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Gericht sieht keine Beleidigung in antijüdischer Darstellung
01.März 2020 | Beiträge – jüdisches berlin | Gesellschaft
Das Oberlandesgericht Naumburg hat am 4. Februar eine Klage gegen das »Judensau«-Relief an der Wittenberger Stadtkirche abgewiesen: Der Straftatbestand der Beleidigung sei nicht erfüllt. Dieses zeigt einen Rabbiner, der den Schwanz eines Schweins anhebt und ihm in den After schaut, und weitere Personen, die versuchen, an den Zitzen des Schweins zu saugen.
Über den antisemitischen Charakter dieser Skulptur gibt es keinen Zweifel, doch, so das Gericht, gebe es keinen Anspruch auf deren Beseitigung, da sie »Teil eines Ensembles sei, das eine andere Zielrichtung der Beklagten erkennen lasse«.
Dieses Ensemble besteht aus Informationstafeln und einer nur sehr schwer verständlichen Platte auf der steht: »Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Shem Ha Mphoras, den die Juden vor den Christen fast unheilbar heilighielten, starb in sechs Millionen Juden unter einem Kreuzzeichen«.
Der Judenhass, dem wir heute begegnen, kann aber nicht ohne den des Mittelalters verstanden werden, denn Antisemitismus gehört zur kulturellen DNA Europas.
Augustinus von Hippo, einer der prägenden Theologen des Christentums, formulierte im 5. Jahrhundert die »Knechtschaft« der Juden. In »Disputationen« zwischen christlichen und jüdischen Geistlichen sollten diese belegt werden; sie dienten jedoch oft der öffentlichen Herabwürdigung des Judentums. Für die Rabbiner bedeutete der Ausgang der Disputation, ob seine Gemeinde weiter am Ort bleiben durfte oder die Flucht ergreifen musste. Juden verächtlich zu machen, gehörte zum guten Ton und wurde in solchen Reliefs wie das o.a. transportiert. Außer in Wittenberg gibt es in Mitteleuropa noch ca. 30 solcher Darstellungen u.a. am Kölner, Erfurter und Magdeburger Dom.
Martin Luther kannte dieses Relief, denn er predigte in dieser Kirche. Seine antisemitischen Hetzschriften von 1543 »Von den Juden und ihren Lügen« und »Vom Schem Haphoras und vom Geschlecht Christi« bereiteten den Antisemitismus des 19. Jahrhunderts vor. Sein Judenhass wirkte aber viel schneller, denn 1570 wurde das Relief mit der Inschrift »Rabbini Schem Ha Mphoras« ergänzt. Nicht zu Unrecht sagte Julius Streicher, Gründer des Nazi-Hetzblattes »Der Stürmer«, in den Nürnberger Prozessen, dass Luther »heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank säße«.
Nach 1945 haben die Kirchen zwar erste Schritte getan, um Judenfeindschaft abzubauen. Die Debatte um die Katholische »Karfreitagsfürbitte«, aber auch das zumindest ambivalente Verhältnis der Kirchen zu Israel zeigen, auf welch dünnem Eis man sich hier bewegt.
Die Bilder des Mittelalters haben bis in die heutige Zeit überlebt, die Inhalte von damals werden heute in einem veränderten Framing wiedergegeben.
Aus diesen Gründen sollten diese »Judensäue« nicht einfach hängen bleiben, sondern müssten, in einem ausführlichen und erläuternden Kontext eingebunden, an separater Stelle (z.B. in einem Museum) präsentiert werden.
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