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Der Neue Antisemitismus-Beauftragte des Berliner Senats

01.September 2020 | Beiträge – jüdisches berlin | Gesellschaft

Am 3. August 2020 wurde Prof. Dr. Samuel Salzborn vom Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Dr. Dirk Behrendt zum Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus berufen. Wir gratulieren Herrn Salzborn ganz herzlich und haben mit ihm folgendes Gespräch geführt. 
 
Könnten Sie sich bitte für die Gemeindemitglieder, die Sie nicht kennen, kurz vorstellen?
Nachdem ich einige Jahre journalistisch tätig war, arbeite ich seit fast 20 Jahren wissenschaftlich über und gegen Antisemitismus, in all seinen Facetten, also ganz gleich, ob er von rechts, links oder aus der Mitte der Gesellschaft kommt, ob er einen christlichen oder islamischen Hintergrund hat und auch, ob er offen völkisch-rassistisch, schuldabwehrend oder antiisraelisch formuliert wird. Dabei ist es mir ein besonderes Anliegen zu betonen, dass Antisemitismus nicht – wie man noch früher glaubte – einfach ein Vorurteil ist, sondern eine umfassende Weltanschauung, weil diese Einsicht für Prävention wie Intervention zentral ist.
 
Welche Erfahrungen haben Sie bisher in der Bekämpfung von Antisemitismus gemacht?
Meine erste Erfahrung bestand in einer Irritation: ich bin Anfang der 1990er Jahre politisch sozialisiert und wegen der rechtsextremen Brandanschläge wurde in meiner Schule eine Projektwoche veranstaltet, bei der es – es war ein dezidiert linksliberales Gymnasium – neben dem Themenfeld Rechtsextremismus auch um den Nationalsozialismus ging. Allerdings ohne dabei ein besonderes Augenmerk auf Antisemitismus oder die Shoah zu legen. Ich merkte damals, dass irgendetwas verschwiegen wird, ohne aber schon verstanden zu haben, was. Diese Irritation ist bis heute geblieben, sie prägt meines Erachtens oft die Alltagserfahrungen mit Antisemitismus in Deutschland: man möchte ihn beschweigen, man möchte ihn kleinreden oder nivellieren und wenn es zu antisemitischer Gewalt kommt, gar zum antisemitischen Terror wie in Halle, dann fällt man immer wieder aus allen Wolken, weil man vorher beide Augen fest zugekniffen hat. Meine Erfahrung in der Bekämpfung von Antisemitismus besteht insofern darin, immer wieder dazu anzuhalten, die Augen zu öffnen für antisemitische Realitäten und ihre Bekämpfung einzufordern – gerade und besonders, weil das in Deutschland bis heute mit viel Abwehr und Gegenwind verbunden ist und nicht Antisemitismus als das Problem gilt, sondern diejenigen, die ihn kritisieren.
 
Wo sehen Sie in Berlin Defizite?
Ich übernehme eine Tätigkeit in Berlin, bei der ich an exzellente Vorarbeit anschließen kann. Kein anderes Bundesland hat so früh und so umfangreich auf die antisemitischen Realitäten reagiert, wie Berlin, niemand hat auch nur im Ansatz ein so differenziertes und durchdachtes Konzept zur Bekämpfung von Antisemitismus, wie Berlin mit der »Berliner Landeskonzept zur Weiterentwicklung der Antisemitismus-Prävention«. Dennoch sind diese antisemitischen Realitäten auch und gerade in Berlin schmerzlich vorhanden, auch wenn wir dank des sehr guten Monitorings von Seiten des Senats, aber auch durch zivilgesellschaftliche Akteure wie die Jüdische Gemeinde, wie RIAS oder wie OFEK und andere deutlich mehr über Antisemitismus wissen, als andere Bundesländer. Ich denke, wir müssen gemeinsam den begonnenen Weg weiter beschreiten, das – aktuell stark erodierte –Vertrauen von Jüdinnen und Juden gegenüber staatlicher Politik durch konsequentes Agieren gegen Antisemitismus stärken und jüdisches Leben im Berliner Alltag wieder völlig selbstverständlich werden lassen. Das wird leider nur schrittweise geschehen und wird Geduld bedürfen – und das betone ich, obgleich ich selbst ein unfassbar ungeduldiger Mensch bin.

