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»Ein Siebenmeilenstiefler«
03.Januar 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde, Menschen
Heinz-Galinski-Preis 2010 für André Schmitz
Am 14. Dezember wurde Berlins Staatssekretär für Kultur, André Schmitz (53), im Jüdischen Gemeindehaus – im Beisein von Kultur- und Politprominenten wie Max Raabe, Dominique Horwitz, Hans-Otto Bräutigam oder Petra Pau und ehemaligen Preisträgern wie Klaus Schütz und Lea Rosh – mit dem Heinz-Galinski-Preis 2010 ausgezeichnet. Ruth Galinski, Lala Süsskind und Michael Joachim überreichten Schmitz den Preis für sein Engagement, mit dem er sich für die Verständigung zwischen Juden und Nichtjuden und für Minderheiten einsetzt. Lala Süsskind sagte, dass sich kaum jemand mehr um die Jüdische Gemeinde verdient gemacht habe, sei es durch seinen Einsatz für den Friedhof Weißensee, die Jüdischen Kulturtage, das Berliner Gedenktafelprogramm oder generell, wenn es um die Lösung der Probleme gehe, die die Jüdische Gemeinde in Berlin bewegten.
Staatsopernintendant Jürgen Flimm, der die Laudatio hielt, nannte André Schmitz, der als Jurist in New York promoviert wurde, einen »Siebenmeilenstiefler«, den er schon kenne seit Schmitz junger Referendar am Hamburger Thalia-Theater war und bei dessen rasantem Berufsweg (unter anderem fünf Jahre bei Frank Castorf an der Volksbühne, dann an der Deutschen Oper, dann »im Zentrum der Politik angekommen« Chef der Senatskanzlei in Berlin, bevor er 2006 Staatssekretär für Kultur wurde) »kein Ende abzusehen« sei.
Flimm, an seine eigenen zaghaften ersten Erfahrungen und Kontakte mit Juden im Nachkriegsdeutschland anknüpfend, erklärte Schmitz‘ Engagement und sein stetes Verantwortung-Nehmen (so als Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftungen Topographie des Terrors, Gedenkstätte Deutscher Widerstand und Jüdisches Museum Berlin) aus dessen christlich-humanistischer Erziehung und dem Wissen, dass das Judentum die »ältere Schwester des Christentums« sei.
Lala Süsskind, Ruth Galinski und Michael Joachim überreichen André Schmitz (Mitte) den Heinz-Galinski-Preis 2010, Foto: Margrit Schmidt
Der Preisträger selbst zeigte sich geehrt, »zutiefst gerührt… und ein wenig beschämt, weil das, wofür Sie mich heute ehren, mir selbst ein Herzensbedürfnis ist und eine Selbstverständlichkeit«. Man könne in Deutschland kein Demokrat sein, ohne sich zu der besonderen Verantwortung den Juden gegenüber zu bekennen und aus diesem Bekenntnis heraus Konsequenzen für sein Denken, Handeln und Fühlen abzuleiten. Anders als sein Laudator, erzählte Schmitz, habe er Lehrer gehabt, die wollten, dass ihre Schüler etwas über die Naziverbrechen wissen. Mit 19 sei er zum ersten Mal in Auschwitz gewesen. Dort habe er einen Koffer gesehen, auf dem eine Hamburger Adresse stand, unweit derer er selbst gewohnt habe – ein Schlüsselerlebnis für den Abiturienten, der heute der Ansicht ist, dass die nachfolgenden Generationen ebenso nur gewonnen werden können, wenn wir »die Herzen und Köpfe« erreichen, »den ganzen Menschen«. Wenn die Schoa Teil der deutschen Identität sei, ergäben sich daraus Aufgaben: Die Erinnerung an die Ermordeten wachzuhalten und an die Leistungen der jüdischen Mitbürger aller Epochen, aber auch an die »stillen Helden« (die Hälfte seines Preisgeldes stiftete Schmitz so der Inge-Deutschkron-Stiftung, die andere Hälfte für den Wiederaufbau nach der Brandkatastrophe von Haifa). Wenn es um die aktuellen Verpflichtungen gehe, sagte der Preisträger, fühle er sich vor allem Heinz Galinskis Credo »Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu Unrecht zu schweigen« verpflichtet: nicht zu neuen Spielarten des Antisemitismus schweigen, nicht zu Rechtspopulismus, Islamophobie und Rassismus. Aber auch für Muslime müsse gelten: wer in Deutschland lebt, Deutscher ist oder werden will, muss sich mit der Schoa auseinandersetzen und sie akzeptieren. Allerdings müssten wir uns auch fragen: Welche Angebote macht unsere Gedenk- und Erinnerungskultur jungen Einwanderern, zB. aus dem Libanon, eigentlich? Hat sie den Erfahrungshorizont dieser Migranten im Blick? Bei diesen Fragen stoße man auf Defizite in Museen, Gedenkstätten, Lehrbüchern und Kultureinrichtungen. Hier weiterzuwirken, das sähe er als seine Aufgabe. Die Jüdische Gemeinde werde ihm dabei immer besonders am Herzen liegen, »in guten wie in schwierigen Zeiten«.
Judith Kessler
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