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»ER segnet den Bräutigam und die Braut«

28.September 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Religion

Über die Chuppa als Fundament einer jüdischen Ehe

Eine jüdische Hochzeit in Deutschland ist immer noch ein besonderes Ereignis, in Berlin aber keine Seltenheit mehr. Viele Paare – ob jung oder schon älter – entscheiden sich inzwischen wieder für eine Chuppa. Einzige Voraussetzung: beide Partner müssen jüdisch sein, also als Sohn oder Tochter einer jüdischen Mutter geboren oder zum Judentum konvertiert sein. Wenn sich ein Paar zum großen Schritt bereit fühlt, wird zunächst ein Rabbiner gesucht, der das Paar durch die aufregende Zeit der Vorbereitungen begleitet.

Der erste Schritt ist eigentlich schon das rituelle Untertauchen der Frau in einer Mikwa – Berlinerinnen haben sogar drei wunderbare Mikwaot zur Auswahl. Im Optimalfall lernt die Braut mit der Rabbanit die Halachot, die Gesetze des Untertauchens, um das richtige Verständnis und ein gutes Gefühl für den Vorgang entwickeln zu können. Denn damit erreicht die Frau den höchsten Grad der spirituellen Reinheit und ist für den großen Tag bereit.

An diesem sitzen die weißgekleidete und top-frisierte Braut, ihre Mutter und die Schwiegermutter auf speziell dekorierten Stühlen und empfangen die kommenden Gäste, »Kabbalat Panim« genannt. Die Gäste sprechen allen drei Frauen ihre Glückwünsche aus und können die Kalla um eine Bracha, einen Segen, bitten. Die Braut soll an ihrem Hochzeitstag nämlich übernatürliche Kräfte haben: sie kann für die Gesundung von Kranken, für eine baldige Heirat oder auch für reichen Kindersegen gebeten werden. Die Kalla und der Chatan haben den ganzen Tag weder gegessen noch getrunken – für sie ist es ein kleiner Jom Kippur, daher kommt ihre besondere Heiligkeit.

Währenddessen schreiben die Rabbiner unter den wachsamen Augen der Väter von Braut und Bräutigam die Ketuba, den Ehevertrag, der von zwei Zeugen unterschrieben wird. Soweit alles fertig ist, führen Vater und Schwiegervater den Chatan auf Anweisung des Rabbiners zu der Kalla. Hinter ihnen laufen alle Männer und es wird gesungen. Der Chatan vergewissert sich nochmals, dass die richtige Dame vor ihm sitzt, nimmt den Schleier von ihren Schultern und bedeckt ihr Gesicht. Nun wird er unter die Chuppa geführt.

Manch ein Herz flattert, sobald die wunderschöne Kalla, geführt von der Mutter und der Schwiegermutter, zu der blumengeschmückten Chuppa schreitet. Im Hintergrund erklingt leise das Lied »Hu jiwarech et hachatan we et hakalla« – »ER segnet den Bräutigam und die Braut«. Die Chuppa, wörtlich »schützende Abdeckung«, soll traditionell unter freiem Himmel stattfinden. Sie besteht meist aus weißem oder buntem Samtstoff, der an vier Holzstangen befestigt wird. Dieser schöne Stoffbaldachin wurde im 16. Jahrhundert von Rabbi Moses Isserles eingeführt. Das Konzept ist jedoch uralt. Der Talmud betrachtet die Chuppa als grundsätzliche Voraussetzung für eine Hochzeit.

Die Chuppa ist nicht nur eine nette Sitte, die wir durch die Jahrhunderte »mitgeschleppt« haben. Sie hat eine komplizierte und vielfältige Bedeutung. Zunächst ist sie der entscheidende Akt, der formell den neuen Status eines Paares anzeigt. Sie ist zugleich der rechtliche Abschluss des Heiratsprozesses, der mit der Verlobung begann. Diese beiden Kinyanim (Akte der Aneignung) werden »Chuppa we kidduschin« genannt.

