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Die »jungen Wilden« fördern

01.November 2010 | Beiträge – jüdisches berlin | Jugend, Kultur

Kritische Anmerkungen zu Berlin als Hochburg modernen jüdischen Lebens

Ich erinnere mich noch gut an meine Kindheit und Jugend in Berlin. Das ist nicht allzulange her und ich verbinde tolle Momente mit diesen Erinnerungen. Es war eine Zeit, die geprägt war von diversen Sportvereinen, Schulveranstaltungen und Hobbys. Bei all dem war es irgendwie immer wieder das Judentum, worum sich alles drehte. Ich meine nicht die Feiertage, an denen ich mit meiner Familie in die Synagoge ging, sondern eher das alltägliche Lebensgefühl. Die Teilnahme an der Gruppe »Gita« war genauso Pflicht wie der Besuch im Jugendzentrum; der ZJD-Nachmittag war das Selbstverständlichste von der Welt und wenn meine Klassenkameraden sich auf den Ski- oder Sommerurlaub mit der Familie freuten, konnte ich es kaum erwarten, meine Familie hinter mir zu lassen, um auf Machane zu fahren. Dort hatte ich dann immer zwei Wochen lang 150 neue Familienmitglieder, mit denen ich lachen, streiten und toben konnte. Später durchliefen ich und meine Freunde fast alle Stationen als Madrichim und gaben das Erlebte und Vermittelte an die nächsten Generationen weiter. Ich empfinde bis heute diese Phase als eine sehr wichtige in meinem Leben.

Gerade das Zurück- und Weitergeben ist eine wichtige Komponente. Doch wo es früher selbstverständlich war, an Gemeindeveranstaltungen teilzunehmen, Machanot zu besuchen und ein Teil des Ganzen zu sein, ist das heute anscheinend ziemlich »uncool«. Auf den ersten Blick betrachtet, passiert auf jüdischer Ebene in keiner Stadt so viel wie Berlin. Und in der Presse ist immer häufiger von Berlin als dem Standort für das moderne jüdische Leben zu lesen. Berlin soll die Hochburg des jüdischen (Party-)Lebens in Deutschland sein, und wenn ich ehrlich bin, ist Berlin das auch, und um noch ehrlicher zu sein, ist das aber nicht die ganze Wahrheit.

Da gibt es die Meshugge-Partyreihe eines jungen Israelis, der vor einigen Jahren nach Deutschland kam und es gibt die Sababba-Partyreihe, die von Daniel Stern und mir veranstaltet wird. Die beiden Veranstaltungsreihen haben unterschiedliche Ansatzpunkte – die Meshugge-Partys werden oft von Israelis und interessierten Nichtjuden besucht, es wird viel House gespielt, gepaart mit israelischer Musik. Gemeindemitglieder und deren Freunde und Bekannte versammeln sich wiederum eher bei den Sababba-Partys. Sababba ist mehr Mainstream, die Musik ist vielseitiger, es werden auch mal israelische Evergreens gespielt (die man so in israelischen Clubs nicht hören wird, die aber Erinnerungen an die guten alten Machane-Zeiten wecken). Für die hier ansässigen Israelis ist das in etwa so, als wenn wir in einem Club Udo Jürgens & Co. hören würden. Beide Veranstalter treibt jedoch die selbe Grundidee und Motivation. Man möchte Brücken bauen, Kulturen verbinden und über den Spaß an der Musik und am Tanz für Verständigung sorgen.

Warum also ist es, meiner Meinung nach, trotzdem falsch, von Berlin als der Hochburg jüdischen Lebens zu sprechen? Weil das Angebot für junge Gemeindemitglieder noch immer zu klein ist. Wir sind in Berlin noch lange nicht da, wo wir sein könnten. Es gibt viel mehr Möglichkeiten, wie man über das Thema Judentum für Verständigung und Offenheit werben kann.

