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»Eine vorbildliche Amtsträgerin – und ein Mensch«
01.Januar 2013 | Beiträge – jüdisches berlin | Gesellschaft
Die Jüdische Gemeinde zu Berlin zeichnete Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Heinz-Galinski-Preis aus
Mit stehenden Ovationen begrüßten 500 geladene Gäste Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (58, CDU) zur Verleihung des Heinz-Galinski-Preises 2012 im Jüdischen Gemeindehaus Fasanenstraße. Der Vorsitzende der Repräsentantenversammlung und der Heinz-Galinski-Stiftung, Michael Rosenzweig, konnte unter anderem Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, Alt-Bundespräsident (und Galinski-Preisträger) Dr. Richard von Weizsäcker, Israels Botschafter Yakov Hadas-Handelsman, die Verlegerin Friede Springer, die frühere Zentralratsvorsitzende Charlotte Knobloch und natürlich Ruth Galinski, die Witwe des Stifters und Namensgebers des Preises willkommen heißen, mit dem jedes Jahr Persönlichkeiten geehrt werden, die sich um die Beziehungen zwischen der jüdischen Gemeinschaft und ihrer gesellschaftlichen Umgebung sowie jene zum Staat Israel verdient gemacht haben.
Der Vorsitzende der Gemeinde, Dr. Gideon Joffe, erinnerte an Merkels Mut und ihre klaren Worte zur Beschneidungsdebatte, zum Gaza-Konflikt oder zur Affäre um den Holocaustleugner Richard Williamson. »Sie sind unsere Garantie dafür«, sagte Joffe, »dass jüdisches Leben hier in der Bundesrepublik gedeihen kann und wird«. Von Angela Merkel fühle sich die jüdische Gemeinschaft akzeptiert, verstanden und geschützt.
Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Professor Jutta Limbach (SPD), Laudatorin des Abends, sah wie ihre Vorredner Analogien zwischen dem unbequemen, streitbaren Galinski, der »das Gewissen der Stadt« gewesen sei und der Bundeskanzlerin, die der hohen Ehre an seinem 100. Geburtstag einen Preis mit seinem Namen für Toleranz zu erhalten, Ehre mache. Die Kanzlerin habe »nie den Versuch gemacht, ein unbefangenes Verhältnis zur deutschen Geschichte zu entwickeln. Auch wenn ihre Generation nicht verantwortlich« sei für das, was geschehen ist, betrachte Merkel »sich als verantwortlich dafür, was in Zukunft daraus wird.« Merkels eindeutiges Bekenntnis zum Existenzrecht Israels, spreche ihr aus dem Herzen, sagte Limbach. »Sie machen uns Ehre!«
»Toleranz«, so Limbach weiter, »zielt auf das Aushalten und Ertragen von Meinungen und Haltungen, die den eigenen strikt zuwiderlaufen. Und diese Tugend ist gerade dort gefordert, wo gegensätzliche Glaubensvorstellungen konflikthaft aufeinanderstoßen. Toleranz bedeutet den bewussten Verzicht auf Kampf, Gewalt und Aggressionen, (...) aber nicht den Verzicht darauf, für den eigenen Standpunkt nachdrücklich einzutreten.« Dies würde Merkel vorleben, die die Religionsfreiheit einer Minderheit schütze und Differenzen nicht zudecke. Denn Toleranz sei in ihrem Sinne »nicht mehr nur Duldung, sondern wechselseitige Anerkennung und Achtung«. Limbach lobte Merkel dafür, dass sie zu den Angehörigen der NSU-Opfer gesprochen und sich für das Versagen von Beamten und Behörden entschuldigt habe. Ihre Laudatio mündete in der Aussage: »Sie sind eine vorbildliche Amtsträgerin – und ein Mensch!«
Angela Merkel bekannte in ihre Danksagung, dass es ihr »persönlich sehr, sehr viel« bedeute, »einen Preis, der nach Heinz Galinski benannt ist, in Empfang zu nehmen, und »dies auch noch genau an seinem 100. Geburtstag«. Dessen Credo, nicht überlebt zu haben, um zu Unrecht zu schweigen und stetig gegen das Vergessen anzugehen, sei ihr Verpflichtung und Ansporn.
