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Drei in Einem

01.September 2008 | Beiträge – jüdisches berlin | Soziales

Ein Gespräch mit Liliana Liebermann, der Beauftragten des Vorstandes für die Alteneinrichtungen, und dem Heimleiterehepaar Sigrid und Gary Wolff über das Seniorenzentrum der Gemeinde

jb: Vor einem guten halben Jahr hat das Hermann-Strauss-Pflegeheim den Standort gewechselt und befindet sich jetzt neben dem Leo-Baeck-Heim mit seinen Senioren-Appartements und dem Jeanette-Wolff-Heim für betreutes Wohnen auf einem gemeinsamen Komplex an der Herbart- und Dernburgstraße. Sind Sie zufrieden mit der Zusammenlegung?
Liliana Liebermann (LL): Das Wichtigste zuerst: Das gesamte Personal hat sich außerordentlich viel Mühe gegeben. Unsere Mitarbeiter haben diesen ganzen Umzug von der Iranischen Straße hierher ohne weitere Hilfe von außen phantastisch bewältigt. Daher bei dieser Gelegenheit einen lieben Dank vom gesamten Vorstand an alle Beteiligten. Erwähnenswert finde ich auch noch, dass das Zusammengehen der zwei verschiedenen Strukturen, also des Personals des Altersheimes und des Pflegeheims reibungslos geklappt hat. Das ist jetzt ein Team und die Versorgung der Patienten hat keinen Tag gelitten unter der Umstellung. Ein dickes Lob an das Pflege- und das Küchenpersonal und an die Leitung!
Gary Wolff (GW): Der größte Vorteil gegenüber dem alten Standort ist die Nähe der beiden anderen Einrichtungen. Das hat jetzt wirklich den Namen Seniorenzentrum verdient. Du kommst als rüstiger Senior, sagen wir mit 60, 65 her und kannst bis zu deinem seeligen Ende hier bleiben. Vorher war es so, dass bei einem Ehepaar im Seniorenwohnhaus, bei dem ein Partner gebrechlich wurde und ins Pflegeheim umziehen musste, der andere Partner einen Weg von 20 Kilometern zurückzulegen hatte, um ihn zu besuchen. Jetzt muss er nur ins Nachbarhaus gehen. Auch die meisten Angehörigen wohnen ja hier irgendwo im westlichen Stadtzentrum.
LL: Zu der zentrale Lage gehört auch noch der wunderbare Lietzensee gleich um die Ecke und dass wir jetzt einen schönen Garten haben, der reichlich genutzt wird. Und dass eben alles beieinander ist – neben den drei Heimen auch noch unser ambulanter Pflegedienst »Chai« und die Synagoge Herbartstraße. Und alles kann von allen Bewohnern der drei Einrichtungen genutzt werden.
Sigrid Wolff (SW): Zum Beispiel: Wenn die Appartementbewohner im Leo-Baeck-Heim, die ja nur Miete und eine Betreuungspauschale zahlen, nicht selbst kochen wollen, können sie sich das Essen »dazu buchen«. Oder: Wenn wir Konzerte durchführen, dann nehmen da alle drei Häuser teil.
jb: Es gibt Kritiker, die meinen, das neue Pflegeheim wäre unmodern, ungemütlich, die Zimmer zu klein...
GW: Wir wollen doch mal realistisch bleiben. Die Gemeinde hat im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten gehandelt. Pflegebedürftige benötigen manche Dinge auch weniger als mobile Menschen. Die Zimmer entsprechen der Heimmindestverordnung. Unsere Stärke liegt in der humanitären Pflege und dass mehr Plätze zur Verfügung stehen. Und die alten Räume in der Iranischen Straße hätten auch längst grundsaniert werden müssen.
jb: Wieviele Plätze hat das Pflegeheim jetzt genau?
GW: Wir haben 71 Plätze in Einzel- und Doppelzimmern für Patienten der Pflegestufen II bis III und für Härtefälle. Alle 27 Mitarbeiter kommen aus dem Jeanette-Wolf-Heim und aus dem alten Pflegeheim. Es wurde niemand entlassen. Und in dem halben Jahr seit dem Umzug haben wir ohne Akquise 50 Plätze belegt, 21 können wir noch aufnehmen. Und wir haben mehr Zu- als Abgänge. Das heißt: Wir haben Pflegebedürftige, dies sind schon 10, 15 Jahre bei uns. Das soll uns erst mal einer nachmachen. Wir hatten allein im letzten Jahr drei Hundertjährige! Darauf sind wir stolz.