Vernen Liebermann

Vernen Liebermann

Ein Problem ist, dass sich – in meinen Augen – die jungen Gemeindemitglieder immer weniger einbringen, obwohl sie aus ihrem Potential viel mehr machen könnten – zurückgeben, mitgestalten, die eigenen Ideen auch für die Gemeinde oder deren Mitglieder nutzen. Wo aber sind beispielsweise unsere Studenten abgeblieben, der JSB und der BJSD? Es muss nicht ja immer eine Party sein. Renat Fischbach hat es mit seinem Debattierclub »Jewbating« vorgemacht. Genauso erfolgreich sind Konzepte wie das von Limmud.de, das mit seinen Lernfestivals für alle Juden unabhängig von Alter und Gemeindemitgliedschaft da ist. Man kann aber auch Ausstellungen auf die Beine stellen, einen »Young Shiur« oder Medienworkshops von Mitgliedern für Mitglieder oder Lesungen mit jungen Berliner Autoren wie Willy Kramer.

Auch Daniel und mir waren die Sababba-Partys nicht genug, und so veranstalteten wir letztes Jahr, auf eigenes Risiko und ohne größere Unterstützung der Gemeinde, den Chanukkaball im Hotel Ellington. Der Chanukkaball war früher eine Institution. Als es ihn plötzlich nicht mehr gab, wollten wir ihn unbedingt wiederbeleben. Es kamen um die 400 Gäste, was uns klarmachte, dass der Bedarf da ist und die Resonanz nicht auf sich warten lässt, wenn das Angebot »stimmt«. An dieser Stelle kann ich mich auch noch einmal bei den Helfern und Sponsoren bedanken, ohne die das Fest nicht zustande gekommen wäre. Auch für unseren diesjährigen Chanukkaball haben wir bereits ein Drittel der Karten abgesetzt, ohne bis dato Werbung gemacht zu haben. Die Leute freuen sich über moderne, innovative Angebote, man muss sie halt nur schaffen.

An dieser Stelle sind natürlich nicht nur die jungen Mitglieder, sondern auch unsere Gemeinde kritisch zu hinterfragen. Wird genug gefördert? Werden junge Gemeindemitglieder gezielt unterstützt, wenn sie mit einer Idee vor der Tür stehen? Werden interessierte Mitglieder aktiv angeworben, an der Gestaltung der Gemeinde mitzuarbeiten? Ich kann mir darüber noch keine abschließende Meinung bilden. Ich kenne aber leider auch kaum jemanden aus meiner Generation, der in die Gemeindearbeit involviert ist und damit die Interessen und den Gestaltungswillen der jüngeren Generation vertritt.

Ich bin mir sicher, dass es in unserer Stadt genug junge, schlaue Köpfe mit Interesse und Talent gibt. Die Gemeinde muss diese »jungen Wilden« fördern, nur so kann die nächste Generation Einblicke erhalten, in die Gemeindearbeit involviert werden und letztlich nachhaltig unterstützend tätig sein. Schließlich sind die jungen Menschen die Zukunft der Gemeinde – es wäre schade, wenn sie irgendwann einfach »keine Lust mehr« haben oder nur ihr »eigenes Ding« machen.

Wir haben viele Potentiale. Mein Appell ist es also, sich mehr einzubringen und die Gemeinde für Projekte und Ideen zu nutzen, was voraussetzt, dass die Gemeindeverantwortlichen offen sind für innovative Konzepte. »Events« oder »junge« Ideen dürfen nicht als Beiwerk abgetan werden, das bei »wichtigeren Themen« stört. Wir wollen auch nach außen hin ein gutes Bild abgeben und dafür müssen neue nachhaltige Ideen und Inhalte her, die die jüdische Gemeinde in ein positives und modernes Licht rücken.

Das zweite Chanukka-Licht zünden wir übrigens am 4. Dezember im Hotel Crowne Plaza auf unserem Chanukkaball 2010, zu dem wir alle Leser herzlichst einladen.       

Vernen Liebermann
www.chanukka-ball.de