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Dr. Gideon Joffe zur Corona-Pandemie
01.April 2020 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde, Gesellschaft
Liebe Gemeindemitglieder,
noch im letzten Jahr feierten wir das 70. Jubiläum des Grundgesetzes. Unser Grundgesetz gibt uns viele wunderbare Freiheitsrechte. Diese Rechte machen die Bundesrepublik zu dem, was sie heute ist: das vielleicht freieste Land in der Geschichte der Menschheit. Der Weg zu dieser Freiheit war lang und steinig.
Umso härter trafen uns alle gemeinsam die aktuellen Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Das Jahr 2020 ist zu dem Zeitpunkt, zu dem ich dieses Grußwort schreibe, noch nicht einmal drei Monate alt, und die Welt hat sich komplett gewandelt. Innerhalb kürzester Zeit wurden viele unserer Grundfreiheiten so massiv eingeschränkt, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Aufgrund des Corona-Ausbruchs dürfen wir uns nicht mehr versammeln, uns nicht mehr mit unseren Freunden treffen, unserer Arbeit nicht mehr wie gewohnt nachgehen. Für mich persönlich war jedoch die vorübergehende Schließung unserer Synagogen besonders schwer erträglich. Wir haben lange darüber diskutiert, ob man die G´ttesdienste zumindest mit einem Minjan (10 Personen) aufrecht erhält. Letztendlich waren sich aber auch alle Rabbiner einig: Da wo es um das Leben bzw. die Gesundheit geht, müssen wir an einem Strang ziehen und alles Erforderliche tun, um die Menschen vor dem Virus zu schützen.
Wir haben die Lage und die damit verbundenen Sorgen unserer Gemeindemitglieder von Anfang an sehr ernst genommen. Deshalb haben wir präventiv die ersten Maßnahmen lange vor den ersten offiziellen staatlichen Anordnungen getroffen und alle größeren Veranstaltungen abgesagt, um insbesondere unsere älteren Gemeindemitglieder zu schützen.
Wir wissen, mit wieviel Herzblut und Leidenschaft die Gemeindeveranstaltungen, teilweise schon Monate vorher, von engagierten Mitarbeitern und auch ehrenamtlichen Helfern vorbereitet und organisiert werden. Auch tut es uns leid, die Vorfreude der zahlreichen Gäste enttäuscht zu haben, die regelmäßig und gerne unsere Veranstaltungen besuchen. Deshalb haben wir es uns mit der Entscheidung zum damaligen Zeitpunkt nicht leichtgemacht.
Danach folgten schweren Herzens die Schließungen unserer Schulen und Kitas. Ich möchte an dieser Stelle nochmals ganz herzlich unseren Lehrern dafür danken, dass sie es geschafft haben, innerhalb kürzester Zeit ein so professionelles online Lernangebot für unsere Schüler zu organisieren.
Unsere Verwaltung wurde mittlerweile auf Notbetrieb umgestellt. Umso mehr möchte ich unseren engagierten Mitarbeitern dafür danken, dass sie in diesen schweren Zeiten weiterhin tolle Arbeit leisten und zusammenhalten, egal ob im Home-Office oder teilweise auch noch vor Ort. Ein besonderer Dank geht an unsere selbstlosen Mitarbeiter und Helfer in unseren Pflegeeinrichtungen. Wir wissen sehr genau, wie schwierig die Arbeitsbedingungen in der heutigen Situation sind. Für uns sind sie die Helden der heutigen Zeit.
Deshalb möchte ich Ihnen versichern, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um unsere Mitarbeiter auch weiterhin so gut wie möglich zu unterstützen. In der freien Wirtschaft sind leider die ersten Auswirkungen der Corona-Pandemie jetzt schon deutlich spürbar. Viele Berufstätige haben bereits ein Kündigungsschreiben in ihren Briefkasten vorgefunden. Wir als Gemeinde werden selbstverständlich alles Erdenkliche tun, um unsere Belegschaft so lange wie möglich, hoffentlich bis zum Ende dieser Ausnahmesituation, zu schützen.
Es gibt verschiedene Vermutungen, wie lange dieser Ausnahmezustand noch andauern wird. Wenn wir ehrlich sind, wissen wir es alle nicht genau. Was wir aber genau wissen, ist, dass es bereits viele Tausende Patienten auf der ganzen Welt gibt, die das Coronavirus gut überstanden haben und geheilt sind. Was wir auch anhand der aktuellen Zahlen sehen können, ist, dass die Anzahl der neuen Infizierungen etwas zurückgeht. Das kann nur heißen, dass die Einschränkungen und Maßnahmen, die wir alle gemeinsam zu bewältigen haben, ihre ersten Wirkungen zeigen. Wir wissen auch, dass die Situation in China, dem ersten Land, das mit dem Virus zu kämpfen hatte, sich mittlerweile deutlich entspannt hat und die chinesische Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt. Bei allen Sorgen, die wir heute haben, sollten wir die positiven Entwicklungen nicht vergessen und zuversichtlich bleiben, dass dieser schwierige Zustand für uns alle bald ein Ende haben wird.
Pessach wird dieses Jahr von den Auswirkungen der Pandemie überschattet werden. Vielleicht sollten wir uns aber vor Augen führen, dass wir durch diese außergewöhnlichen Umstände die Zeit und die Möglichkeit bekommen, uns intensiver um unsere Familie zu kümmern. Nutzen wir diese Zeit…
Bleiben Sie gesund und Chag Pessach kasher ve sameach.
Ihr Dr. Gideon Joffe
jüdisches berlin
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