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Geraubte Chancen wiedergeben
27.Februar 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur
Eine Berliner Stiftung fördert seit 15 Jahren jüdische Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen
Die Geschichte des »Zurückgebens« begann als ein »Nicht-Annehmen- Wollen«. Hilde Schramm erbte nach dem Tod ihrer Mutter Bilder, die ihr Vater, NS-Rüstungschef und Architekt Albert Speer, in der Nazizeit erworben hatte. Ihre Nachforschung nach den Vorbesitzern ergab keine konkreten Anhaltspunkte. Jedoch war die heute 72-jährige Erziehungswissenschaftlerin und frühere Vizepräsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses davon überzeugt, dass die Bilder durch die damalige Überschwemmung des Marktes mit jüdischen Besitztümern in jedem Fall unter Wert erworben worden waren. Schramm war ein Erben aus solch einer Vorteilsnahme heraus zuwider. Zusammen mit anderen Frauen kam sie 1994 auf die Idee, die Bilder zu verkaufen und mit dem Erlös eine Stiftung zu gründen, die jüdische Frauen im heutigen Deutschland fördert. Der Name der Stiftung verweist auf den Umstand, dass die meisten Deutschen in irgendeiner Form von der nationalsozialistischen »Judenpolitik« profitierten und dass hier eine Möglichkeit besteht, symbolisch etwas »zurückzugeben «. Es geht nicht nur um materielle Verluste durch Raub, Enteignung, Zwangsverkäufe, sondern »um den Verlust der geistigen Existenz«. Denn »Juden wurden alle kreativen Entfaltungsmöglichkeiten genommen«, erinnert Monika Richarz, Beirätin der Stiftung und Professorin für Jüdische Geschichte. »Objekte kann man zurückgegeben, kultureller Kontext bleibt zerstört«. Dieser Schaden sei weder zu beziffern noch wieder gut zu machen. Die einzige Chance, ihn zu mindern, sehen die Stiftungsfrauen darin, die kulturelle Entfaltung jüdischer Frauen zu unterstützen und so die Lücke ein wenig zu füllen. Dabei wirke der Name der Stiftung auf viele Leute irritierend, berichten die Initiatorinnen bei einer Veranstaltung im Jüdischen Museum. Schließlich impliziert er ein Schuldbekenntnis – wer etwas zurückgibt, muss zuvor etwas weggenommen haben, was die meisten von sich weisen. Bei Teilen der ersten Generation der – unmittelbaren und mittelbaren – Profiteure werden zum ersten Mal Schuldgefühle geweckt; aber auch die Unschuld der zweiten Generation wird in Frage gestellt. Hier Mitstreiter(innen) zu finden, sei noch schwieriger. Hilde Schramm meint rückblickend, dass die Initiatorinnen ziemlich naiv gewesen seien, als sie meinten, ihre Idee würde von allen sofort und gerne mitgetragen. Man bekam zwar öffentlich Applaus, aber tatsächliche Förderer rennen der Stiftung die Türen nach wie vor nicht ein. Sie ist immer noch eine kleine Stiftung. Schramm resümmiert: »Die Stiftung will etwas Unmögliches und zugleich Selbstverständliches «. Vorstandsmitglied Christine Holzkamp übt sich in Optimismus und berichtet über ihr persönliches Motiv für die Stiftung zu arbeiten. Es sei nicht die »Pflicht«, sondern die Chance, etwas tun zu können. »Mein Vater war ein Kaufmann in Meißen, der auch von der fehlenden jüdischen Konkurrenz profitiert hat«. Symbolträchtig: Die pensionierte TU-Professorin hat ihrem Enkel auf einer Fahrt nach Dresden ein Mahnmal der Dresdnerin Marion Kahnemann gezeigt, dass an die Deportation der dortigen Juden erinnert, »in der Hoffnung, dass er richtig – in meinem Sinn – erben wird«.
Marion Kahnemann ist eine der Stipendiatinnen. Christine Holzkamp lernte sie auf einer Veranstaltung kennen, bei der die 47-jährige Bildhauerin um die Genehmigung ihres Kunstprojekts »Drei Denkorte in Dresden« kämpfte: Bänke in prominenten Parks, unter anderem an den Brühlschen Terrassen, die den anderen Bänken gleichen, aber aus Glas sind und die Aufschrift »Hinsehen « tragen (dort, wo in der Nazizeit »Für Juden verboten« stand) – ein schwieriges Unterfangen in einer Stadt, in der die NPD im Landtag sitzt. Christine Holzkamp will demnächst mit anderen Frauen die Denkorte besuchen, geführt von Frau Kahnemann. Überhaupt erzählen die Stiftungsfrauen mit Bewunderung von den Frauen, die sie durch die Stiftung kennengelernt haben: »Was für Lebensläufe! Was für Ideen!« Dabei liegt die Auswahl der zu fördernden Projekte nicht einmal in ihrer Hand: Nach Satzung besteht die Jury nur aus (drei bis fünf) jüdischen Frauen und wirkt unabhängig und anonym für die Öffentlichkeit. In Zukunft will die Stiftung ihre Stipendiatinnen noch mehr anbinden und untereinander vernetzen. Denn sie, die (bisher 70) geförderten Frauen, seien die beste Werbung für »Zurückgeben «: Autorinnen, Filmemacherinnen, bildende Künstlerinnen, Musikerinnen, Sozialwissenschaftlerinnen.
Irina Leytus
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