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Es muss nicht immer ein Verein sein

01.März 2010 | Beiträge – jüdisches berlin | Menschen

In Berlin treffen sich englisch- (und anders-)sprachige Juden regelmäßig an verschiedenen jüdischen Stammtischen

Er ist einer der vielen »Sprösslinge« von Irene Runge, der Gründerin des Ende 2009 »ad acta« gelegten Jüdischen Kulturvereins Berlin – der englischsprachige Stammtisch »Schmooze«. Seit etwa fünf Jahren kommen jüdische Berliner und Berlinerinnen jeden zweiten Dienstag in ein gemütliches Café, meistens am Rosenthaler Platz in Mitte, um sich zu treffen, wiederzusehen, zu trinken, zu essen und Netzwerke aufzubauen: »meet, greet, drink, eat and network together«. Der Name dieses Stammtisches ist Programm, denn das englische Wort »Schmooze« kommt aus dem Hebräisch-Jiddischen und heißt so viele wie plaudern und locker unterhalten (im amerikanischen Englisch gibt es sogar den Begriff des »power schmooze«, was die Kompetenz für das Anknüpfen und Unterhalten von Geschäftskontakten meint und in Deutschland als »Vitamin B« mit eher negativem Beigeschmack behaftet ist). Zum Glück ist der Ton beim »Schmoozeday« locker und gelassen, wenn auch hier nebenbei natürlich berufliche und andere nützliche Kontakte entstehen.

Der Ton ist Jeremy Woodruff zu verdanken. Der Musiklehrer aus den USA, der die Organisation dieses Stammtisches übernommen hat, begrüßt jeden Neuankömmling herzlich und gibt schon mal die ersten Tipps, wer mit wem gemeinsame Themen haben könnte. Aber prinzipiell kommt jeder mit jedem ins Gespräch. Die meisten der Teilnehmer stammen aus der USA und Israel, aber auch aus anderen Ländern, die ihre jüdischen Töchter und Söhne nach Berlin „entsendet“ haben. Auf die Anmerkung hin, dass Irene Runge wohl die einzige deutsche Jüdin am Tisch sei, stellt sich heraus, dass auch sie amerikanische Staatsbürgerin ist. Die anderen Teilnehmer sind meist jünger, viele Freischaffende, aber auch Ingenieure, Journalisten und... Rabbiner. Jeremy Milgrom, der konservative Rabbiner aus Israel, vertritt die israelische Friedensbewegung und ist Mitbegründer der Jüdisch-Islamischen Gesellschaft, aber im »St. Oberholz« spricht er nicht über Politik, sondern über Musik und natürlich über sein Leben in Berlin.

Berlin ist überhaupt das Thema des Stammtisches: Alle hier fühlen sich wohl in der Stadt. Einigkeit herrscht über die Vorzüge Berlins mit seiner vielfältigen Kultur und den vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten. Auch gäbe es hier viele Juden aus aller Welt. Paradox, aber die größte Jüdische Gemeinde in Deutschland scheint hier am Tisch keine Rolle zu spielen. Wenn sie mit anderen Juden zusammen sein wollen, kommen diese Juden jedenfalls hierher und nicht in die Gemeinde.

Es muss nicht immer ein Verein sein

Ein anderer jüdischer Stammtisch ist doppelt so alt wie »Schmooze« und hat tendenziell auch ältere Teilnehmer: die Gruppe trifft sich ein Mal im Monat in einem vegetarischen Restaurant, damit »alle Juden, ob religiös oder säkular, zusammen essen können«. Hier trifft man sich zwar seltener als beim »Schmoozen« , dafür sind die Kontakte länger anhaltend und der Kreis der Teilnehmer ist stabiler. Pesha Rudin spricht von ihrem Bedürfnis, mit anderen Juden im Kontakt zu sein, um so mehr, wenn man weit von der Heimat entfernt ist. Die Organisatorin Laura Radosh kommt wie Pesha Rudin ebenfalls aus der USA und arbeitet in Berlin als Übersetzerin: »Ich fand es so nett, dass es so eine wunderbare Möglichkeit gibt, jüdische Freunde und Bekannte zu treffen. Also habe ich die Organisation gern von Sandra Lustig übernommen, die nach Hamburg gezogen ist. So viel Arbeit es ist ja auch nicht!« Die Mailingliste von Laura besteht aus etwa 250 Adressen, zusammen kommen immer um die 25 Personen in der Kreuzberger »Seerose« am Mehringdamm.

Nicht explizit jüdisch, aber mit vielen jüdischen Teilnehmern ist der Treffpunkt von Charles Clawson. Die Veranstaltungen hier haben keinen Jour-Fix-Charakter wie die anderen zwei Stammtische, dafür geht es hier schon mal edel zu: eine World Language Party im Sony Center oder eine Boat Party in Kooperation mit dem Institut für kulturelle Diplomatie. Für Barry Baruch, einen Computerspezialisten aus Israel, ist es eine wertvolle Möglichkeit, Menschen aus aller Welt, auch aus Deutschland kennenzulernen und Kontakte zu potenziellen Kunden zu knüpfen. »Als ich vor drei Jahren nach Berlin kam, kannte ich keinen Menschen hier und konnte kein Deutsch. Dank solcher Treffpunkte bin ich mittlerweile gut vernetzt. Interessanterweise kam ich über den englischsprachigen Treffpunkt an die Deutschen heran und kann nun auch auf Deutsch kommunizieren.«     

Irina Leytus

jeremy@neue-musikschule-berlin.de 

j.stammtisch@gmx.de

www.english-events-in-berlin.de