Beitragssuche

Datum / Zeitraum:
Beitragsart:
Kategorie:

Der soziale Aspekt von Sukkot

01.September 2023 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde, Feiertage

Gedanken zum Laubhüttenfest von Gemeinderabbiner Yitshak Ehrenberg

Zu Anfang eine Geschichte: Ein Rosch Jeschiwa, Leiter einer Talmudschule, hat Geld gesammelt. Ist von Haus zu Haus gegangen. Es war ein kalter Wintertag und es schneite, als er zum Haus eines reichen Mannes kam. Er klopfte an die Tür und sie wurde geöffnet. »Kommen Sie herein« sagte der Hausherr. Doch der Rebbe sagte: »Nein, ich möchte mit dir allein einen Spaziergang machen. Komm mit, auf eine halbe Stunde«. Sie gingen, sprachen über dies und das. Nach einer halben Stunde, als der Rebbe das Gefühl hatte, seinem Begleiter sei schon ziemlich kalt und er friere, sagte er: »Wir haben ein großes Problem in der Jeschiwa. Wir brauchen eine neue Heizung. Es kann doch nicht sein, dass die Jeschiwa ohne Heizung ist«. Der reiche Jude versprach, die Jeschiwa zu unterstützen.
Sie kamen nach Hause und tranken gemeinsam heißen Tee. Da sagte der Hausherr: »Ich verstehe nicht, warum wir den Spaziergang bei dieser Kälte gemacht haben. Wir hätten doch alles gleich hier besprechen können, am warmen Ofen«. Der Rebbe widersprach: »Nein, wenn wir hier säßen an einem warmen Ofen, mit einer Tasse heißen Tee, dann hättest du nicht verstanden, was es für jemanden bedeutet zu frieren. Ich wollte dich in eine solche Situation bringen, damit du spürst, was das heißt. Denn ein Mensch kann eine Situation nur dann wirklich verstehen, wenn er ein wenig davon gespürt hat. Wer im Warmen sitzt, kann sich kaum vorstellen, was für den Frierenden Kälte bedeutet. Wer satt ist, kann auch nicht nachfühlen, was Hunger ist«.
Was hat diese Geschichte mit Sukkot zu tun? In der Tora  steht geschrieben: Was haben wir uns unter der Sukka vorzustellen? Da gibt es zwei Meinungen. Eine sieht sie als konkrete Laubhütte, so wie wir sie jedes Jahr zu Sukkot bauen. Die zweite interpretiert sie als Schutz, als Wolke, die das jüdische Volk begleitete und schützte. Der Grund, warum wir in der Sukka sitzen, ist in der Tora klar beschrieben: »In Sukkot sollt ihr wohnen sieben Tage, damit eure Nachkommen wissen, dass ich die Kinder Israels in Sukkot wohnen ließ, als ich sie einst aus Ägypten führte« (Lev. 23,43).
Für diese Mizwa gibt es eine Vielzahl von Deutungen. Man kann in ihr aber auch einen sozialen Aspekt finden.
Die Frage ist: Wenn der Grund für diese Mizwa ist, dass wir daran denken, dass G’tt uns aus Ägypten und aus der Wüste geführt hat, warum sitzen wir dann nicht zu Pessach in der Sukka und essen Mazzot? Warum tun wir das ein halbes Jahr später? Pessach ist im Frühling, da gehen die Menschen ohnehin ins Freie und sitzen in der Sukka. Wir säßen dann in der Sukka, weil wir es so wollen. Im Herbst wird es aber schon kühler, da ist unser Bedürfnis eher ins Haus zu gehen und nicht im Freien zu sitzen. Daraus wird deutlich: Diese Tage sind nicht zu unserer Bequemlichkeit und unserem Vergnügen, auch wenn Sukkot ein Fest der Freude ist. Freude in der Erinnerung an den Auszug aus Ägypten, aber auch jedes Jahr wieder aktuell, da im Herbst die Ernte eingebracht wird. Viele Menschen fühlen sich also jetzt vor dem Wintereinbruch sicher, die Lager sind gefüllt, der Mensch ist stolz.
Da kann es leicht passieren, dass er G’tt vergisst.
Und genau zu dieser Zeit sagt ihm die Tora: Geh hinaus, verlasse deine Wohnung, bleibe sieben Tage in der Sukka. Damit soll er sich daran erinnern, dass G’tt ihn schützt, so wie er das 40 Jahre in der Wüste mit seinen Vorfahren getan hat.
Gleichzeitig – und damit sind wir wieder bei unserer Anfangsgeschichte – erinnern wir uns bei der aufziehenden nächtlichen Kälte auch an die Menschen, die arm sind und deren Lager vielleicht nicht so voll sind, die nicht so gut auf den Winter vorbereitet sind und dass ihnen vielleicht Heizmaterial oder entsprechende Kleidung fehlt.
Wir sollen das Haus für sieben Tage und Nächte verlassen und in der Sukka leben, nicht für einen kurzen Besuch, sondern Tag und Nacht.
Mit dieser Mizwa soll der Mensch fühlen und erkennen, was es heißt, kein festes Dach über dem Kopf zu haben, in der Kälte sein zu müssen. Er soll seine Gedanken auf seine Brüder und Mitmenschen richten, die nicht alles haben. Die Tora befiehlt uns immer wieder, die Armen zu unterstützen. Die Mizwa zu Sukkot heißt also in ihrem sozialen Aspekt: Wir sollen spüren und uns daran erinnern, dass es Menschen gibt, die nicht alles haben.

 

Der soziale Aspekt von Sukkot