Das Aufblühen des jüdischen Lebens nach der Schoa sei »wunderbar«, so die Kanzlerin weiter, aber dies sei leider »nicht die ganze Lebenswirklichkeit von Juden in Deutschland heute«. Dazu gehöre, dass »antisemitische Einstellungen unverändert auf Zustimmung stoßen«. Sie zitierte Meinungsumfragen, nannte Grabschändungen und die Attacke auf Rabbiner Alter als »traurige Beispiele«. Sie habe Verständnis, wenn Juden sich fragten, wie sie angesichts solcher Vorfälle weiter hier leben könnten. Auch die monatelange Beschneidungsdebatte hätte »Unsicherheit bei Juden und Muslimen ausgelöst«. Sie hoffe nun auf baldige positive Verabschiedung des Gesetzes. »Doch es ist traurig, dass es überhaupt dieses Gesetzes bedurft hat, um wieder Rechtssicherheit herzustellen… in einer Frage, in der der soziale Friede über Jahrhunderte eigentlich nie gefährdet war«.
Das führe sie zu der Frage, wie Toleranz für Riten herstellbar sei, »die der Mehrheit völlig fremd, für die betroffene Minderheit aber essentiell« sind. Dass Deutschland eine plurale Gesellschaft ist, habe »sich nicht nur in der Fußballnationalmannschaft widerzuspiegeln, sondern auch bei der Religionsausübung«, so wie sie das Grundgesetz garantiere. Natürlich sei auch die Religionsfreiheit nicht grenzenlos. Es müssten Risiken und Folgen einer Beschneidung bedacht werden, doch bei allem Abwägen hätte sie »den Eindruck gewonnen, dass jede Hemmschwelle dabei verloren gegangen ist, Juden und Muslimen zu sagen, was gut für sie ist und was man von ihnen hielte, wenn sie dem nicht folgen würden«. So sei auch der fatale Eindruck vermittelt worden, »jüdischen und muslimischen Eltern würde das Wohl ihrer Kinder weniger am Herzen liegen als anderen Eltern«, nur weil sie »auf einem uralten Ritual« bestehen. Doch »am Umgang mit Minderheiten entscheidet sich die Menschlichkeit einer Gesellschaft« und der Zustand ihrer Demokratie, sagte Merkel weiter. Jedem müsse klar sein: »Antisemitismus ist eine Schande für unser Land«, dafür dürfe kein Platz sein – nirgendwo.
Das führe sie zur arabischen Welt: der Bundesregierung mache das iranische Atomprogramm »größte Sorge«, die Lage in Syrien und was dies alles für die Sicherheit Israels bedeute, »die Teil der Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland ist«. »Wir sind nicht neutral«, so die Kanzlerin wörtlich, »das gilt auch dann, wenn sich Konflikte wie der zwischen Israel und der Hamas in Gaza erneut zuspitzen«.
Für die Raketenangriffe auf Israel gebe es keinerlei Rechtfertigung, »keine Regierung dieser Welt könnte einen solchen Zustand auf Dauer hinnehmen. Israel hat wie jeder andere Staat das Recht und die Pflicht zur Selbstverteidigung«. Politisch betrachtet könne die Region aber nur über gemeinsame Verhandlungen zur Lösung des Konflikts zur Ruhe kommen. »Das erfordert von beiden Seiten schmerzhafte Kompromisse.« Mit einseitigen Initiativen – weder mit der palästinensischen zur Anerkennung vor der UNO noch mit der israelischen eines fortgesetzten Siedlungsbaus – sei »tatsächlich irgendetwas gewonnen«. Ziel müssten Verhandlungen zur Anerkennung zweier unabhängiger, souveräner Staaten sein. Deswegen stelle sie, so die Bundeskanzlerin abschließend, ihr Preisgeld für das arabisch-jüdische Musical-Projekt »Step by Step. Sauwa, Sauwa« (das im Dezember in Berlin gastierte) zur Verfügung.
Eine sympathische Geste veranlasste das Auditorium auch ganz am Schluss noch einmal zu stehenden Ovationen und illustrierte Jutta Limbachs Satz von der Preisträgerin als vorbildlicher Amtsträgerin und Mensch. Denn als die Zeremonie eigentlich vorbei war, stieg Angela Merkel spontan und unerwartet noch einmal auf die Bühne, um sich bei den jungen Musikern des Kammerorchester des Jüdischen Gymnasiums, die den Abend musikalisch begleitet hatten, mit Handschlag zu bedanken.
Judith Kessler
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