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Documenta? Antisemita!

01.November 2022 | Beiträge – jüdisches berlin | Gesellschaft

Ein Kommentar von Sigmount Königsberg, Antisemitismus-Beauftragter der Jüdischen Gemeinde

Es hätte ein sehr interessanter und schöner Kultursommer werden können. Das Konzept der documenta 15 sah vor, Künstlerinnen und Künstler aus Regionen der Welt ein Forum zu geben, die sonst in Deutschland keinen Raum und keine Stimme haben. 
Doch dieser Sommer wurde zu einem beeindruckenden Beispiel eines systematischen Negierens, Bagatellisierens und Aussitzens von Antisemitismus durch die documenta-Verantwortlichen. 
Sie alle wurden rechtzeitig gewarnt: Staatministerin Claudia Roth, der Hessische Ministerpräsident Boris Rhein, die Hessische Kulturministerin Angela Dorn, der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle und die Direktorin der documenta, Sabine Schormann. Sie alle wurden lange vor der Ausstellungs-Eröffnung darauf hingewiesen, dass Mitglieder der Kuratorengruppe »ruangrupa« die antisemitische BDS-Kampagne unterstützen. Immer wieder wurde, so vom Zentralrat der Juden in Deutschland, die Befürchtung geäußert, dass antisemitische Aussagen bei der documenta gezeigt werden.
All dies wurde abgetan, bagatellisiert oder als »medial aufgebauscht« diskreditiert.
Aber kaum war die documenta 15 eröffnet, da tauchten sie auf: Motive, die an Karikaturen aus dem »Stürmer« erinnern, Filme, in denen Terror gegen Juden glorifiziert wird, Dämonisierungen Israels.
Zumindest das Banner »People’s Justice« des indonesischen Kollektivs Taring Padi, in dem Juden mit SS-Runen und Israelis als Schweine dargestellt wurden, wurde abgebaut. Alles andere blieb. Auch die Terrorverherrlichung.
Zwischendrin löste Frau Schormann ihren Vertrag auf – wohl in erster Linie, weil ihrer Darstellung mancher Abläufe widersprochen wurde.
Das war es aber auch an Konsequenzen. Niemand wollte intervenieren und niemand übernahm Verantwortung für dieses Desaster. 
Stattdessen setzte das Kuratorenteam »ruangrupa« Tucholskys Motto: »In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht« in die Tat um und beschuldigte die Kritiker und Kritikerinnen des Rassismus. 
Zu keinem Zeitpunkt wurden Strukturen und Inhalte, die zu diesem Debakel, zu dieser Antisemita geführt haben, kontrovers erörtert. Man ging nie in die Tiefe, stattdessen wurde von »Antisemitismus-Vorwürfen« und »Zensur« geredet und das Banner der »Kunstfreiheit« hochgehalten. 
Nach Abschluss der documenta erhielten zwei Mitglieder von »ruangrupa« Gastprofessuren an der Hochschule für bildende Künste (HFBK) in Hamburg. Forderungen die Gastprofessoren wieder auszuladen, wollte die Hochschule nicht nachkommen. Antisemitismus lohnt sich.
Es wäre verkehrt, diese documenta als Ausrutscher anzusehen. Das Feuilleton in Deutschland jubelt seit Jahrzehnten antisemitischen Positionen zu. Nur einige Beispiele (die Liste ist beliebig erweiterbar) – 1985: Rainer Werner Fassbinder: »Die Stadt, der Müll und der Tod«; 1998: Martin Walser: Rede in der Paulskirche; 2012 Günter Grass: »Was gesagt werden muss«, 2020 die Debatte um den kamerunischen Historiker Achille Mbembé. Während Juden jedes Mal entsetzt waren, jubelten große Teile der Mehrheitsgesellschaft.
Die Art und Weise, wie die Debatte um die documenta 15 in den letzte Monaten ablief, erinnert mich an einen Ausspruch von Helmut Kohl: »Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter!«. Letztendlich bleibt festzuhalten: Unsere Stimmen wurden (wieder einmal) nicht gehört. 

Documenta? Antisemita!