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Gedenken international denken
01.April 2010 | Beiträge – jüdisches berlin | Gedenken
Jonas Fegert (19) von der Jüdischen Oberschule hat sich Gedanken über die Erinnerungskultur in Polen und Deutschland gemacht
Immer kehrt sie wieder: die Debatte darüber, wie das Erinnern an die Schoa in Deutschland aussehen soll. Hier wird über ein Denkmal diskutiert, dort geht es um den Schulunterricht oder darum, ob in Deutschland ein Äquivalent zum Jom Haschoa benötigt wird. Doch wie sieht eigentlich Gedenken in anderen Ländern aus?
Als Schüler der Jüdischen Oberschule und Mitglied einer Jugendbegegnung nahm ich am 27. Januar an der Gedenkstunde im Bundestag teil, die seit 1996 jedes Jahr zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus stattfindet. Die meisten Treffen der Jugendbegegnung fanden jedoch in Polen statt. In und um Warschau besichtigten wir verschiedene Institutionen, befassten uns mit dem Thema »Erinnerungskultur« und sprachen mit Zeitzeugen. So besuchten wir ein Museum über den Warschauer Aufstand. Sein pädagogischer Anspruch ist es, Geschichte begreifbar und greifbar zu machen. Dies geschieht wie folgt: Geht man durch die Ausstellung, dröhnen von allen Seiten Geräusche von Flugzeugen und Bombenangriffen, und um das Leben im Untergrund deutlich zu machen, wurde ein Abwasserschacht nachgebaut, den man auf allen Vieren durchqueren kann. Mir scheint es sehr fraglich, ob solch ein Konzept, das dem eines Erlebnisparks ähnelt, dem historischen Ereignis gerecht wird.
Wir waren auch im Institut für Nationales Gedenken (IPN), einer Einrichtung, die das zentrale polnische Geschichtsarchiv verwaltet und den Bildungsauftrag für die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus hat.
Polen hat im 20. Jahrhundert viel Leid erfahren – von deutscher wie von sowjetischer Seite. Das darf allerdings nicht dazu führen, dass diese beiden Gewaltsysteme gleichgesetzt werden. Der Leiter des IPN, Jerzy Eisler, sagte jedoch zu meinem Entsetzen: »Man kann die Verbrechen der beiden Systeme gut vergleichen, wenn man die Schoa ausklammert«. Im Folgenden erwähnte er die Schoa auch nicht mehr und sprach auch nicht über die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager. Gerade in einem solchen Institut hätte ich diese fatale Ausblendung von Geschichte nicht erwartet. Sie wirft ein Schlaglicht auf die Art und Weise, wie die Debatte in Polen oftmals geführt wird.
Auch mir scheint, dass sich das polnische Gedenken summa summarum mit den polnischen Opfern beschäftigt und dabei die jüdischen Opfer vernachlässigt oder sie als Polen deklariert. So müssen beispielsweise Historiker immer wieder darum kämpfen, dass auf polnischen Gedenktafeln benannt wird, dass es um Menschen geht, die ermordet wurden, weil sie Juden waren und nicht weil sie Polen waren.
Dies erinnert an die Klassifizierung der Opfergruppen, wie es sie auch in der ehemaligen DDR gab. Der Geschichtsprofessor und Schoa-Überlebende Feliks Tych, den wir trafen, nannte es treffend einen »Wettbewerb um den Opferstatus«.
In Treblinka, wo über 900 000 Menschen ermordet wurden, hätte ich einen Ort angemessenen Gedenkens erwartet. Vielleicht ein Museum, das Bildungsarbeit leistet und umfassend informiert. Leider fanden wir das Gegenteil vor: ein Museum mit zwei kleinen Räumen, dem es an fast allem mangelt – an Personal, an politischer und an finanzieller Unterstützung. Und auch das Museum selbst gibt es erst seit drei Jahren. Ermöglicht wurde es durch eine großzügige Privatspende.
Schon in Deutschland kritisiere ich oft die chronische Unterfinanzierung der Gedenkstätten, doch wenigstens werden diese hier noch mit staatlichen Mitteln unterstützt. Die polnische Regierung tut hingegen definitiv zu wenig für eine Aufarbeitung der Geschichte, der polnisch-jüdischen Geschichte. Doch auch die deutsche Regierung ist in der Pflicht, Polen zu helfen, Unterstützung zu leisten und zu zeigen, welche Konzepte der Erinnerungskultur es gibt. Das jüdische Leben in Polen wurde durch die Schoa so nachhaltig geschädigt, dass dort bis heute kaum jüdisches Gemeindeleben existiert. Deshalb sind auch wir als jüdische Gemeinden gefordert, die Politik darauf aufmerksam zu machen, wenn es denn kein anderer tut, dass Gedenken und Erinnern an die jüdischen Opfer in Polen die Beachtung finden muss, die es verdient.
Die Gedenkstätte Auschwitz erhält als Symbol für das Verbrechen an der Menschheit internationale Aufmerksamkeit. Andere Orte dürfen deswegen aber nicht »unter den Tisch« fallen.
Als Mitglied der Jugendbegegnung konnte ich auch einen, wie ich finde, sehr gelungenen Moment deutschen Gedenkens kennenlernen: die Gedenkstunde des Deutschen Bundestags am 27. Januar 2010, die auch in den Medien starke Beachtung fand. Gedenken »funktioniert« oft nur, wenn es verschiedene Perspektiven einbezieht – so sprachen bei dieser Veranstaltung neben dem Bundestagspräsidenten Norbert Lammert auch Feliks Tych und der israelische Staatspräsident Shimon Peres, die den Anwesenden eine ganz andere Perspektive als ihre Vorredner vermittelten. So gedachte Peres in seiner Rede den ermordeten Juden mit dem Kaddisch-Gebet – im Reichstagsgebäude eine sehr große Geste.
Gedenken muss verschiedene Perspektiven einbeziehen und darf keine Gruppen ausschließen. Es darf nicht hierarchisieren oder klassifizieren. Gedenken gelingt dann, wenn es den Menschen eine neue Sicht, eine neue Idee mitgibt, die ein Begreifen der Geschehnisse und ein Mitfühlen möglich macht.
Einmal mehr hat mir diese Jugendbegegnung gezeigt, wie wichtig es ist, sich bei der Erinnerungskultur nicht nur auf den regionalen und nationalen Raum zu beschränken: Wir müssen international gegen das Vergessen arbeiten.
jüdisches berlin
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