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Der innere Ausbau unseres Wesens
02.Oktober 2022 | Beiträge – jüdisches berlin | Feiertage
Gedanken zu Jom Kippur von Gemeinderabbiner Boris Ronis
Eine meiner liebsten Geschichten, ist die der drei Arbeiter. Drei junge Männer werden engagiert, um ein altes Haus abzureißen und auf dem Gelände eine Synagoge zu errichten. Sie arbeiten Tag ein, Tag aus an dieser anspruchsvollen Aufgabe, schließlich soll es sich ja um ein Gotteshaus handeln, und jeder von ihnen widmet sich der Aufgabe auf seine eigene Art und Weise und mit unterschiedlich großem Enthusiasmus.
Die unterschiedliche Hingabe fällt dem Rabbiner auf, der den Bau seiner späteren Synagoge beobachtet, und er
beschließt, jeden einzelnen zu fragen, was eigentlich seine Motivation bei diesem Projekt ist.
So fragt der Rabbi den ersten Arbeiter: »Wieso machst du das hier?« Der Arbeiter schaut von seiner schweren Arbeit auf und antwortet: »Ich habe die Aufgabe übernommen, diese Steine abzubauen und wegzuräumen – damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt und sichere meine Familie ab.« Seine Motivation ist somit eine wirtschaftliche, er arbeitet, um sich und seine Familie ernähren zu können.
Der Rabbiner dankte dem Arbeiter für die ehrliche Antwort, wandte sich dem Zweiten zu und fragte auch ihn: »Warum machst du das hier?« Auch der zweite Arbeiter schaute von seiner schweren Arbeit auf und antwortete: »Ich soll hier helfen, ein Haus zu errichten. Mich interessiert, wie dieses Gebäude entstehen wird und ich möchte wissen, wie es später einmal aussehen wird«. Die Motivation des zweiten Arbeiters ist eine ganz andere. Er ist nicht rein wirtschaftlich an dieser Arbeit interessiert, ihm geht es vielmehr um die physischen und ästhetischen Aspekte beim Bau des Hauses.
Auch ihm dankte der Rabbiner für seine ehrliche Antwort und wandte sich nunmehr dem dritten Arbeiter zu: »Wieso widmest du dich hier dieser Aufgabe, was ist deine Motivation?« Auch der dritte Arbeiter schaute von seiner schweren Arbeit auf und antwortete dem Rabbi: »Ich habe gehört, dass hier ein Gotteshaus errichtet werden soll. Ich möchte, dass es gut wird und will mich deshalb daran beteiligen.« Also wieder eine andere Motivation – der dritte Arbeiter will sich einem höheren Ziel zur Verfügung stellen. Für ihn steht die Synagoge als heiliger Ort im Vordergrund, nicht wirtschaftliche oder ästhetische Gründe.
Und genauso so geht es uns an Jom Kippur. Wir kommen in die Synagoge und wählen an diesem Tag bewusst aus, was für uns wichtig ist, was wir an unserem Innersten ändern wollen. Woran wollen wir feilen in unserem Leben, an uns selbst? Was wollen wir umformen? Sind wir der erste Arbeiter, der sich dieser schweren Arbeit annimmt und physisch alles gibt, um seine Familie zu ernähren? Sind wir lieber der zweite Arbeiter, der sich der Schönheit und Ästhetik eines zu erbauenden Gebäudes hingibt, weil er sich an der Architektur erfreut? Vielleicht sind wir aber auch lieber der dritte Arbeiter und wollen uns nicht nur den weltlichen Dingen hingeben, weil wir auch das Göttliche in uns und unserer Umgebung suchen.
Alle drei Arbeiten sind legitim und der Anspruch berechtigt, an Jom Kippur daran zu arbeiten. Schließlich baut jede und jeder von uns an seinem inneren Haus herum. Wir alle werkeln und versuchen aus unserem Leben das Bestmögliche zu machen.
Wichtig ist es, und das können wir von den Arbeitern gut lernen, sich diesen Bemühungen an Jom Kippur bewusst hinzugeben. Die Fragen, die wir uns dabei stellen müssen, sind: Wie soll unser nächstes Jahr aussehen, in welche Ziele und Veränderungen möchten wir intensivieren? Was ist dazu nötig und wie wollen wir uns dazu motivieren? Sich solche Fragen bewusst zu stellen, ermöglicht uns einen guten Grundstein für das neue Jahr zu legen.
Ich wünsche uns allen diese ehrliche Art des Fastens!
Zom Kal – ein leichtes Fasten!
jüdisches berlin
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