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Gottes weite Erde
01.Februar 2008 | Beiträge – jüdisches berlin | Religion
Die Bertelsmann Stiftung hat weltweit 21000 Menschen zu ihren religiösen Einstellungen befragt. Überraschendes Ergebnis: Wer glaubt, ist toleranter.
Glauben auch Sie an mindestens einen gütigen Gott? Denken Sie häufiger über ihn und seine Werke nach? Lassen Sie sich wenigstens ab und zu in der Synagoge, der Kirche, der Moschee oder Ihrem Tempel blicken? Und fallen Ihnen zuerst diese Orte ein, wenn es um familiäre Ereignisse wie Hochzeiten und Todesfälle geht? Dann sind Sie in Deutschland allen kulturkritischen Prognosen zum Trotz in bester Gesellschaft. Denn sage und schreibe 70 Prozent der deutschen Bevölkerung sind religiös, davon 18 Prozent sogar hochreligiös – so heißt es jedenfalls im „Religionsmonitor 2008“, den die Bertelsmann Stiftung Ende 2007 in Berlin vorgestellt hat.
Religion und Spiritualität sind seit einigen Jahren wieder in aller Munde. Ob diese „gefühlte“ Renaissance des Religiösen aber auch in Zahlen ausgedrückt werden kann, diese Frage beschäftigt die Bertelsmann Stiftung schon lange. Deshalb stellten die Gütersloher ein Team von Soziologen, Theologen, Psychologen und Religionswissenschaftlern zusammen und schickten diese im Sommer 2007 in 21 Länder auf allen fünf Kontinenten. Dort wurden jeweils etwa 1000 Personen nach ihren Einstellungen zu Gott, religiösen Praktiken wie Gebet und Meditation, Glaube und Lebensführung und ihrem Verhältnis zu anderen Religionen befragt. Ergebnis: hochgerechnet kann über die Hälfte der Menschheit als ausgesprochen religiös bezeichnet werden.
Die Teilnahme an Gottesdiensten, rituelle Handlungen und religiöse Erfahrungen spielen für etwa 2/3 aller Erdenbürger eine enorm wichtige Rolle. Eindeutigstes (und erfreulichstes) Resultat der Studie: Toleranz und Offenheit gegenüber anderen Religionen sind global gesehen die am stärksten entwickelten Eigenschaften der Gläubigen.
Von den 21 000 Befragten glauben über 80 Prozent daran, dass jedes Glaubensbekenntnis „einen wahren Kern“ habe und man „gegenüber anderen Religionen offen sein“ sollte. Noch überraschender ist dabei vielleicht, dass gerade religiös gefestigte Personen eine wesentlich großmütigere Haltung gegenüber anderen Konfessionen einnehmen als die nur mäßig Frommen. Von den USA bis Indonesien stimmen diesem „Toleranzedikt“ durchweg über 60% der Hochreligiösen zu, von den weniger Religiösen ist es nur etwa jeder Dritte.
Glaubt man den Resultaten der Erhebung, dann setzt sich in der deutschen Bevölkerung ebenso wie in den anderen Ländern des Westens aber auch der Trend zur Entkopplung von Glauben und „organisierter“ Religion fort. Spiritualität: ja; regelmäßiger Gottesdienstbesuch, Dogmatismus oder gar blinder Gehorsam gegenüber religiösen Anordnungen: nein. So kann das Ergebnis für Deutschland und Europa zusammengefasst werden.
Dieser Tendenz entspricht auch eine bei 20 Prozent der Gläubigen vorhandene Neigung zur „Patchwork-Religiosität“, also zur Übernahme von Lehren oder Praktiken anderer Glaubensgemeinschaften. Daher ist es auch kein Widerspruch, wenn 30 Prozent der Konfessionslosen hierzulande als religiös eingestuft werden müssen und andererseits viele offizielle Kirchenmitglieder in ihren Gemeinden nur noch als „Karteileichen“ fungieren, darunter erstaunlicherweise immer mehr Ältere über 60. Laut Projektleiter Dr. Martin Rieger kann daher weder von einem Aussterben noch von einer großen Renaissance der Religion in Deutschland gesprochen werden. Genaueres könne ohnehin erst eine Vergleichsstudie zeigen. Die bisherigen Ergebnisse sind außerdem nur für die christliche Mehrheitsgesellschaft repräsentativ – kleinere religiöse Gruppen in Deutschland wie Moslems, Juden, Buddhisten oder orthodoxe Christen konnten im Rahmen dieser Studie nicht besonders berücksichtigt werden. Doch soll der Religionsmonitor in Zukunft regelmäßig wiederholt werden, und dabei ist dann auch die Erfassung dieser Konfessionen geplant. Den Anfang sollen 2008 aller Voraussicht nach die 4 Prozent islamischen Bürger in Deutschland machen, so Rieger bei der Vorstellung der Ergebnisse. Inwiefern eine solche Erhebung für die nur 0,2 Prozent Juden in Deutschland durchführbar sein könnte ist allerdings fraglich.
Der von Bertelsmann zur Podiumsdiskussion geladene Braunschweiger Rabbiner Jonah Sievers regte daher gegenüber dem jb an, mit dem Religionsmonitor die Gläubigkeit der einzelnen jüdischen Gemeinden bzw. ihrer Mitglieder zu messen – der von Bertelsmann angekündigte Gruppenzugang zum Internettool www.religionsmonitor.com mache es technisch jedenfalls möglich.
Im internationalen Vergleich fallen zwei Ergebnisse der Studie besonders auf. Erstens: in Glaubensfragen besteht ein klares Arm-Reich-Gefälle. Das religiöseste Land der Welt ist Nigeria mit über 90 Prozent Hochreligiösen, gefolgt von Brasilien, Guatemala, Marokko und Indonesien. Die einzigen Ausnahmen bilden hier die USA und Russland.
Fast 90 Prozent aller US-Amerikaner sind als religiös, 62 Prozent davon sogar als hochreligiös einzuschätzen. In Russland, einem Land mit einer im Durchschnitt nicht eben wohlhabenden Bevölkerung, sind hingegen nur gute 50 Prozent überhaupt religiös, nur 7 Prozent sind sehr gläubig. Dies entspricht übrigens tendenziell den Verhältnissen in Ostdeutschland und zeigt nach der Meinung der Macher der Studie den enormen Einfluss, den das Elternhaus auf die individuelle Gläubigkeit hat. Die zweite Auffälligkeit: Gesellschaften, denen für gewöhnlich am ehesten eine starke religiöse Orientierung nachgesagt wird, rangieren in punkto Zentralität der Religion eher im Mittelfeld. Dazu gehört neben Indien auch Israel, wo zwar knapp 80 Prozent der Befragten religiös sind – ein Wert, der etwa dem der Schweiz entspricht –, davon aber nur etwas über 30 Prozent als sehr religiös gelten können.
Genaue Einzelanalysen der internationalen Ergebnisse will die Bertelsmann Stiftung im Laufe des Jahres 2008 vorlegen. Wer sich hingegen für erste Auswertungen, den Fragebogen, die weltweiten Datensätze und eine ausführliche Untersuchung der Ergebnisse für Deutschland interessiert, der kann den hochinteressanten „Religionsmonitor 2008“ ab sofort in Buchform erhalten. Auf der Internetseite www.religionsmonitor.com ist es zudem möglich, sich kostenlos und anonym sein eigenes religiöses Profil erstellen zu lassen und mit den Gesamtergebnissen des Heimatlands zu vergleichen.
Frank Lachmann
jüdisches berlin
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