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»Gottes Stimme« aus Florentin

24.August 2010 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur, Orte

Zu Besuch in Tel Avivs ältester Schofar-Werkstatt

Bis zum 2. Buch Mose muss man sich im Tanach vorarbeiten, um endlich etwas über eines der ältesten jüdischen Symbole, das Schofar, zu lesen. »…es geschah am dritten Tage, als es Morgen war, da waren Donner und Blitze und ein schwer Gewölk auf dem Berg und mächtig starker Posaunenschall…«, heisst es in der Übersetzung von Leopold Zunz. Will man dagegen wissen und vor allem auch einmal mit eigenen Augen sehen, wie aus einem krummen Tierhorn ein Instrument wird, dem man die »Stimme Gottes« zu entlocken vermag, dann fährt man einfach in den Süden Tel Avivs, wo sich im Stadtteil Florentin die Werkstatt von Avraham Ribak und seinem Geschäftspartner Zvi Barsheshet befindet.

Die erste akustische Begegnung mit dem, was einmal Schofarot werden wollen, ist allerdings alles andere als göttlich, sondern eher nüchtern und sehr klappernd. Die Straße ist eng, der Lieferwagen kann nur kurz zum Entladen halten, also werden die Säcke mit den Hörnern kurzerhand auf den Bürgersteig geworfen und dann in die Werkstatt getragen. Bis hoch an die Decke stapeln sich dort bereits unzählige Säcke, aus denen hier und da ein Horn hervorlugt. In der Luft hängt nicht nur eine dicke Staubwolke, sondern auch ein ziemlich beißender Geruch wie nach angesengten Haaren – das kommt von den Schleifmaschinen, die die unansehnlichen Rohhörner kreischend glätten und polieren und in die Form bringen, die man aus der Synagoge kennt.

»Aber schön der Reihe nach«, sagt Avraham Ribak und wischt uns einen Stuhl in seinem winzigen Büro blank. »Aus Afrika, vor allem aus Marokko kommen die Hörner«, erzählt er dabei, »wir fahren jedes Jahr dort hin und suchen höchstpersönlich die Hörner aus, die wir dann hier verarbeiten.« Er legt das Staubtuch beiseite und nimmt stattdessen ein besonders schönes Schofar aus dem Regal und bläst: Tekiya-Schewarim-Truah und noch eine lange Tekiya, wie er zwischendurch erklärt.

 

Avraham Ribak mit zwei jemenitischen Hörnern. Foto: Evelyn Bartolmai

Avraham Ribak mit zwei jemenitischen Hörnern. Foto: Evelyn Bartolmai

Seit mehr als 50 Jahren besteht die Schofar-Werkstatt in Israel bereits, mehr als die Hälfte der Zeit inzwischen als Gemeinschaftsunternehmen zweier Familien, die jede für sich schon seit Generationen Schofarot herstellt. Die Tradition der Ribaks wurzelt in Polen, wo ein gewisser Rabbi Jacov Rossman zunächst feine Kämme und Löffelchen aus Horn herstellte. Dann aber begann er Schofarot zu fertigen, die dank ihrer Qualität schnell in allen jüdischen Gemeinden Polens gefragt waren. 1927 wanderte Rabbi Rossman nach Erez Israel aus und wurde der erste Schofar-Hersteller in der neuen Stadt Tel Aviv. Später übergab er das Geschäft seinem Cousin Avraham, der offenkundig auch sein Talent geerbt hatte und die Werkstatt bis heute betreibt.

Familie Barsheshet hingegen kommt ursprünglich aus Spanien, wo der Sohn des berühmten Rabbi Yitzhak Bar-Sheshet, bekannt auch als »Ribash«, ebenfalls mit Kämmen und Löffeln aus Horn begann, bevor er sich der Herstellung von Schofarot widmete. Nach der Vertreibung der Juden aus Spanien gingen die Barsheshets nach Marokko, 1947 schließlich kam Meir Bar-Sheshet nach Israel, ließ sich in Haifa nieder und produzierte dort Schofarim, bis zum Zusammenschluss mit der Firma Ribak in Tel Aviv.

Und so unterschiedlich wie die Herkunft der beiden Familien, beendet Avraham Ribak den kleinen Exkurs in die Geschichte, so unterschiedlich sind auch bis heute die Schofarot, die ihren Weg aus der Florentiner Werkstatt in alle Welt antreten. »Ja, es gibt ein ‚aschkenasisches’ Schofar und ein ‚sefardisches’ Schofar«, erklärt Ribak, »jede ethnische Gruppe hat ihr eigenes Schofar, und ein geübtes Ohr vermag auch mit geschlossenen Augen zu sagen, in was für einer Gemeinde man sich gerade befindet.« Zum Beweis holt er verschiedene Schofarot, sehr gebogene, weniger gebogene, dickwandige, schlankere und auch ein reich mit Silber verziertes. Das letztere sei nur für die Vitrine und zur Dekoration, lacht Ribak, manche Kunden mögen das halt so. Aber die anderen sind alle »koscher letekija«, also in der Synagoge erlaubt. Ein aschkenasisches Schofar ist nicht so sehr gewunden, eher schlank und von außen glatt, und es hat einen mittelhohen Klang. Ein marokkanisches Schofar hingegen ist sehr dünnwandig und hat einen sehr hohen Klang, während jemenitische Schofarot fast gar nicht bearbeitet, also ziemlich dick sind, und folglich auch einen sehr tiefen und vollen Klang haben.

Und dann ist da noch das »kudo« – es kommt auch aus Jemen, ist jedoch im Unterschied zu den anderen nicht aus Widder-, sondern Antilopenhorn und wurde früher als »Posaune« von den Leviten im Tempel geblasen. Wegen seines majestätischen Klanges bläst man es bis heute in Israel immer dann, wenn ein neuer Präsident ins Amt eingeführt wird.

Ein berühmtes Schofar aus seiner Werkstatt? Na klar gibt es da eines, schmunzelt Avraham Ribak und zeigt auf ein schon ziemlich vergilbtes Foto von Militärrabbiner Goren vor der Westmauer. »Ich habe es ihm 1966 zu Sukkot geschenkt und gesagt, blas’ es dereinst in Jerusalem! Und kein Jahr später war es soweit – nach dem Sieg im Sechstagekrieg blies Rav Goren es an der befreiten Westmauer.«

Evelyn Bartolmai