Beitragssuche

Datum / Zeitraum:
Beitragsart:
Kategorie:

Geldhandel, Pogrome und gotische Hochzeitsringe

01.Februar 2010 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur, Orte

Die Alte Synagoge in Erfurt, eine Mikwe und ein wiederentdeckter »Schatz« zeugen eindrucksvoll vom jüdischen Leben im deutschen Mittelalter

Schon von der Autobahn aus wirbt Erfurt inzwischen für seinen neuen »Schatz«, der in einem anderen »Schatz« seinen Platz gefunden hat. 1998 wurden 30 Kilo Edelmetall im Keller eines abgebrannten, einstigen jüdischen Hauses in der Nähe der bekannten Krämerbrücke entdeckt, nachdem sie 650 Jahre in der Erde gelegen hatten. An der Erschließung dieses nun so genannten »Erfurter Schatzes« haben Archäologen und Wissenschaftler fast zehn Jahre lang gearbeitet. Nun ist er in der ebenfalls 2009 fertig restaurierten Alten Synagoge von Erfurt zu sehen, die als »älteste bis zum Dach erhaltene Synagoge Mitteleuropas« ihrerseits mit Superlativen bedacht wird. Zu Recht.

Juden gab es in Thüringen mindestens seit dem 8./9. Jahrhundert. Schriftlich erwähnt werden Juden hier erstmals im »Erfurter Judeneid«, etwa 1183. Anfang des 13. Jahrhunderts erhielten die Erfurter Juden dann einen Schutzbrief des welfischen Kaisers Otto IV. Doch die Duldung hielt nicht lange an. 1221 metzelten friesische Kreuzfahrer und Kaufleute 26 Juden nieder und vertrieben die anderen. Auch nach der Wiederansiedlung kam es bald zu neuen Pogromen. Diesmal sollten die Juden Schuld an der Pest sein, die Mitte des 14. Jahrhunderts in ganz Europa wütete. 1349 wurde die jüdische Gemeinde von Erfurt komplett vernichtet – 900 Menschen wurden ermordet oder begingen Selbstmord. Ihre Synagoge wurde in Brand gesetzt und – da das Feuer nicht in das Innere gedrungen zu sein scheint, wie die Ausgrabungen zeigten – anschließend »umgewidmet«. Die Stadt verkaufte das Gebäude an einen Christen, der einen Speicher aus ihr machte. So war die Synagoge im Laufe der Jahrhunderte mal Warenlager, mal Kegelbahn, mal Küche und (nun ebenfalls restaurierter) Tanzsaal, wurde verändert, umgebaut, überbaut, angebaut. Und mehr und mehr vergessen.

Schließlich hat(te) Erfurt schon zwei jüdische Gotteshäuser (aber kaum Juden): die neoklassizistische »Kleine Synagoge« von 1840 (die heute als Kulturzentrum genutzt wird) und am Platz der in der NS-Zeit zerstörten Synagoge von 1884 auch den einzigen Nachkriegsbau einer Synagoge auf DDR-Terrain, die »Neue Synagoge« von 1952.

Nachdem in den letzten Jahren die Umgebungsbauten abgerissen wurden, nach Bauforschungen und Sanierungen, schälte sich jedoch auch der Kern der Alten Synagoge allmählich wieder heraus. Nun in gotischem Putz und äußerem Zustand von 1270 – mit Spitzbogenfenstern und filigran gearbeiteter steinerner Fensterrosette an der Westseite – ist inzwischen auch klar, dass es neben diversen Erweiterungsbauten bereits einen romanischen Vorgängerbau gegeben hat, dessen älteste Bauphase bis in die Zeit um 1090 zurückgeht. Zwar war der Aron Hakodesch nicht mehr auffindbar, aber die Bauhistoriker konnten unter anderem rekonstruieren, dass der Synagogenraum von einem hölzernen Tonnengewölbe überdacht war. Sie fanden ein Lichtergesims, auf dem Kerzen und Öllampen abgestellt werden konnte, da Juden (anders als Christen) im Gottesdienst Licht zum Lesen brauchten, und sie entdeckten ein weiteres ungewöhnliches Detail: die Bima war vermutlich achteckig.

