Beitragssuche

Datum / Zeitraum:
Beitragsart:
Kategorie:

Eine aussterbende Spezies

01.Oktober 2008 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

Neben der Ausstellung des Museums der deutschen Juden in Tefen im Centrum Judaicum gibt es auch ein neues Buch über »Jeckes« in Israel

Der Beitrag der deutschen Juden zur israelischen Geschichte ist immens, ihr kultureller Hintergrund gehört zu dem, was das 20. Jahrhundert im positiven wie negativen Sinne im Wesentlichen ausgemacht hat. Die noch bis Ende des Jahres im Centrum Judaicum gezeigte Ausstellung »Die Jeckes« illustriert dies auf vielfältige Weise. Auch das soeben erschienene Buch »Aber die Sprache bleibt« befasst sich mit der aussterbenden Gattung der Jeckes in Israel (Salean Maiwald: »Aber die Sprache bleibt. Begegnungen mit deutschsprachigen Juden in Israel«. Karin Kramer Verlag, Berlin 2008, 18,-). Die 15 Menschen, die Salean Maiwald zwischen 2000 und 2004 für das Buch befragt hat, um etwas von ihren Lebenschicksalen und darüber zu erfahren, wie sie mit dem Sprach- und Kulturverlust in ihrer neuen Heimat zurecht kamen, gehören zu den letzten ihrer Art. Etliche sind inzwischen gestorben – wie der renommierte Historiker Walter Grab oder Alice Schwarz-Gardos, die umtriebige Herausgeberin der letzten deutschsprachigen Zeitung, der »Israel Nachrichten«.
Zu Wort kommen die Augenärztin Miriam Mishori, die Graphologin Ruth Zucker, die für die Haganah spionierte, der aus Czernowitz stammende Schriftsteller Manfred Winkler, der Hesse Abraham Frank, der sich heute um verlassene kleine Friedhöfe in seiner alten Heimat kümmert und Grabinschriften übersetzt, Avital Ben-Chorin, die noch Erika hieß, als sie mit einer Kindergruppe des Ahawah-Heimes einwanderte, die Wilmersdorferinn Romy Silbermann, die zweimal nach Palästina/Israel floh, 1934 und dann 1954 vor dem Antisemitismus, den sie in der DDR erlebte hatte, die sie mit aufbauen wollte.
Einige haben es vermocht, sich mit ihrem zweiten Leben in Israel »auszusöhnen« – wie Gabriel Bach (der in Berlin-Charlottenburg zur Schule gegangen war), der stellvertretender Ankläger im Eichmann-Prozess und späteren Generalstaatsanwalt war, wie der Kunstprofessor und Maler Jacob Pins, ein begeisterter Sammler japanischer Holzschnitte, oder die Malerin Eva Avi-Yonah, die 1936 aus Wien kam und erst mit 61 die Gelegenheit hatte zu studieren (und mit 65 zu promoviere), die als Kind so gern deutsche Gedichte schrieb und nun wieder schreibt und sagt: »Ich bin froh, dass man heute wieder Deutsch in Israel sprechen kann«. Das war Jahrzehnte lang anders, wie Maiwalds Gesprächspartner berichten. Die Deutschen hatten erst nur unter sich geheiratet, Hebräisch boykottiert oder nicht zu lernen vermocht, und später dann – während und nach der Nazizeit – hatte man sich geschämt oder nicht mehr getraut, Deutsch zu sprechen, denn »an der deutschen Sprache klebte Blut«.
Einigen der Befragten fällt es besonders schwer, sich mit dem Verlust ihrer Heimat, ihrer Sprache und Kultur abzufinden. Mischa und Mirjam Polak, denen Beethoven fehlt, leiden unter der »schleichenden Orientalisierung«.
Der Jurist Fritz Wolf, der seit 1936 im Land ist und Landwirtschaft in Nahariya betrieb, als begabter Pianist ein Stück »Die Nahariyade« schrieb und drei Frauen und eine Tochter hier begraben hat, antwortet auf die Frage, was ihm in Israel gefalle: »Nichts. Höchstens das Wetter. Israel hat mir das Leben gerettet.« Walter Grabs Antwort ist fast identisch: »Mir hat hier nichts gefallen und es gefällt mir nach wie vor nichts« – nicht die Lebensart, nicht die Religion, nicht die Politik.« Nach 60 Jahren resümiert er: »Ich bin hier gegen meinen Willen. Aber das Land hat mich gerettet.« Was für Schicksale und Tragödien! Auch Andreas Meyer, 1937 ins »deutsche« Nahariya gekommen, zieht nun nach 50 Jahren weg, denn »der jetzige Bürgermeister stammt aus Marokko und möchte am liebsten die Geschichte umschreiben... Der schneidet alle Bäume ab und pflanzt Palmen«...
Gemein ist fast allen Interviewten, dass sie als Kinder Mörike, Keller und Goethe lasen, bereits vor dem Krieg auf abenteuerlichen Wegen eingewandert sind, kaum oder gar nicht religiös sind, eine tiefe Liebe zur deutschen Sprache und gleichzeitig ihre Skepsis gegenüber Deutschen/m bis heute bewahrt haben, auch sie nach dem Krieg mit mehr oder weniger großen Bedenken Deutschland wieder bereist haben. Doch alle teilen die Einschätzung, dass sie »die Letzten« sind und es für die deutsche Sprache und Kultur in Israel keine Zukunft gibt. Eine, die es wissen muss – Esther Parness, sie führt seit über drei Jahrzehnten das berühmte (ehemals fast ausschließlich deutschsprachige) Antiquariat »Landsberger« in Tel Aviv –, sagt: »Deutsch spricht kaum noch jemand… und das Interesse an deutscher Kultur stirbt«.
Auch wenn auf Beiträge Prominenter wie Bach, Schwarz oder Grab (die selbst ausführliche Erinnerungen geschrieben haben) zugunsten »Unbekannter« oder eines sorgfältigeren Lektorats hätte verzichtet werden können, ist das Buch ein lesenswerter Beitrag zur Geschichte der deutschen Juden in Israel.
Judith Kessler

Plakat der Ausstellung »Die Jeckes»

Plakat der Ausstellung »Die Jeckes»

Ausgestellt: »Die Jeckes«
Die deutschen Einwanderer in Palästina hatten bürgerliche Berufe und brachten ihre Erfahrungen, ihre Bildung und die Kultur der Weimarer Republik nach Eretz Israel und legten damit gemeinsam mit vielen anderen den Grundstein für einen jüdischen Staat: in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung, im Rechtswesen, in der Architektur, in der Medizin und in der Kunst. Das Museum der deutschsprachigen Juden in Tefen/Israel widmet sich diesem Erbe und zeigt in Berlin auf 29 Tafeln, welche Bereiche der israelischen Gesellschaft vornehmlich von Juden aus Mitteleuropa geprägt wurden.
_bis 31. 12. 2008, Centruim Judaicum, So + Mo 10 – 20 Uhr, Di – Do 10– 18, Fr 10– 14