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Die Banalität des Guten
01.März 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Politik
Die 3. Internationale Konferenz zur Holocaust-Forschung befasste sich mit »Helfern, Retter und Netzwerkern des Widerstands«
Nach Opfern und Tätern standen bei der 3. Konferenz der Bundeszentrale für Politische Bildung zur Holocaustforschung nun die Helfer im Mittelpunkt.
Täter werden nicht als Täter und Helfer nicht als Helfer und »gute Menschen« geboren. Harald Welzer (Essen) berichtete von sozialpsychologischen Experimenten, die nahelegen, dass die Meisten zu Tätern werden können, dass die Meisten nur helfen, wenn sie erkennen, dass Hilfe erforderlich ist, dass Hilfe eine sehr komplizierte und komplexe Angelegenheit sein kann (den besten Beweis lieferte Ladislaus Löb, der über sein Buch »Geschäfte mit dem Teufel« und seinen Retter, den ungarischen Juden Rezsö Kasztner referierte, der nach Vorwurf, mit den Nazis kollaboriert zu haben am Ende sogar ermordet wurde). Ferner, so verschiedene Studien, erfolgt Hilfe selten singulär, sondern bedarf Netzwerke und Vertrauen. Situative Faktoren sind wichtig; man muss bestimmte Handlungsspielräume erkennen und über passende Ressourcen verfügen (z.B. ein Versteck, Kontakt zu Passfälschern) – guter Wille allein reicht nicht. So wie es »Lumpensammlerinnen und Diplomaten« (Barbara Schieb) unter den Helfern gab, konnte die Forschung, die meist historische Einzelfälle untersucht, auch keine bestimmte Helferpersönlichkeit feststellen. Wenngleich Menschen, die sich ohnehin am Rande der Gesellschaft bewegen (wie Prostituierte oder Kleinkriminelle) besonders häufig halfen. Juden zu helfen – in der Regel also Verstecken oder Hilfe zur Flucht – war im Kontext des Nationalsozialismus abweichendes Verhalten und »antisozial«. Daher bleibt die Frage, wieso Einzelne trotzdem halfen und wie man diesen »Ungehorsam« heute pädagogisch vermitteln (das Wort »Zivilcourage« ist fehl im Platz, da das NS-Regime keine zivile, demokratische Gesellschaft war) und zugleich Helden-Narrative vermeiden kann (die ja eher beängstigend als vorbildhaft wirken und mit dem wahren Leben junger Leute wenig zu tun haben).
Johannes Tuchel von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand (Berlin) nannte es »beschämend«, dass eine solche Konferenz erst heute stattfindet. Die Judenhelfer (etwa 20 000 von 80 Millionen Deutschen) wurden Jahrzehnte als Verräter diffamiert oder ignoriert, auch weil dies das Selbstbild der Deutschen von ihrer Ohnmacht gegenüber dem NS-System gestört hätte. Oft haben sie selbst geschwiegen, weil sie ihre Taten als »selbstverständlich« ansahen und häufig sei eine Anerkennung oder Entschädigung abgelehnt worden (weil »Hilfe für Juden nicht gegen den Bestand des NS-Regimes gerichtet« sei). Viele Helfer seien so heute gar nicht mehr identifizierbar. Die Initiative »Unbesungene Helden«, die der Berliner Senat zusammen mit der Jüdischen Gemeinde 1958 ins Leben gerufen hatte, sei über Jahrzehnte die einzige Ehrung gewesen (Dennis Riffel, der über das Thema promoviert hat, ergänzte, dass auch nur Einwohner Westberlins geehrt wurden und der zuständige Ausschuss z.B. Vorbestrafte und Pfarrer ausklammerte, erstere wegen »Ehrenrührigkeit«, letztere wegen der »Selbstverständlichkeit ihrer Hilfe«, so dass von fast 2000 Fällen nur 760 tatsächlich ausgezeichnet wurden). Erst der Film »Schindlers Liste« und vor allem Wolfgang Benzens Projekt einer Datenbank zur Erfassung deutscher Helfer und die Arbeiten seines Instituts, des Institut fürAntisemitismusforschung, zu den deutsch besetzten Ländern hätten die Grundlage für die weitere Forschung geliefert. Zum Generationswechsel kamen ab Mitte der 90er Jahre Meilensteine wie die Initiativen von Inge Deutschkron zur Ehrung und Erforschung der Helfer (Blindenwerkstatt Otto Weidt und Museum »Stille Helden«) und Wolfram Wettes »Retter in Uniform« hinzu. Wette (Freiburg) referierte dann auch zum Thema Wehrmacht, in der sich bei 18,5 Millionen Menschen gerade einmal etwa 100 Helfer fanden. Dies obwohl gerade hier Handlungsspielräume bestanden hätten und z.B. Exekutionsverweigerer nicht mit besonderen Sanktionen rechnen mussten, wie man heute weiß, so der Militärhistoriker: »Kein einziger Soldat wurde wegen Judenhilfe zum Tod verurteilt« (auch im Zivilleben gab es übrigens kein Delikt »Juden verstecken«; wenn überhaupt, wurden Leute wurden wegen Schwarzhandel oder Urkundenfälschung verurteilt). Doch auch Wette hat keine monokausale Antwort auf die Frage parat, warum so wenige halfen.
