Beitragssuche

Datum / Zeitraum:
Beitragsart:
Kategorie:

Ein sich erinnerndes Organ

01.Januar 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Ausstellung

Kolbe-Museum zeigt zeitgenössische Körperbilder israelischer Künstler

Das kleinste Werk der Ausstellung »Body without Body Körperbilder in der zeitgenössischen israelischen Skulptur« im Georg-Kolbe-Museum ist eine angebissene Tafel Schokolade, eine Arbeit des israelischen Künstlers Danny Yahav-Brown. Das goldfarbene Verpackungspapier ist so gefaltet, dass eine Art Hemdkragen entsteht. So wirkt der gezackte Rand des Zahnabdrucks, als habe jemand einer Schokoladenfigur den Kopf abgebissen. Der Titel »My Angel« (2001) nimmt Bezug auf eine israelische Süßigkeit, die gern als Betthupferl aufs Kopfkissen gelegt wird. Der Künstler stellt dem Begriff Engel die kindliche Bosheit, einer Figur den Kopf abzubeißen, gegenüber, dokumentiert durch die Bissspuren.

Das Konzept der Gruppenschau mit Werken zwölf israelischer Gegenwartskünstler stammt von Liav Mizrahi. Der 1977 in Haifa geborene Künstler nahm 2008 an der Ausstellung »Der Garten im Museum« im Georg-Kolbe-Museum teil. Die Atmosphäre des Museums beeindruckte ihn sehr: »Das persönliche Erlebnis während meines Aufenthaltes und die Erfahrung vor den Plastiken Georg Kolbes brachten mich dazu, über die Repräsentation des Körpers in der zeitgenössischen Kunst nachzudenken. Die Ausstellung Body without Body lenkt die Aufmerksamkeit auf abstrakte Skulptur, die vom Körper oder von den mit ihm verbundenen Gegenständen inspiriert wurde. Der Körper kann als Fragment erscheinen oder gänzlich verschwinden. Der Körper ist ein sich erinnerndes Organ, es ruft globale und lokale, private und kollektive Ereignisse ins Gedächtnis. Die Ausstellung eröffnet einen Raum für diese miteinander verschlungenen Körperbilder.«

Das plastische Werk Liav Mizrahis besteht im Wesentlichen aus Papier. Seine Skulptur (Ohne Titel) von 2011 ist eine Papierrolle, deren Inneres zum Teil herausgerutscht ist. Was jeder als ein kleines Malheur kennt und erinnert, wird hier zu einer skurrilen Plastik mit unvorhergesehenem Eigenleben. Ihr Inneres erhellt eine Leuchtstoffröhre, auf der Außenhaut des spitzen Kegels wachsen kleine Stacheln, die der Künstler mit Spucke befestigt hat.

Dem 1980 geborenen Elad Armon gelingt es, Alltagsgegenständen die Poesie von tierischen Überbleibseln zu verleihen. Kunstvoll zu einem Kreis zusammengesteckte Wegwerfgabeln (»Ration«, 2010) wirken wie das Rückgrat einer fremden Kreatur und verzaubern durch ihre Einfachheit und exotische Eleganz zugleich. Mit geistreichem Witz verbiegt der Künstler die XXL-Version jener Haarklammern, die zum Befestigen von Kippot gedacht sind, zu der Arbeit »Pins« aus dem Jahr 2008. Die schwarzen, beweglichen Elemente erscheinen an der Wand wie merkwürdige, leere Käferpanzer.

Elad Armon: Ration, 2010Erez Israeli: Selbstporträt (Hommage an Francis Bacon), 2010Varda Getzow: Tel, 2011

Varda Getzow, geboren 1953 in Jaffa, sie lebt in Berlin und Tel Aviv, begibt sich mit ihren häufig aus Textilien bestehenden Installationen auf die Suche nach Erinnerungen, die einer Landschaft innewohnen und sich wie Schichten übereinander legen. Für die Ausstellung im Kolbe-Museum schuf die Künstlerin mit »Tel« (hebräisch für besiedelter Hügel) ein Gebirge bestehend aus Nylonstrumpfhosen und Stühlen. Sie wirken wie das Gesteinsmassiv eines Berges, während das Textile der Vegetation entspricht. Ähnlich scheinbar ungeordnet wie ein Urwald sind die schleierartigen Nylonstreifen ausgebreitet, deren Farben von Braun über Beige bis Dunkelrot und Aubergine ein subtiles Fest für die Augen sind.