Welche Maßnahmen wollen Sie als erste angehen?
Ich muss offen zugeben, dass ich mir eine wirklich seriöse Antwort auf diese Frage nicht zutraue, weil wir uns immer noch auf der Ebene der Reaktion auf Antisemitismus befinden: Antisemit(inn)en sind, online wie offline, mittlerweile so gut vernetzt, die antisemitische Radikalisierung, an deren Anfang eine antisemitische Äußerung steht und an deren Ende ein antisemitischer Mord oder Terroranschlag stehen kann, verläuft rasant, Antisemitismus durchzieht alle politischen Spektren und im antiisraelischen Antisemitismus besteht mittlerweile ein Weltbild, das als globale Integrationsideologie zwischen politischen Milieus wirkt, die in anderen Fragen oft massive Differenzen haben. Die antisemitische Bedrohung ist schon seit Jahren keine Hypothese, sondern entsetzliche Realität mit stetig wachsendem Verrohungs- und Gewaltpotenzial.
Durch die intensive Arbeit Berlins gegen Antisemitismus ist dieser in Berlin aber auch in deutlich höherem Maß öffentlich bekannt, als in anderen Bundesländern, die das Problem gar nicht oder nur marginal auf dem Radar haben. Aber natürlich ist gerade der Alltagsantisemitismus ein großes Problem, das zeigen die Arbeiten von RIAS, aber auch der Berlin-Monitor sehr deutlich. Vor diesem Hintergrund muss es vordringlich darum gehen, diesen Alltags-
antisemitismus zu reduzieren – zugleich sollten wir im Blick haben, dass es in Berlin immer wieder antisemitische Großveranstaltungen gibt, wobei ich das Anliegen vieler jüdischer Organisationen teile, dass gerade hier Aktivitäten gefordert sind, damit das durch antisemitische Alltagsgewalt und antisemitische Terror erschütterte Sicherheitsgefühl wieder hergestellt werden kann.
Insofern werden wir kurzfristig immer wieder auf antisemitisches Denken und Handeln reagieren müssen, ich hoffe aber, dass es mittelfristig gelingt, die antisemitischen Handlungsspielräume soweit zu verkleinern, dass wir gemeinsam die langfristigen Probleme angehen und nachhaltiger gegen Antisemitismus vorgehen können. Dafür, und das ist mir ein zentrales kurzfristiges wie langfristiges Anliegen, benötigen wir kontinuierlichen Erfahrungsaustausch, auch über erfolgreiche und neue, innovative Strategien gegen Antisemitismus mit allen von Antisemitismus Betroffenen und allen, denen seine Bekämpfung am Herzen liegt. Meine Rolle kann dabei nur so gut sein, wie es mir gelingt dazu beizutragen, die Anliegen der jüdischen Organisationen und zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen Antisemitismus in Dialog mit dem politischen Berlin zu setzen.
 
Welches sind Ihre kurz-, mittel – und langfristigen Ziele?
Das Berliner Landeskonzept benennt fünf Handlungsfelder als zentral: »Bildung und Jugend: Frühkindliche Bildung, Jugendarbeit, Schule und Erwachsenenbildung«, »Justiz und Innere Sicherheit«, »Jüdisches Leben in der Berliner Stadtkultur«, »Wissenschaft und Forschung« sowie »Antidiskriminierung, Opferschutz und Prävention«. Mit diesen fünf Handlungsfeldern sind die drei Säulen des Kampfes gegen Antisemitismus im Querschnitt gleichermaßen erfasst: Prävention, Intervention und Repression. Aus meiner Sicht darf man keine dieser drei Säulen außer Acht lassen, sondern muss begreifen, dass Prävention ohne Repression eben so wenig Erfolg haben kann, wie umgekehrt. Welche Stellschrauben wir noch nachjustieren müssen, wird sich im Laufe der Zeit zeigen, ich könnte mir vorstellen, dass angesichts des rechtsextremen Angriffs auf die Erinnerungskultur noch mehr Engagement in dem Bereich wichtig sein könnte, denn aktueller Antisemitismus wird immer häufiger mit einer Täter-Opfer-Umkehr und geschichtsrevisionistischen Positionierungen formuliert, dieses Motiv ist ja selbst im antiisraelischen Antisemitismus virulent.
 
Wie wollen Sie die Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gestalten?
Das Land Berlin hat das Amt des Antisemitismusbeauftragten nicht umsonst »Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus« genannt – so sehe ich auch meine Rolle gegenüber der Jüdischen Gemeinde und allen anderen jüdischen Organisationen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich gegen Antisemitismus einsetzen: ich werde versuchen, für alle Belange ansprechbar zu sein, die jüdischen Interessen zu unterstützen und den formulierten Interessen im Kampf gegen Antisemitismus in Berlin zusätzlich Nachdruck zu verleihen.
 
Herr Salzborn, wir danken für das Gespräch und wünschen Ihnen in Ihrer Arbeit viel Erfolg.

Der Neue Antisemitismus-Beauftragte des Berliner Senats