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Ein offenes Haus – von Anfang an

01.Januar 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde

Am 12. März feiert die Jüdische Volkshochschule im Charlottenburger Gemeindehaus ihren 50. Geburtstag. Anlässlich dieses Jubiläums widmen wir der Bildungseinrichtung eine dreiteilige Serie. Der erste Teil befasst sich mit der Gründungszeit der Schule.

Der Westberliner Korrespondent der »New York Times« scheint es nicht fassen zu können: sollte gerade in der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin 17 Jahre nach dem Ende des Nazi-Regimes tatsächlich eine jüdische Volkshochschule ihre Pforten geöffnet haben? Um das zu überprüfen macht sich der US-Journalist persönlich auf den Weg in die Fasanenstraße, besucht die ersten Kurse und interviewt die Schulleitung um Hans-Gerd Sellenthin. Gut einen Monat nach Unterrichtsbeginn erscheint am 15. April 1962 dann ein fünfspaltiger Artikel in der Hauptausgabe des Blattes. Unter der Überschrift »Judaism Course Draws Berliners Kurse über Judentum ziehen die Berliner an« meldet die Zeitung ihren Lesern in Manhattan: »Deutsche Männer und Frauen, junge Menschen, lauschten aufmerksam in dieser Woche den Ausführungen eines Rabbiners, der sie über die Hauptbestandteile des jüdischen Glaubenslebens unterrichtete. Sie bildeten das Auditorium von 70 bis 80 Personen im Westberliner Jüdischen Gemeindehaus während einer Vorlesungsreihe bei Rabbi Cuno Lehrmann.«

Was im Ausland noch immer für großes Erstaunen sorgt, folgt innerhalb der hiesigen Gemeinde einer festen Logik. Nachdem sich in den ersten Jahren nach der Schoa erfolgreich um die Grundvoraussetzungen für ein weiteres alltägliches und religiöses Bestehen gesorgt wurde, ging es nun darum, Kontakt mit der nichtjüdischen Gesellschaft aufzunehmen.

Offiziell handelte es sich bei der auch in der Berliner Presse vielbeachteten Gründung der Berliner Jüdischen Volkshochschule um eine Neugründung. Trotzdem stand man in der Tradition der »Freien Jüdischen Lehrhäuser«, die seinerzeit von Franz Rosenzweig ins Leben gerufen worden waren. Zwar öffnete das erste seiner Art 1920 nicht in Berlin, sondern in Frankfurt am Main, jedoch gründeten sich einige Jahre später, ob des Erfolges in ganz Deutschland, weitere Lehrhäuser, auch in Berlin.

Ein offenes Haus – von Anfang an

Die (Wieder-)Gründung einer Bildungseinrichtung für Erwachsene im März 1962 ging auf die Initiative des da­maligen Gemeindevorsitzenden Heinz Galinski zurück. Sie folgte nicht dem Ziel, missionarische Arbeit für das Ju­den­tum zu unternehmen. Vielmehr sollte die Bildungsstätte auch Nichtjuden offenstehen, um sie über jüdische Geschichte, Fragen der jüdischen Ethik, das Verhältnis von Christentum und Judentum und die Geschichte des Zionismus und Israels zu unterrichten.

Dies schien dringend nötig, denn faktische Informationen über unseren Glauben waren für nichtjüdische Berliner auch 13 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik nur schwer zu bekommen. Brauchbare Bücher gab es kaum weder für Erwachsene noch für den schulpflichtigen Nachwuchs.

So behandelte eines der meistbesuchten Foren im ersten Trimester der JVHS das Thema »Zeitgeschichte« und der KURIER schrieb seinerzeit: »Der Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde Galinski übte gestern heftige Kritik an der Behandlung der Zeitgeschichte im Schulunterricht. Galinski, der auf einem von der Jüdischen Volkshochschule veranstalteten Forum mit Berliner Pädagogen sprach, wies darauf hin, dass erst die antisemitische Schmierwelle den westdeutschen Unterrichtsbehörden den Anstoß dafür gegeben habe, sich intensiv mit dem Problem der Gestaltung der Geschichtsbücher zu befassen« Zuvor hatte der Berliner Schulrat Klatt sein Bedauern über das Fehlen guter Schulbücher für den zeitgeschichtlichen Unterricht ausgesprochen: »Wir haben kaum ein brauchbares Buch für Zeitgeschichte« erklärte Klatt.

Um den Eltern des oft schlecht unterrichteten Nachwuchses und anderen interessierten Erwachsenen die Möglichkeit der Weiterbildung in Sachen Judentum zu geben, bot die Schule in der Fasanenstraße nicht nur Kurse und Vorträge an. Auch die berühmte Bibliothek im Gemeindehaus stand allen interessierten Berlinern zur Verfügung.

Die Angebote wurden von der Bevölkerung sofort und gerne angenommen. Bereits in den ersten Monaten besuchten an die 1 500 Menschen die Veranstaltungen und das Gemeindeblatt meldete stolz: »Obwohl einige Kurse besonders die mit spezieller Thematik von nur wenigen Menschen besucht wurden, ist es sehr beglückend, feststellen zu können, dass nicht ein einziger Kursus aus Mangel an Beteiligung ausfallen musste.«

Zum absoluten Renner entwickelten sich von Beginn an die Hebräisch-Sprachkurse. Die kosteten gerade einmal 2 DM und mussten aufgrund des hohen Andranges noch im ersten Trimester personell verstärkt werden. Shoshana Lapidoth, die bereits ab 1959 gemeinsam mit ihrer Kollegin Ora Guttmann in der Fasanenstraße für den Religionsunterricht des jüdischen Nachwuchses verantwortlich war und später in der JVHS vor allem Hebräisch unterrichtete, erinnert sich: »Der Andrang war enorm. Vorher unterrichtete ich nur einige Stunden in der Woche. Doch mit der Eröffnung der Volkshochschule hatte ich einen Fulltime-Job. In meine Abendkurse kamen manchmal 80 bis 90 Leute und ich musste die Klassen teilen.«

Wen die aus Israel stammenden Lehrerinnen und die zahlreichen Gastdozenten im Einzelnen unterrichteten und welche Biografien die Schüler mitbrachten, war zweitrangig. Schulleiter Hans Sellenthin schrieb in seinem Grußwort zum Eröffnungstrimester: »Die Jüdische Volkshochschule Berlin öffnet ihre Tore für alle, die guten Willens sind«, und auch Shoshana Lapidoth sagt: »Ich habe die Leute nicht ausgefragt. Wer reden wollte, erzählte ganz allein über sich.« Lediglich einmal schloss die resolute Frau eine erwachsene Schülerin vom Unterricht aus. Dies hatte jedoch nichts mit einer belastenden Vergangenheit als vielmehr mit ungehörigem Benehmen zu tun. »Die Dame kam mit ihren Hunden in den Kurs und Tiere wollte ich wirklich nie unterrichten.«        

Daniel Hartung

In der nächsten Folge geht es um die neuen Aufgaben der JVHS nach dem Zuzug aus den GUS-Staaten und der Wiedervereinigung der Stadt. Haben auch Sie Erinnerungen an die JVHS? Dann schreiben Sie an moshele@me.com