Textilien betrachtet Varda Getzow als ein Speichermedium, das sich mit Wärme, Geruch und Energie des umhüllten Körpers auflädt. Vor diesem Hintergrund erhalten ihre Textil-Gebirge den Charakter von Denkmalen, denkt man an die Kleiderberge von Auschwitz.

Auch Amir Fattal, Jahrgang 1978, lebt in Berlin. Seine Arbeit »The last time you fell, who was there to catch you?« besteht aus einer kreuzförmigen Lampe aus dem Berliner Palast der Republik. Davor liegt auf einem klinisch wirkenden Metalltisch ein orangefarbener Silikonabguss einer Skulptur des Stadtschlosses. Die Originallampe verweist auf die Zeitgenossenschaft des vor wenigen Jahren abgerissenen Palastes.  der Republik. Die Silikonhaut dagegen macht die restauratorischen und archäologischen Bemühungen deutlich, die mit dem Neubau des 1951 zerstörten Schlosses verbunden sind. Beide Gebäude wurden quasi politische Opfer von verschiedenen Herrschaftssystemen. Sie wollten der Erinnerung, einerseits an den Adel und seine Prachtbauten, andererseits einem prunkvollen Gebäude für das Volk, keinen Raum geben. Amir Fattal verschränkt diese Gebäude und die Erinnerung an sie in seinem Werk.

Im Sinne der kabbalistischen Idee vom Zerbrechen der Gefäße, um den göttlichen Lichtfunken in der Schöpfung freizusetzen, macht Erez Israeli die Zerstörung zu seinem Thema. Er präsentiert drei fragmentarische Köpfe aus Beton als verzerrte Selbstporträts des englischen Malers Fancis Bacon. An den Metallstäben zur Armierung des Betons baumeln Teile einer kleinen David-Plastik von Michelangelo, ein doppelter Hinweis auf Homosexualität, denn sowohl Bacon als auch der Renaissancekünstler waren schwul. Erez Israeli, geboren 1974 in Tel Aviv, möchte mit dem absichtlich unbeholfen wirkenden Versuch auf die komplizierte Beziehung zwischen Bacon und seinem Partner George Dyer hinweisen.

Wie rätselhafte archaische Fetische wirken die Arbeiten von Gabi Kricheli. Er wurde 1979 in Jerusalem geboren und lebt heute in Tel Aviv. Seine Werke entziehen sich bewusst jeder Assoziation und tragen erstaunliche Titel wie »Almostsexual« aus dem Jahr 2006. Aus einer Nylonform, Draht und Holzperlen entstand ein Werk von eigenartiger Ästhetik. Viel vertrauter erscheint die Arbeit »Cover«, 2007: Eine gelbe Tischmatte von Ikea hat der Künstler so an der Wand befestigt, dass eine fächerartige Blüte entsteht.

Eines der größten Werk der Ausstellung, »Medusa«, ist die fast verstörend vulgäre Arbeit von Gil Yefman (geboren 1979): Wie ein riesiges Euter hängen gehäkelte pinkfarbene Brüste nebst Milchtropfen aus weißer, fusseliger Wolle wie ein monströses Gesäugesystem von der Decke. Schwarzweiße Streifen verweisen in den Werken des Künstlers auf Gefängniskleidung und thematisieren hier die Gefangenschaft im eigenen Körper.

Judith Meisner

_ »Body without Body« bis 19.2.2012, Di–So 10-18 Uhr, Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, Berlin-Charlottenburg. www.georg-kolbe-museum.de