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Freimaurervorträge, Hochzeiten, Sprachkurse
02.Mai 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Orte
Die Räumlichkeiten in der Joachimstaler Straße 13 haben eine fast 110-jährige jüdische Vergangenheit
Die meisten Gemeindemitglieder kennen die Joachimstaler Straße 13, einen Steinwurf vom Kudamm entfernt. Jahrzehntelang befand sich hier nicht nur eine Synagoge, sondern man suchte auch die Rabbiner auf, die hier ihre Büros hatten, meldete die Kinder in der Kultusverwaltung zur Bar Mizwa an, trat in die Gemeinde ein (oder aus), holte als Zuwanderer sein »Begrüßungsgeld« bei der Sozialabteilung ab, besuchte diverse jüdische Organisationen wie WIZO, Sochnut und KKL oder den legendären Studentenkeller. Und Generationen von Gemeindemitgliedern haben sich hier als Kinder jeden Sonntag im Jugendzentrum der Gemeinde getroffen, das noch immer seinen Sitz hier hat. Doch der Gebäudekomplex hat eine längere und wechselvolle jüdische Geschichte.
1901 reichte der Berliner Architekt Siegfried Kuznitzky (1845–1922) bei der Baupolizei Charlottenburg im Auftrag der Logenbau-Gesellschaft mbH zu Berlin Entwürfe zum Bau eines Wohnhauses und eines Logengebäudes auf dem Grundstück Joachimstaler Straße 13 ein. Mit der Ausführung der Bauarbeiten wurde das Schöneberger Baugeschäft Eckert & Danneberg betraut.
Hinter der Logenbau-Gesellschaft stand als Bauherrin die jüdische Loge Bne Briss (B’nai B’rith), die 1843 in New York als Loge von jüdischen Einwanderern zur Förderung von Wohlfahrt, Humanität und Judentum gegründet worden war und die seit 1882 auch Filialen in Deutschland hatte.
Das Logengebäude, in dem sich heute die »Synagoge Joachimstaler Straße« befindet, wurde als Quergebäude im Hof des Grundstücks angelegt. Kuznitzky arbeitete an diesem Ensemble historisierend mit Stilelementen der Renaissance und des Barock. Im Vorderhaus befanden sich Wohnräume, ein ursprünglich geplantes Restaurant genehmigte die Behörde nicht.
Den Zweck des Quergebäudes erläuterte der Architekt gegenüber der Baupolizei schriftlich: »Das Hintergebäude soll für den Zweck der Freimaurer Loge dienen. Die Facade ist im strengen Renaissance Styl gehalten, der Würde des Gebäudes entsprechend. Der Frontispice des eigentlichen Logenhauses, der architectonisch zur Facade gehört, soll nicht nur die unschöne Dachneigung verdecken, sondern harmonisch wirken und in seiner Fläche die Embleme der Loge enthalten…«.
Im Erdgeschoss des Logenbaus befanden sich ein Bankettsaal für 400 Personen, ein Vorzimmer, eine Vorhalle sowie eine Garderobe. Der Saal hatte einen Ausgang zum Haupthof und einen zweiten zu einem Nebenhof. Im Keller war neben Wirtschafts- und Heizungsräumen ein Weinkeller geplant. Im ersten Geschoss befand sich neben den Galerien für 38 bzw. 60 Personen noch ein »kleiner Saal« mit 368 Sitzen.
Im zweiten Obergeschoss – zu dem zwei massive Treppen heraufführen – waren der Logensaal mit 140 Plätzen und einige Nebenräume untergebracht. Die Sitze im Logensaal waren links und rechts vom Mittelgang angeordnet, an dessen Ende sich ein Podest mit Pult und Sitznischen befand. Die Beleuchtung wurde »durch ein doppeltes Oberlicht in welchem Ventilationsvorrichtungen angebracht sind, bewirkt, außerdem durch seitliche Fenster, die vermittelst Fürstenberg’scher Stellvorrichtungen geöffnet werden«, so der Architekt.