V.l.n.r: Sigrid und Gary Wolff, Liliana Liebermann. Foto: Judith Kessler

V.l.n.r: Sigrid und Gary Wolff, Liliana Liebermann. Foto: Judith Kessler

jb: Was ist denn das Spezifische am jüdischen Seniorenzentrum?SW: Zum einen versuchen wir die Selbständigkeit unserer Bewohner so lange wie möglich zu erhalten und ihre Lebensqualität zu erhöhen. Dazu gibt es diverse Aktivitäten: Ballspiele, Gymnastik, Konzentrationsspiele, Turnen, Atemtherapie und solche Sachen. Zur Entspannung wurde gerade auch noch ein Snoezelzimmer eingerichtet. Und wenn wir mehr ehrenamtliche Helfer hätten, könnten kleinen Ausflüge in die Natur, wie sie zum Beispiel unsere Sozialarbeiterin Eva Nickel mit den Rollstuhlfahrern macht, auch häufiger stattfinden. Irgendwer muss schließlich die Rollstühle schieben. Unsere ehemalige Sozialdezernentin Maria Brauner kümmert sich ja nun schon Jahrzehnte persönlich um die Patienten und neuerdings übrigens auch unser früherer Personalchef Manfred Klein.GW (lacht): Ich würde sagen, das Besondere an uns ist: Wir sind gut. Wir pflegen gut. Wir respektieren unsere Bewohner und ihre Biografien. Wir duzen auch niemanden, der das nicht will. Unsere Mitarbeiter sind fast alle dreisprachig – russisch, deutsch, hebräisch. Wir sind koscher, daher haben wir natürlich auch einen höheren Aufwand als andere Heime. Wir begehen alle Feiertage, unsere Bewohner können ihre Traditionen leben und in einer jüdischen Atmosphäre leben. Das ist es vor allem.jb: Würden Sie denn Ihre Eltern auch herschicken?GW: Meine Mutter ist schon hier. Und vorher war sie im Jeanette-Wolff-Heim.jb: Das klingt ja alles toll. Sie scheinen auch ein gutes Team zu sein...LL: Na ja, wir fetzen uns hier natürlich auch, aber kommen dabei zu Ergebnissen – weil wir zur Sache arbeiten und kompetente Leute haben. Ich versuche Probleme sofort anzusprechen und gleich zu reagieren, wenn es Konflikte oder Unzulänglichkeiten gibt. Und ich habe den Eindruck, dass jetzt doch jeder jedem zuhört und ein Austausch stattfindet, was früher offenbar kaum der Fall war.SW: Das hat auch damit zu tun, dass im neuen Vorstand Leute sind, die sich in ihrem jeweiligen Metier tatsächlich auch auskennen. Für uns ist diese Kombination ideal – Herr Kristal, unser Baudezernent, arbeitet in der Baubranche und hat Ahnung vom Bauen und Liliana kommt selbst aus dem Pflegebereich und weiß, wovon sie redet. Dadurch waren auch nicht erst lange Einarbeitungszeiten nötig. Wir sprechen ein Problem an und sie verstehen gleich, wovon wir reden.GW: Und obwohl überall in der Gemeinde heftig gespart wird, bekommen wir, was unsere Bewohner brauchen – das muss auch mal gesagt werden. Die Gemeinde investiert hier wirklich etwas. Allein das Pflegeheim umzubauen hat 1,2 Millionen gekostet – das geht los bei der neuen Feuertreppe und endet nicht bei den aufgerüsteten Bädern. Aber das meiste Geld haben die Installationen geschluckt – neue Wasser- und Stromleitungen, neue Fenster, neues Dach, neue Fassade.jb: Konnten einige Ihrer Ideen bereits umgesetzt werden?LL: Zunächst: Mir ist sehr bewusst, dass vieles noch besser werden muss. Wir dürfen uns nichts vormachen. Wir haben ein altes Haus übernommen. Und wir müssen jetzt die Fehler der Vergangenheit ausbaden, zum Beispiel dass viele Investitionen, die unsere Vorgänger getätigt haben nicht »preiswert«, sondern »billig« waren. Etliches musste und muss noch aufgerüstet werden. Wir haben jetzt zum Beispiel Sonnenjalousien in den Zimmern, die es vorher nicht gab, und mobile Notrufeinrichtungen. Wir versuchen auch Veränderungen vorzunehmen, damit das Personal effektiver arbeiten kann. So wurden auf jeder Etage Abstellzimmer eingerichtet, damit die Schwestern ihre Gerätschaften nicht im Keller abstellen müssen, und ein Pausenraum auf der Pflegeebene, damit sie immer in der Nähe der Patienten sind. Dafür haben wir jetzt eben nicht mehr Platz für 75, sondern nur noch für 71 Bewohner.jb: Liliana, zum Schluss: was sind Ihre nächsten Pläne?LL: Ich möchte Gespräche mit den Angehörigen führen, würde gern auch eine Supervision für die Mitarbeiter anbieten, für die ich mich ohnehin gern einsetze, weil ich selbst Pflegedienstleiterin in einem Heim bin und ihre Arbeit ganz genau kenne und einschätzen kann, und ich möchte mich auch mal bei den Ehrenamtlichen Helfern mit einer Einladung für ihre Arbeit revanchieren und zugleich nach neuen Helfern suchen – sehr gern auch junge Gemeindemitglieder, die beispielsweise ihren Zivildienst bei uns leisten wollen. Zu tun gibt es genug.   

Das Gespräch führte Judith Kessler