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Eupaforice und Mahlers Vierte
01.Juni 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur
Die israelische Sopranistin Tehila Nini Goldstein hat Berlin zu ihrer zweiten Heimat gemacht
Ihre Großeltern mütterlicherseits stammen aus dem Jemen. Die Vorfahren von Vaters Seite sind russisch-polnisch-litauisch-deutsch gemixt und konnten rechtzeitig in die USA auswandern. Hier wurden ihr Vater und sie geboren. Die Sängerin Tehila Nini Goldstein, heute 30, ist in Israel aufgewachsen und hat an der Buchmann-Mehta School of Music in Tel Aviv Gesang studiert, ihre Stimme liegt zwischen Sopran und Mezzosopran.
Schon als Jugendliche sang sie im Ankor Chor unter Claudio Abbado, Kurt Masur und Zubin Mehta. Später war sie als Solistin mit dem New Yorker National Opera Center Symphony Orchestra, dem Israel Chamber Orchestra und dem auf zeitgenössische Musik spezialisierten Ensemble Meitar in ganz Europa und Amerika zu hören.
2007 kam Tehila nach Berlin. Ihr Gesangslehrer in New York hatte ihr gesagt, Berlin sei wie New York in den Siebzigern: offen und preiswert. Und sie fand New York, aber auch Tel Aviv, zu schnell, zu hektisch, zu geld- und karriereorientiert. Berlin hat ein gesünderes Tempo, findet Tehila. Hier könnten Musiker von ihren Engagements auch leben, es sei weniger aggressiv und sie mag sogar das Wetter. »Ich liebe den Winter und die Kälte, dann fühle ich meinen Körper richtig. Wenn ich Sonne brauche, fahre ich nach Israel.«
Während der jemenitische Teil ihrer Familie kein Problem mit ihrem Umzug nach Berlin hatte, war ihr Vater strikt dagegen, dass Tehila nach Deutschland geht und akzeptierte es letztlich nur zähneknirschend, »solange du uns keine deutschen Enkel anbringst«.
Berlin gefällt ihr, weil es sich wie eine Kleinstadt anfühlt. »Es gibt all diese Kieze, man kennt die Nachbarn mit Namen und lächelt sich an. Man wird akzeptiert, wie man ist.« Tehila hat die ersten Jahre in Kreuzberg gelebt und sich dort »unheimlich wohlgefühlt« zwischen den vielen verschiedenartigen Leuten. »Ich habe Deutsch von Türken gelernt, für einen Kurs hatte ich nie Zeit.« Und sie sei immer glücklich gewesen, wenn sie von irgendwo hierher zurückgekommen ist, »nach Hause«.
Jetzt wohnt die Sängerin in Schöneberg, findet es aber inzwischen zu chic und yuppiehaft. Sie mag das Aufgedonnerte nicht und schon gar nicht ihren Hausbesitzer, ihren persönlichen »bösen Deutschen«.