Im September 1902 meldet Kuznitzky der Baubehörde, dass der Bau zur Gebrauchsabnahme bereit ist.
Über die Nutzung des Hauses berichtet die Logenbaugesellschaft 1907 der Baupolizei: »…wir vermieten nur für Hochzeits- oder Geburtstagsfeierlichkeiten sowie für Wohltätigkeitskonzerte und für Vorträge solcher Vereine, die rein ethischer Natur sind oder Bildungszwecke verfolgen. Besonders Vereine, welche den Bestrebungen des Freimauerbundes nahe stehen. Vorträge, Konzerte wurden in den Jahren 1903–04 regelmäßig bei dem 8. Polizei-Revier angemeldet…«.
Nachdem das Grundstück 1932 unter Zwangsverwaltung stand, erwarb es die Jüdische Gemeinde zu Berlin. Ende 1933 erfolgten Umbauten im Auftrag der Jüdischen Künstlerhilfe, die dort Kulturveranstaltungen ausrichtete. 1935 wurde das Logenhaus nach Plänen des Architekten Julius Lichtenstein (1877–1939) erneut umgebaut – nun zu einem Schulgebäude. Es entstanden im Erdgeschoss eine Turnhalle und im ersten Obergeschoss Klassenräume sowie eine Aula. Der Bildungsverein der Jüdischen Reformgemeinde begründete hier die Joseph-Lehmann-Schule, eine private jüdische Volksschule, die Kinder aufnahm, die von städtischen Schulen ausgeschlossen wurden. Innerhalb des ersten Jahres nach Eröffnung verdreifachte sich die Zahl der Schüler und Lehrkräfte. Aufgrund der Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung war zunehmend mehr Platz nötig: 1936 wurde nach Plänen des Gemeindebaumeisters Alexander Beer (1873–1944) auch das bisher noch als Wohnhaus dienende Vorderhaus zu Unterrichtszwecken umgebaut: hier zog zusätzlich die Holdheim-Schule (Realgymnasium der Reformgemeinde) ein und die Private Handelsschule der Jüdischen Gemeinde, der seit Oktober 1936 auch die Sprachenschule der Gemeinde angegliedert war.
Bereits 1938 wurde der Saal im zweiten Obergeschoss im Quergebäude für den Gottesdienst der Liberalen und der Reformgemeinde genutzt. Im Dezember 1940 reichte Alexander Beer Entwürfe zum Umbau des zweiten Obergeschosses ein. Zuletzt waren hier vier Klassenräume, eine Aula mit 200 Plätzen, ein Podium bzw. ein Bima mit Toraschrank sowie eine Orgelempore untergebracht. Bis am 11. Juni 1943 die Gestapo das Grundstück beschlagnahmte. Ein knappes Jahr später ist laut Bauakte das Deutsche Reich der »Eigentümer«.
Die Joachimstaler Straße 13 wurde durch Kriegseinwirkungen beschädigt, jedoch nach der Befreiung wieder instand gesetzt. Der Betraum diente nach 1945 wieder dem Gottesdienst. Im Souterrain wurde 1950 eine Mikwe eingebaut und 1951 auf dem zweiten Hof eine Geflügelschächterei eingerichtet. 1955 öffnete im Vorderhaus ein jüdischer Kindergarten und 1964 im obersten Geschoss ein Kinderhort. Zuvor, 1960, wurde der frühere Logensaal im Erdgeschoss als orthodoxe Synagoge für 300 Personen eingerichtet. Später bezogen auch Niederlassungen jüdischer Organisationen sowie die Gemeindeverwaltung das Vorderhaus. In der Synagoge Joachimstaler Straße amtiert heute Rabbiner Yitzhak Ehrenberg. Im Erdgeschoss des Vorderhauses bietet die »Literaturhandlung« Judaica an.
Daniela Gauding/JUK
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