Der berühmt gewordene HochzeitsringBrosche mit Rubinen und Perlen, 1. Hälfte 14. Jh.Die Alte Synagoge Erfurt nach der Restaurierung  Foto: Michael Sander

Eine andere bedeutsame Entdeckung ist die Erfurter Mikwe, eine klassische Grundwassermikwe, deren Becken einst über acht Stufen zu erreichen war. Sie wurde schon in Steuerlisten von 1248 erwähnt und auch ihre ungefähre Lage war seit langem bekannt. Tatsächlich aufgefunden wurden sie jedoch erst 2007 per Zufall.

Für den Laien ist jedoch sicherlich der »Goldschatz« am spektakulärsten. Mutmaßlich gehörte er dem jüdischen Kaufmann und Geldleiher Kalman von Wiehe, der ihn wohl noch unter seinem Haus vergraben konnte, bevor er und seine Familie, wie alle anderen Erfurter Juden, dem erwähnten Pogrom von 1349 zum Opfer fielen.

Hunderte Jahre später ist er nun zumindest wieder an einem jüdischen Ort zu sehen – als Paradestück des neuen Museums in der Alten Synagoge. In Umfang, Inhalt und Zusammensetzung sei der Fund einmalig, sagen Experten: 3141 französische Silbermünzen (so genannte Tornosen, eine damals gängige Fernhandelswährung), 14 Silberbarren, verzierte Silberbecher und -kannen, über 700 gotische Goldschmiedearbeiten – so mit Edelsteinen, Emaille-Applikationen und winzigen Tierfiguren verzierte prächtige Gewandbroschen und Gürtel. Drei Restauratoren arbeiteten zwei Jahre lang an der Restaurierung des Fundes und für etliche der Stücke gibt es bisher keine Parallelen.

Aus dem Mittelalter kennen wir vor allem kirchliche oder höfische Preziosen. Der Erfurter Schatz enthält jedoch privaten Schmuck – Stücke, die Männer ihren Frauen geschenkt haben mögen: hier Amors Pfeil und Bogen, dort Miniatur-Liebespaare und Gravuren wie »Amor vincit omnia« (Liebe besiegt alles) oder »Owe mins h« – vermutlich der Anfang eines damaligen Hits des Minnesängers Ulrich von Singenberg: »Owe mins herzen herze«.

Das einzige, völlig zweifelsfrei jüdische Schmuckstück ist ein Hochzeitsring; bisher sind nur zwei weitere solcher Ringe aus dem 13./14. Jahrhundert bekannt. Jüdische Hochzeitsringe zeigten üblicherweise symbolträchtige Miniaturgebäude, waren aus purem Gold, da sie den Brautpreis symbolisierten, wurden nur während der Trauzeremonie getragen und oft weiter vererbt. Der Erfurter Ring, dessen Aufbau wohl den – von zwei geflügelten Drachen getragenen – in die Gotik »übersetzten« Jerusalemer Tempel darstellen soll, ist fünf Zentimeter hoch. Er trägt die hebräische Inschrift »Masal Tow«, die Unterseite ist mit verschlungenen Händen verziert und im Inneren ist ein kleine Kugel eingearbeitet, die bei Bewegung leise klingt. Ein faszinierendes, phantasieanregendes Stück. Um so durchdachter wirkt, dass die Stücke ohne billige Effekthascherei schlicht und stilvoll präsentiert werden. Natürlich legt man in einem Museum, das sich dem jüdischen Mittelalter widmet, auch Wert auf die jüdische Gelehrsamkeit der Zeit, die anhand faksimilierter Handschriften, deren Originale in Berlin lagern, illustriert wird: Bibeln, Torarollen, der älteste Judeneid in deutscher Sprache. In erster Linie aber spricht das, nach modernsten denkmalpflegerischen Kriterien zurückhaltend restaurierte Gebäude, die Synagoge selbst, für sich und die Geschichte.

Neben der Prager Altneuschul hat Erfurt nun die bedeutendste mittelalterliche Synagoge in Mitteleuropa. Nachlesen und -schauen lässt sich die aufregende Geschichte der Synagoge und des Schatzes und beider Wiederentdeckung in zwei liebevoll gestalteten kleinen Büchern der Erfurter Stadtverwaltung. Schöner kann eigentlich nur ein persönlicher Besuch der thüringischen Kleinode sein.       

Judith Kessler