Beitragssuche

Datum / Zeitraum:
Beitragsart:
Kategorie:

Die Marketing-Manager Gottes

01.September 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Religion

Sue Fishkoffs kenntnisreiches Buch über die Chabad-Bewegung gibt es jetzt auch auf Deutsch

Es ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte: Die ersten Emissäre hatte Menachem Mendel Schneerson, »der Rebbe«, 1950 nach Marokko geschickt, Juden unter dem Ideal »Ahawat Jisrael« zurück zum Judentum zu bringen. 60 Jahre später sammelt Chabad fast eine Milliarde Dollar jährlich und unterhält in mehr als 60 Ländern insgesamt 2800 Einrichtungen mit über 3800 Ehepaaren als Schlichim, die jedes Jahr u.a. 9000 öffentliche Seder-Feiern in 13 Zeitzonen rund um die Welt ausrichten und dabei eine halbe Million Gäste bewirten.

Die bekannte US-Journalistin Sue Fishkoff hat ein Jahr lang für ihr 413-Seiten-Buch über die Chabad-Bewegung in Nordamerika recherchiert und versucht herauszufinden, warum niemand in der jüdischen Welt den Lubawitschern neutral gegenübersteht (Sue Fishkoff »Das Heer des Rebben. Einblicke in die Chabad-Bewegung«. Edition Books & Bagels, Zürich 2011, 431 S., 24,90).

Es gibt vieles, was ihr an Chabad nicht gefalle, schreibt Fishkoff: der Scheitl, die Ablehnung von Fernsehen, Kino, Musik, des Reformjudentums oder überhaupt eines religiösen Pluralismus, die rechtsgerichtete politische Haltung, die Trennung von Mädchen und Jungen von klein auf, der Persönlichkeitskult um den Rebben und der exzessive Messianismus bei Teilen der Bewegung oder deren militärischer Aufbau: eine Kinderorganisation namens »Heer Gottes«, Lieder, in denen »vorwärts zum Sieg marschiert« wird, all die »Vorkämpfer«, »Gefreiten« und »Generäle«, die einen »spirituellen Krieg« gegen Säkulare oder Atheisten oder eine »Schlacht für Jüdischkeit« führten.

Aber die Autorin füllt auch die Plus-Seite des Chabad-Kontos auf, lobt die umwerfende Gastfreundschaft, Warmherzigkeit und Anpassungsfähigkeit der Lubawitscher, die logistische Leistungsfähigkeit und Nutzung moderner Technologien, vor allem aber die enthusiastischen, hart arbeitenden jungen Schlichim, die von Brooklyn in alle Welt ausschwärmen, um als »Laternenträger Gottes« die Seelen zu entzünden. Sie selber blieben dabei unberührt und abseits von der Kultur, in der sie nun lebten, bemerkt Fishkoff. Ob am Polarkreis oder in Patagonien – die gleichen Bücher im Schrank, die gleiche Mazzeknödelsuppe auf dem Herd, das gleiche Bild des Rebben an der Wand, die exakt gleiche Lebensweise.

Das liegt auch an der Organisationsstruktur: Jeder junge Chabad-Zögling beginnt seine Laufbahn mit dem Toralernen und damit, in Fußgängerzonen jüdische Passanten dazu zu überreden eine Mizwa zu tun und Tfillin zu legen bzw. Schabbatkerzen zu zünden. Die nächste Stufe ist hartnäckiges Spendensammeln. »Sie sind fabelhafte Fundraiser«, sagt jemand, »sie kennen das Wort Nein nicht«. Für Selbstzweifel ist ohnehin kein Platz. Die Emissäre sollen ihr Ego beiseite stellen und dem Werk des Rebben als Gefäß dienen – Marketing-Manager Gottes und des Judentums.

Der erste Schaliach, der in ein Gebiet geschickt wird, wird »Chef« dieser Region und später damit beauftragt, alle zukünftigen Schlichim in seinem Gebiet einzustellen, Abweichler zu disziplinieren und festzulegen, welche Orte »reif« für Chabad sind. Die Basics sind überall auf der Welt gleich: Chanukkiot (jede zu 1,50 $) in großer Menge verteilen, Kindergärten eröffnen, Mazze-Bäckerei und Schofar-Fabrik initiieren und die Presse dazu einladen – dabei Konflikten aus dem Weg gehen und das jüdische Establishment beruhigen. So lautete die Anweisung des Rebben.

