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Fragen an den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin zur Repräsentantenwahl 2019
01.Januar 1970 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde
»jüdisches berlin«: Stimmt es, dass die Wahlen zur Repräsentantenversammlung in diesem Jahr nicht mehr stattfinden?
Dr. Gideon Joffe: Ja.
jb: Warum?
GJ: Es haben sich diesmal insgesamt nur 21 Kandidatinnen und Kandidaten beworben und es gibt 21 Sitze in der Repräsentantenversammlung. Das heißt, dass jede Kandidatin und jeder Kandidat einen Sitz bekommt, sofern sie alle Voraussetzungen erfüllen.
jb: Wer bestimmt die Voraussetzungen und wer prüft sie?
GJ: Alle Voraussetzungen für die Zulassung sind in der Wahlordnung geregelt. Die Prüfung obliegt allein dem Wahlausschuss.
jb: Erlaubt die Wahlordnung, dass eine Wahl einfach nicht stattfindet?
GJ: Ja. Es gibt in der Wahlordnung eine genaue Regelung dazu. Darin steht ausdrücklich, dass eine Wahl nicht mehr stattfindet, wenn nicht mehr als 21 Kandidaten zur Wahl zugelassen wurden. Die in der Wahlliste aufgenommenen Kandidatinnen und Kandidaten werden ohne Wahl zu Repräsentanten berufen (§ 15).
jb: Ist diese Regelung neu?
GJ: Nein. Diese Regelung existiert schon seit Jahrzehnten.
jb: Gab es diese Situation schon einmal, dass es nur so viele Kandidatinnen und Kandidaten gibt wie Sitze?
GJ: Ja, diese Situation gab es schon zweimal in der Geschichte der Gemeinde. 1973 und 1977 fanden ebenfalls keine Wahlen statt. Das war zur Zeit von Galinski sel. A. Es besteht also Grund zur Hoffnung, dass die Gemeinde sich wieder langsam in das ruhige Fahrwasser begibt, was es seit der Ära Galinski so nicht mehr gab.
jb: Im künftigen Parlament der Berliner Jüdischen Gemeinde wird es keine Vertreter der Opposition geben. Stimmt das?
GJ: Aktuell zeichnet sich ab, dass es wahrscheinlich keine Vertreter der Opposition im klassischen Sinne geben wird. Zumindest ist keiner der Oppositionsvertreter der letzten Legislatur zur Wahl angetreten. Glücklicherweise haben wir aber eine so bunt zusammengesetzte Gruppe, dass zu jedem Thema genug kritische Stimmen laut werden. Alle Themen werden bei uns sehr offen und lebhaft diskutiert.
jb: Welches Parlament ist demokratischer zusammengesetzt, das aktuelle mit Opposition oder das künftige ohne Opposition?
GJ: Die letzten vier Jahre haben wir schon praktisch ohne Opposition gearbeitet, weil bei den Sitzungen die Stühle der Opposition meistens leer blieben. Künftig werden alle Stühle im Parlament besetzt sein und alle KOACH-Repräsentanten sind bereit, für die Gemeinde die Ärmel hochzukrempeln. Beide Parlamente, das aktuelle und das zukünftige, wurden demokratisch zusammengesetzt. Auf jeden Fall aber ist die Zusammensetzung diesmal ehrlicher. Lieber keine Opposition als eine, die Sitze blockiert, selber nicht kommt und andere am Mitarbeiten hindert. Am besten aber ist natürlich eine funktionierende und konstruktive Opposition.
jb: Was verrät die aktuelle Situation über das Interesse der Mitglieder an ihrer Jüdischen Gemeinde?
GJ: Wir sehen die aktuelle Situation als Bestätigung unserer Arbeit der letzten Legislatur an. Wir haben sehr viel Kraft und Herzblut in die Stabilisierung der finanziellen Situation der Gemeinde und den Ausbau unserer Institutionen gesteckt. Ein weiterer Schwerpunkt war auch das Thema Sicherheit unserer Einrichtungen. Wir danken unseren Mitgliedern für das entgegengebrachte Vertrauen und diesen klaren Auftrag für die kommende Legislatur.
jb: Wie ist Ihre Prognose für die nächsten Wahlen? Werden wieder mehr Mitglieder kandidieren?
GJ: Davon gehe ich aus. Wahlen in der Berliner Gemeinde waren schon immer sehr turbulent. Die Gemeinde ist in diesem Jahr erstmals nach vielen Jahrzehnten in ruhiges Fahrwasser gekommen, auch weil die Messlatte für andere Kandidaten sehr hoch war. Ich habe eine Gemeinde übernommen, die vor dem Konkurs stand und mit dem Land als Bittsteller verhandeln musste. Das KOACH-Team hat für die Gemeinde sehr zähe Gerichtsverhandlungen durch mehrere Instanzen geführt, die Gemeinde auf solide finanzielle Beine gestellt und die Gespräche mit politischen Partnern führt die Gemeinde auch wieder auf Augenhöhe.
Die Erfolge der KOACH-Gruppe wirken nach, doch das kann in vier Jahren wieder anders wahrgenommen werden. Nach den Wahlen ist wieder vor den Wahlen. Diese Devise hilft, damit man sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruht.
jb: Was sehen Sie aktuell als Ihre wichtigste Aufgabe an?
GJ: Für uns prioritär ist die Sicherheit unserer Institutionen. Schon weit vor Halle haben unsere Gespräche mit den Berliner Sicherheitsbehörden begonnen. Als Gemeinde haben wir unsere eigene Sicherheitsgefährdung höher eingestuft als die Sicherheitsbehörden vor Ort. Die Gemeinde hat hohe Personalkosten für die Sicherheit der jüdischen Institutionen allein gestemmt, ohne Aufstockung durch die Sicherheitsbehörden. Wir können von Glück reden, dass unsere Gemeinde wieder so stark und unabhängig ist, dass sie für ihre Sicherheit sorgen konnte. Langfristig hätten wir das nicht durchhalten können und wären wieder in eine finanzielle Schieflage gekommen. Die Mittel fehlen dann an anderer Stelle. Wir freuen uns und sind den zuständigen Vertretern des Landes Berlin sehr dankbar, dass die Gespräche für ein besseres Sicherheitskonzept konstruktiv verlaufen.
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