Woher genau stammt die Chuppa? Psalm 19,6 spricht vom Bräutigam, der aus seiner Chuppa hervortritt, während in Joel 2,16 gesagt wird: »Lass den Bräutigam aus seiner Kammer hervortreten und die Braut aus ihrer Chuppa«. Laut den mittelalterlichen Gelehrten Ran und Rif wird die Chuppa schon vollzogen, wenn die Braut das Heim des Bräutigams betritt. Darum reicht zur Darstellung der Chuppa vor einer Synagoge oder einer Halle ein Baldachin aus, Wände sind nicht nötig.

Unter der Chuppa. Foto: Julia Konnik

Unter der Chuppa. Foto: Julia Konnik

Nach einem aschkenasischen Brauch wird das Paar mit dem Tallit des Bräutigams bedeckt. Wenn anschließend die Kalla zur Chuppa schreitet, steht der Chatan schon dort und erlebt, wie seine zukünftige Frau sieben Mal um ihn herumläuft. Dies symbolisiert die behütende Rolle der Frau, die eine Familie durch Liebe, Geduld und Verständnis aufbauen kann. Die Zahl Sieben steht für die sieben Tage der Schöpfung, da das Paar ja kurz davor steht, seine eigene »neue Welt« zusammen zu erschaffen. Es heißt, die Schaarej schamaim (die himmlischen Tore) sind in diesem Moment geöffnet und das junge Paar kann um all die wichtigen Dinge bitten: um Schalom für das jüdische Volk, um Gesundheit, Parnassa, gesunde Kinder und um eine erfolgreiche und positive Vereinigung zweier Familien. Bait ne‘eman beIsrael – ein wahres jüdisches Haus soll gegründet werden – das verkörpert ja schon die Form der Chuppa, unter der beide stehen. In vier Richtungen geöffnet soll die Chuppa auch an das Zelt von Awraham Awinu erinnern, welches eine Tür auf jeder der vier Seiten hatte, um Gäste zu empfangen.

Nun wird die Ketuba vorgelesen und der Höhepunkt ist gekommen, wenn der Chatan sagt: »Harei at mekudeshet li be taba‘at so ke dat Mosche ve‘Israel« – mit diesem Ring wirst du mir geheiligt nach dem Gesetz von Mosche und dem Volk Israel. Die Braut wird nun durch einen Diamantring »erworben« und ist »mekudeschet« – für ihren Chatan geheiligt. Unter der Chuppa wird nun eine Bracha über den Wein gesungen, von dem beide Brautleute trinken, da sie nun in Zukunft alles teilen werden. Weitere sechs Lobpreisungen folgen, alle zusammen »Schewa Brachot« genannt. Sie aussprechen zu dürfen, ist eine ganz besondere Ehre. Dazu werden die Namen der Männer mit all ihren Titeln ausgerufen. Es ertönt schlussendlich das berühmte Psalm-Lied »Wenn ich Jeruschalaim je vergesse…« und der Chatan zertritt ein in eine Stoffserviette gewickeltes Glas. Ohne diese Minute der Trauer ist keine jüdische Hochzeit vollkommen. Als Jude soll man nicht vergessen, dass der heilige Tempel in Jerusalem zerstört ist und das jüdische Volk seit zweitausend Jahren in der Galut lebt. Auch wenn es heute den Staat Israel gibt – Frieden gibt es dort noch nicht. Sofort nach dem symbolischen Zertreten wird »Masel tow« gerufen, es wird getanzt und gesungen.

So auch bei der Chatuna von Nosson und Diana, die am 6. September in Berlin stattfand. An diesem Tag ist für sie erst einmal ein kleines Wunder geschehen: Die Chuppa fand unter freiem Himmel statt. Vor und nach der Hochzeit war es furchtbar windig und regnerisch, doch während der Chuppa war der Wind verschwunden, milde Sonne schien: eine fantastische Atmosphäre, speziell für das außergewöhnliche junge Paar. Die Braut Diana kommt aus London, der Bräutigam Nosson aus Hamburg – doch beide haben einen russisch-jüdischen Hintergrund, ihre Familien stammen aus der Ukraine. Zu Tränen gerührt waren die Eltern der Brautleute: »Wer hätte das gedacht, dass unsere Kinder eine jüdische Hochzeit feiern würden, mit allem, was dazugehört«, sagten die beiden Mütter, die sich eigens für den Event schöne Hüte gekauft hatten.     

Julia Konnik