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Drei Leben lang befreundet
01.Juni 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Menschen
Ruth, Heinz und Inge sind die einzigen Überlebenden ihrer Klasse aus der Jüdischen Mittelschule in der Großen Hamburger Straße und haben ein Jubiläum zu feiern
Wenn Ruth und Heinz Hirsch am 3. Juli 2012 in Tegel Diamantene Hochzeit, also ihren 60. Hochzeitstag feiern, und zwar gemeinsam mit ihrer Trauzeugin Inge Weinem, geborene Levy, dann wird das nicht nur die Feier einer langen und glücklichen Ehe, sondern auch ein ganz besonderes Klassentreffen sein. Denn sie sind nicht nur ein – oder besser gesagt: drei Leben lang miteinander befreundet. Sie sind auch die einzigen Überlebenden ihrer Klasse aus der Jüdischen Mittelschule in der Großen Hamburger Straße – von ehemals 25 Schülern, von denen die meisten im Holocaust umgekommen sind. Außer ihnen hatte unter schwierigsten Bedingungen auch noch Hans Cohn mit seiner Familie in Berlin Krieg und Verfolgung überlebt, einziges Kind von Siegfried Cohn, der dann zum ersten Nachkriegsvorstand der Synagoge Pestalozzistraße gehörte. Doch eines Abends, kurz nach der Befreiung, war Hans im Frühsommer 1945 in einem Moment der Unachtsamkeit beim Überqueren der Straße von einem britischen Militärfahrzeug erfasst worden und kam ums Leben.
Im April 1939 waren Heinz Hirsch und Inge Levy in der Mittelschule Große Hamburger Straße eingeschult worden. 1941 kam aus der Mädchenschule in der Auguststraße noch Ruth Sander dazu. Im Jahr darauf, am 30. Juni 1942, wurde die Schule in der Großen Hamburger Straße wie alle anderen jüdischen Schulen von den Nationalsozialisten geschlossen. Jüdische Kinder durften nicht mehr zur Schule gehen, wurden mit ihren Familien deportiert oder mussten Zwangsarbeit leisten. So auch Inge Levy, damals gerade 14 Jahre alt. Um ihre Töchter so gut es ging trotzdem weiterzubilden, begannen Inge Levys Vater, Walter Levy, und Dr. Joseph Sander, der Vater von Schulfreundin Ruth, sie privat zu unterrichten. Weil den Mädchen die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel verboten war, mussten sie die weiten Wege zwischen ihren Wohnungen (wo der Unterricht wechselseitig stattfand) zu Fuß zurücklegen: von der Ostender Straße im Wedding, wo die Sanders wohnten, zur Wohnung der Familie Levy nahe dem Alexanderplatz. Heinz Hirsch wohnte in der Linienstraße. Eine Zeit, in der die ständige Bedrohung das Trio erst recht zusammenschweißte. Während der »Fabrikaktion« am 23. Februar 1943, als die letzten Berliner Juden verhaftet wurden, war auch der Vater von Heinz, Max Hirsch, in das Sammellager Rosenstraße gebracht worden, wo sich zuvor die Wohlfahrtsabteilung der Gemeinde befunden hatte.
Ruth und Heinz Hirsch vor der Synagoge des Jüdischen Krankenhauses in der Iranischen Straße, 3.7. 1952
Inge Levy und ihr Vater wurden im Jüdischen Altersheim in der Großen Hamburger Straße festgehalten, inzwischen ebenfalls ein Sammellager. Die Mütter von Inge und Heinz, Gertrud Levy und Elisabeth Hirsch, waren dann unter den mutigen Frauen, die durch ihre (als »Rosenstraßen-Protest« in die Geschichte des Widerstands eingegangenen) tagelangen Demonstrationen vor dem Gebäude die Freilassung ihrer Männer erreichten und ihnen damit das Leben retteten. Auch Inge Levy und ihr Vater kamen frei.
Als der Terror endlich zu Ende war, gehörten die drei Unzertrennlichen zur ersten jüdischen Jugendgruppe im Nachkriegsberlin. Es gab gemeinsame Erholungsreisen ins Kladower Schloss Brüningslinden, ein alter Gründerzeitpalast an der Havel, der nun als Erholungsheim für jüdische Kinder und Jugendliche genutzt wurde. Man sang zionistische Lieder, feierte quer durch die Besatzungszonen alle jüdische Feste mit und tanzte besonders gern auf den Purim- und Chanukkabällen. »Man versuchte halt, wieder zu leben«, sagt Inge Levy, die inzwischen Inge Weinem heißt. Der 1950 aus der amerikanischen Emigration nach Berlin als Rabbiner zurückgekehrte Peter Levinson, nur ein paar Jahre älter als die drei Teenager, lehrte sie das Twist-Tanzen, und eines Tages entdeckten Heinz und Ruth, dass da zwischen ihnen mehr als nur Freundschaft war. Am 3. Juli 1952 hat Rabbiner Levinson die beiden in der Synagoge des Jüdischen Krankenhauses in der Iranischen Straße getraut. Es war ein sehr heißer Sommertag, mit Temperaturen über 35 Grad Celsius, wie sich Inge Weinem erinnert, die 1946 die erste Leiterin des Jüdischen Kindergartens in der Joachimstaler Straße war. Und natürlich hatten Ruth und Heinz Hirsch sie als Trauzeugin gewählt. Ihren ältesten Freunden wünscht Inge Weinem nun Masel Tow und noch viele glückliche Jahre mit ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln. Das wünschen wir auch!
Esther Slevogt
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