Als sie herkam, ganz am Anfang, hatte sie vorgehabt, das Thema Schoa einfach zu ignorieren. »Aber egal, wo du hinkommst, die Vergangenheit ist schon da, springt dich an«. Tehila erinnert sich, wie sie am Holocaustgedenktag mit anderen Israelis in der Wannseevilla auftreten sollte und zum ersten Mal bewusst ein Foto von Eichmann sah. »Er sah absolut freundlich aus, ein nice guy. Das war total schockierend«, und nach einer Pause: »Alle Musiker, außer mir, hatten Verwandte in der Schoa verloren, manche weinten. Der ganze Tag war ein einziger Horror.«
Dann sei sie eines Tages mal auf einem alten Friedhof spazieren gegangen, und »plötzlich sah ich zwischen den wunderschönen großen alten Grabmälern dutzende kleine identische Platten, auf denen überall ein Todestag aus dem Krieg stand. »Da ist mir bewusst geworden, dass auch die Deutschen krank sind, dass sie alle jemanden verloren haben, aber nicht darüber reden dürfen, weil sie die Täter sind.« Sie spüre das hier in den Familien, sagt die Sängerin, »die Trauer, das Schweigen zwischen den Generationen.« Die Deutschen findet sie romantisch, tiefsinnig, aber sie hätten alle »diesen einen traumatischen Moment. Diese Verse, die ich singe, Heine, Eichendorff, das kommt doch von ganz tief… Und dann plötzlich wieder: so ein ekliger Schalterbeamter oder der Hausbesitzer.«
Bei aller Sympathie für die Berliner sind die meisten ihrer Bekannten hier Israelis, und Musiker. Auch ihr Freund Assaf – er spielt Violine an der Komischen Oper. Tehila kommt aus einer religiösen, geselligen Familie. Ein Großvater war Rabbiner in Osteuropa und einer der jemenitischen Urgroßväter war Lehrer in einem Cheder. »Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen. Kein Schabbat ohne reichlich Lieder vor und nach dem Essen. Das fehlt mir hier natürlich und das versuche ich zu kompensieren, indem ich an Feiertagen immer ganz viele israelische Freunde einlade. Weil aber keiner die jemenitischen Traditionen kennt, bringt jeder etwas anderes ein.« Sie beschreibt, wie unterschiedlich ein Chad Gadja beispielsweise ausfallen kann, je nachdem, wo jemand herkommt. »Das hätte ich in meinem Umfeld in Israel vermutlich nie erlebt, dazu musste ich erst nach Berlin kommen.«
Zu Tehilas professionellem Repertoire gehören allerdings andere Stücke: Mozarts Pamina, Händels Alcina oder Purcells Belinda, Mahlers 4. Symphonie, Berlioz‘ »Les nuits d‘été« und das 7. Madrigalbuch von Monteverdi. Sie mag besonders Stücke der Romantik, des 20. Jahrhunderts und israelische Musik. Aber Tehila will »in keiner Schublade sitzen« und »nicht immer dasselbe machen, eben nicht nur Opern.« Kein Wunder: Sie kommt aus einer ausgesprochen vielseitigen und musikbegeisterten Familie. Ihre Cousine Achinoam Nini ist mit ihrem Weltmusikrepertoire unter dem Namen »Noa« auch international bekannt, und ihre Oma Rachel hat ihr »eine Unmenge jemenitischer Lieder beigebracht«, die Tehila gerne weitergeben würde. Vorerst sind jedoch europäische Werke an der Reihe. Im März sang sie beispielsweise mit offensichtlichem Spaß im Jüdischen Museum das von Jascha Nemtsov zusammengestellte und am Klavier begleitete Programm »A Kapelle Konzertisten«. Es vereinte in den Zwanziger Jahren in Berlin aufgeführte Werke russisch-jüdischer Migranten wie Mosche Milner und Joseph Achron, die neuhebräische Dichtungen vertonten, aber auch Kinderlieder mit wunderbaren Titeln schrieben, so »Hüpfen mit ausgestreckter Zunge« oder »Wie langweilig, was könnte ich mir ausdenken?!«
Tehila Nini Goldstein ist weit im Voraus ausgebucht und reist viel. Allein in dieser Saison sang sie bereits in Cavallis Oper »La Didone« in Luxemburg und Paris, bei den Dresdener Musikfestspielen und bei der Münchener Biennale die Hauptpartie in der Uraufführung von Sarah Nemtsovs Oper »L‘Absence«. Im Juni ist sie wieder in Berlin und Potsdam, wo sie die weibliche Hauptrolle, die Aztekenkönigin Eupaforice, in der Barockoper »Montezuma« von Carl Heinrich Graun singen wird, für die Friedrich der Große höchstpersönlich das Libretto geschrieben hat und die 1755 in der Staatsoper Unter den Linden uraufgeführt wurde.
Judith Kessler
_»Montezuma«: 9.+10.6., 19 Uhr, Schlosstheater Neues Palais, Potsdam, Karten (16–65,-): www.nikolaisaal.de
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