Der Soziologe Natan Sznaider aus Tel Aviv stellte Überlegungen zum »Neinsagen in der Diktatur« an. Foto: Judith Kessler
Beate Kosmala (»Stille Helden«, Berlin), die zu Osteuropa arbeitet, machte auf weitere situative Faktoren aufmerksam. Slowaken etwa halfen Juden erst, als ihr Land kein Bündnispartner der Deutschen mehr war; auch Ungarn und Litauer halfen eher bei Deportationen als sie zu verhindern. Polen als Land mit den meisten Juden (3,5 Millionen) hat auch die meisten Helfer zu verzeichnen (allein 6 200 sind als »Gerechte« in Yad Vashem registriert, 40 000 bis 60 000 Juden überlebten im Untergrund), selbst wenn hier die Motive oft kommerzieller Art waren. Andererseits wurde Polen als erstes besetzt, gab es hier besonders viele Not, riskierten Helfer ein Todesurteil und konnten als Verräter am Katholizismus gelten und waren die Juden am wenigsten assimiliert und damit eher erkennbar (Sprechweise, Aussehen, Unkenntnis christlicher Gebete).
Auch Bob Moore (Sheffield), Spezialist für Westeuropa, hat das Forschungsproblem, dass es zwar Berichte von einzelnen Fällen gibt, aber keine Strukturstudien darüber, wie Hilfe funktioniert. Klar sei inzwischen immerhin, dass Hilfe oft bestimmten Traditionslinien folgte. So gibt es Gesellschaften, die Hilfe als Verpflichtung ansehen und es haben sich über lange Zeit Kontakte und Netzwerke etabliert, die in der NS-Zeit dienlich waren – in jüdischen Selbsthilfeorganisationen in Frankreich, im kommunistischen Widerstand in Holland oder in katholischen Klöstern in Belgien. Auch lokale Autoritäten spielen eine große Rolle. So erzählte Moore von zwei Dörfern in den Niederlanden – in dem einen waren auf Initiative des örtlichen Pfarrers über 200 Juden versteckt, im Nachbardorf kein einziger.
Alejandro Baer widerlegte den von Franco installierten Mythos, spanische Diplomaten hätten auf Veranlassung ihrer Staatsführung 50 000 Juden aus besetzten Ländern gerettet oder/und sie seien Helden, die dafür ihre Karriere riskiert hätten. An Beispielen zeigte er auf, dass sich der spanische Staat alles anderes als kooperativ verhielt, wenn Diplomaten (wie Romero Radigales in Saloniki) versuchten, Juden zu retten und dass sie bei allem Einsatz zugleich doch als überzeugte Vertreter des Franco-Regimes handelten und ihre Position nie gefährdet war. Auch hier taugte die Dichotomie gut/böse nicht.
Irena Steinfeldt (Jerusalem) ergänzte das Ambivalenz-Thema, als sie über die Probleme und Kriterien der Kommission sprach, die über die Aufnahme von Helfern als »Gerechte unter den Völkern« in Yad Vashem entscheidet. Es gibt Retter, die überzeugte Antisemiten waren, solche, die für viel Geld und andere, die ohne jedes Risiko halfen. Auch Oskar Schindler wurde beim ersten Anlauf abgelehnt; erst der Film über ihn habe ihn allmählich »gedenkstättentauglich« gemacht, wie Natan Sznaider anmerkte.
Ethan Hollander (Indiana) hat untersucht, warum in einigen europäischen Ländern mehr Juden überlebten als in anderen: im Baltikum lag die Opferquote bei 96 %, in Finnland unter 1 %. Wesentlich hierfür sei die Verwaltungsstruktur gewesen. So hätten in Ländern mit eigenen Verfolgungsbehörden deutlich mehr Juden überlebt (sogar in Mussolinis Italien) als in direkt von Deutschen verwalteten.
Gerd Hankel, der die strafrechtliche Aufarbeitung des Völkermords in Ruanda 1994 vor Ort untersucht, machte auf weitere Faktoren aufmerksam. Hutus hatten Tutsi eher gehalfen, wenn unter anderem die Hilfe von kurzer Dauer sein sollte, wenn jemand direkt angesprochen wurde, das Hilfeanliegen plötzlich kam, der Ehepartner aus der anderen Volksgruppe stammte. Und auch hier waren es keine Helden, sondern »der kleine Mann«, der autonom handelte. Mit dem Praxisforum »Zivilcourage lernen« sollten im Anschluss an die Konferenz solche Ergebnisse auch in die Bildungsarbeit transferiert werden.
Natan Sznaider (Tel Aviv) warnte zuvor jedoch davor, aus dem empirischen Material universale Schlüsse ziehen zu wollen und den Topos den Handlungsspielraums über zu strapazieren. Hilfe und Nonkonformität im NS-Diktatur ware eine Ausnahme in einem Ausnahmezustand. Aus Extremsituationen seien keine »allgemeingültigen Wahrheiten« ableitbar. »Warum sollte die Rettung für Geld zum Beispiel als unehrenhaft gelten? Müssen die Motive rein sein, damit es eine erlösende Wirkung des Holocaust geben kann?« Das Gute werde banal, versuche man es als allgemeines Gut zu verkaufen, als globalisierte Norm. Könne Aufopferung, fragt Sznaider, als globales Programm eingefordert werden? Als Modell dienen? Solle man Schülern sagen: »Marginalisiere dich!«? Nein. (Wenn auch die radikal selbstkritische europäische Erinnerung an den Holocaust die Identität Europas nicht zerstört, sondern erst konstituiert habe.) Die »Rettung« stehe, so Sznaider, jenseits von Pädagogik und politischer Logik (»die Rote Armee hat mehr Juden gerettet als alle Retter zusammen, aber kann man Stalin deswegen als Judenfreund bezeichnen?«) und der »Gerechte unter den Völkern« sei ein religiöser Topos. Statt über Helden und Zivilcourage zu schwadronieren, sollte man angesichts dessen, das Mitmachen viel wahrscheinlicher war (und ist) »bescheiden bleiben« und »dankbar für die paar Abweichler«.
Judith Kessler
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