung.
Die Antwort darauf hat viel mit dem Stichwort Gemeinschaft zu tun. »Wetten, dass…« ist es gelungen, in einer zunehmend individualistischen, von Egoismen geprägten Gesellschaft verschiedene Generationen gemeinsam vor den Fernseher zu locken und ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. Familien und Freunde trafen sich, um gemeinsam »Wetten, dass…« zu gucken. Diese Gemeinsamkeit wird es ab dem kommenden Jahr nicht mehr geben. Und wieder geht damit ein Stück Verbundenheit verloren, auch wenn es nur eine durch das Fernsehen erzeugte war.
Eine schwindende Verbundenheit zwischen den Menschen ist seit Jahrzehnten zu beobachten. Sie führt immer öfter dazu, dass man zuallererst mit den Ellbogen anstatt mit dem Lächeln eines Menschen Bekanntschaft macht. Man kann förmlich beobachten, wie die Gleichgültigkeit gegenüber der Gemeinschaft zunimmt, wie die Verantwortung gegenüber dem Nächsten abnimmt.
So existieren in Berlin genau zwei Millionen Wohneinheiten. In mehr als der Hälfte von diesen (55 Prozent) lebt nur eine einzige Person. In zehn Jahren wird mehr als die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr Mitglied einer Kirche sein. Die beiden Volksparteien, CDU und SPD, haben bundesweit seit 1990 etwa die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Verbundenheit, die durch das Lesen von Tageszeitungen entsteht, ist ebenfalls bedroht. Das Internet hat die Auflagen so gut wie aller Zeitungen radikal nach unten purzeln lassen. In den kommenden fünf Jahren wird das »große Zeitungssterben« für jeden sichtbar sein.
Apropos Internet: Immer mehr Menschen verweilen Tage vor den Bildschirmen und kommunizieren, ohne sich tatsächlich von Angesicht zu Angesicht mit einem lebenden Menschen zu unterhalten. Auch läuft die Kommunikation im Internet so, dass man mit Menschen in Kontakt tritt, die die gleichen Einstellungen und Hobbys teilen, die aber in einer anderen Stadt oder im Ausland wohnen. Auch das wirkt sich negativ auf den nachbarschaftlichen Zusammenhalt aus. Ohne Zusammenhalt aber entwickelt sich die Gesellschaft zu einer Ansammlung egoistischer Individuen.
Wie lange kann das gutgehen, und was bedeuten die geschilderten Entwicklungen vor allem für unsere Gemeinde? Zuallererst: Wir als Vorstand müssen uns stärker um die Zusammenarbeit in unserer Gemeinde kümmern. Zum Beispiel können die Kinder unseres Kindergartens häufiger ins Seniorenzentrum kommen. Unsere älteren Schüler könnten im Herbst einen Ausflug zu einem unserer Friedhöfe unternehmen, um Laub zu sammeln und so zur Pflege eines Friedhofs ihren Beitrag leisten. Häufig höre ich Klagen gestresster Eltern, die Schwierigkeiten haben, rechtzeitig ihre Kinder vom Kindergarten oder von der Schule abzuholen. Womöglich gibt es Rentner oder einige Bewohner unseres Seniorenzentrums, die bereit wären, hier zu helfen? Bereits zum 15. Mal erhalten Gymnasiasten unserer Jüdischen Oberschule ihr Abitur. Ich bin sicher, einige der ersten Abiturienten sind mittlerweile in der Lage, Gemeindemitgliedern eine Ausbildung oder ein Praktikum, womöglich sogar Arbeit zu verschaffen. Diese Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen.
Wenn wir, die Gemeindemitglieder, es nur wollen, können wir mit relativ einfachen Mitteln Großartiges bewirken. Wir hoffen daher auf die Bereitschaft vieler Mitglieder, sich auf kleine positive Veränderungen einzulassen. Mit gutem Willen aller Beteiligten wird es uns gelingen, eine Atmosphäre der Zusammenarbeit und des Zusammenhalts stärker zum Vorschein kommen zu lassen, wetten, dass?
Ihr Dr. Gideon Joffe
jüdisches berlin
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