Fishkoff hat es jedoch auch anderes erlebt. Ein Reformrabbi in New England klagt über den Chabad-Schaliach vor Ort: »Es scheint, als wolle er an der jüdischen Gemeinde teilhaben, aber… er erklärte der Lokalpresse, es gebe hier nichts Jüdisches, und das sei der Grund für sein Kommen. Aber unsere Gemeinde gibt es hier schon seit 25 Jahren«. Das klingt bekannt. Auch dass Chabad heute weltweit auf allen wichtigen Plätzen vom Weißen Haus bis zum Brandenburger Tor im Beisein der nichtjüdischen Lokalprominenz riesige Chanukka-Leuchter zündet und seit Jahren unter dem Schutz der Ortsgrößen (fast) alle juristischen und politischen Kämpfe mit jüdischen Organisationen von ADF bis AJC gewinnt, die sich gegen die Zurschaustellung religiöser Symbole auf öffentlichem Boden wehren (und seitdem oft selbst Leuchter zünden, auf eigenem Terrain).

Chabad hat beste persönliche Beziehungen zu jedem US-Präsidenten seit Gerald Ford und großen Erfolg in der Politik und im nichtchassidischen öffentlichen Leben. Denn oft sind die Geldgeber keine Lubawitscher und nicht einmal praktizierende Juden. Aber warum lassen sich Prominente von Bob Dylan bis Meryl Streep (es kann auch eine Veronica Ferres sein) für Chabad einspannen? Erfolg bringt Erfolg, man kann etwas gegen sein schlechtes Gewissen tun oder ist beeindruckt vom konfessionsübergreifenden Engagement für Strafgefangene, Junkies und krebskranke Kinder. Manche plagen Schuldgefühle, dass sie sich vom Judentum gelöst haben, andere fühlen sich nach schlechten Erfahrungen mit jüdischen Institutionen zum ersten Mal angenommen. Chabad holt Leute, die keine Ahnung von ihrem Judentum haben, dort ab, wo sie stehen, mit einfacher Sprache und verständlichen Konzepten. Alan Dershowitz erklärt sich den Erfolg damit, dass Chabad ein (emotionales) Gegengewicht zum intellektuellen Judentum bietet – Bauch statt Kopf. Und die Schlichim wissen die sehr verschiedenen Motive zu nutzen.

Vieles an Chabad wirke widersprüchlich, konstatiert die Autorin. Sie beachten strikt die Kaschrut, »übersehen« aber Schinken essende Juden. Sie verachten die populären Medien, schalten aber ganzseitige Werbeanzeigen und betreiben die größte jüdische Webseite inklusive Live-Chatrooms (Chabad bedient sich schon seit 1988 des Internets, im Radio gab es Tanya-Unterricht schon 1960). Die »Kombination von operativer Elastizität und persönlicher Gewissenhaftigkeit kann entwaffnend sein«, formuliert Fishkoff. Andere wie Eric Yoffie monieren den jüdischen Minimalismus, das Eintreten für ein striktes Befolgen jüdischer Praxis bei gleichzeitigem Absenken der Normen auf eine »lächerlich niedrige Stufe«, nur um Juden anzuziehen. »Sie sind ein Billig-laden«, dessen Aktivitäten nach außen sich eigentlich nach innen richten, klagt Ismar Schorsch, und Fishkoff beschreibt, wie Chabad mit preiswerten bis kostenlosen Programmen zur existentiellen Bedrohung für manch alteingesessene Einrichtung wird. Doch die Eltern, erklärt sie, schätzten die warme Umgebung und das jüdische Wissen, das Chabad vermittele, und nähmen dafür in Kauf, dass ihren Kindern gelehrt wird, dass die Welt gerade 5771 Jahre alt ist, dass es so etwas wie Evolution und Sonnensystem nicht gibt und Sexualität oder Drogen im Literaturunterricht tabu sind. Chabad verwende in seinen Schulen zensierte Fassungen der Weltliteratur, erfährt Fishkoff und zitiert eine Lehrerin: »Wir wählen aus und lassen den Abfall draußen«.

So hat es der Rebbe gewollt. Als er 1994 starb, sendete CNN live. Seine Verehrer pilgern bis heute zu seinem Grab (sogar Kohanim, die Friedhöfe nicht betreten dürfen, haben einen Trick: sie steigen in Kisten ohne Deckel und Boden, die Häuserwände darstellen sollen). Die Krise nach dem Tod ihrer zentralen Autorität scheint jedoch überwunden.

Chabad ist der Stachel, der die jüdischen Welt antreibt, aktiver zu werden, meinen manche Beobachter. Wir werden sehen, was die Lubawitscher uns noch bringen. Schließlich waren auch charismatische Erneuerer wie Shlomo Carlebach und Zalman Schachter einst Chabad-Schlichim.

JUDITH KESSLER

 

 

Die Marketing-Manager Gottes