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Der Herr der 304 805 Buchstaben
01.April 2016 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde, Religion
Rabbiner Reuven Yaacobov ist auch Toraschreiber
Wenngleich die 613. Mizwa jeden Juden dazu auffordert, einmal im Leben eine Tora zu schreiben, dürften wohl die wenigsten tatsächlich dazu in der Lage sein. »Es ist jedoch auch erlaubt, einen Toraschreiber damit zu beauftragen«, sagt Rabbiner Reuven Yaacobov, dessen Beruf und Berufung es ist, die fünf Bücher Moses mit ihren 304805 Buchstaben auf Pergamente zu bringen. Yaacobov, der unsere orthodox-sefardische Synagoge in der Passauer Straße betreut, die vor allem von aus dem Kaukasus, Nordafrika und Israel stammenden Betern besucht wird, ist selbst 1977 im damals noch sowjetischen Usbekistan geboren und Vater dreier Kinder. Die Kunst des Toraschreibens hat er in einer Jeschiwa in Jerusalem gelernt. Vorbild war ihm sein Großvater, ebenfalls ein Toraschreiber.
»Moshe Rabenu war der erste sofer stam, der erste Toraschreiber«, sagt Yaacobov und umreißt damit die Tragweite der »Lehre«, die Gott dem Mose am Berge Sinai offenbart und quasi in die Feder diktiert hat und die Bedeutung, die dem buchstabengetreuen Vervielfältigen der Schrift über unzählige Generationen zukommt. Spätestens seit dem Auffinden der Qumran-Rollen wissen wir auch, dass die Toraschreiber bis heute tatsächlich von ein und der selben Ursprungsvorlage abschreiben, nach ktav ashuri, nach »assyrischer Art«, wobei es neben der sefardischen Schrift, die Yaacobov benutzt, auch noch eine aschkenasische gibt.
Die Anforderungen an einen Sofer stam sind hoch. Denn koscher und damit im Gottesdienst verwendbar (die gedruckten Ausgaben sind nur für Studienzwecke gedacht) ist eine Torarolle allein dann, wenn sie »mit der schönsten Schrift« von einem orthodoxen Mann geschrieben wurde und wenn sie absolut fehlerfrei ist. So zitiert Gershom Scholem auch einen Rabbi, der im 2. Jahrhundert einen Sofer mit den Worten warnte: »Mein Sohn, sei vorsichtig bei deiner Arbeit, denn sie ist eine Gottesarbeit; wenn du nur einen Buchstaben zu viel schreibst, zerstörst du die ganze Welt.«
Die Lehrzeit eines Toraschreibers ist dementsprechend hart. Er muss nicht nur seine Arbeitsmaterialien selbst herstellen und exakt »kopieren« können, was er zunächst an den kleinen Zetteln für Mesusot und Tefillin und dann an Megillot übt. Nein, er muss auch die Tora auswendig kennen. Reuven Yaacobov, der zunächst zum Schochet und Mohel und am Ende zum Rabbiner ausgebildet wurde, erzählt beispielsweise, dass es durchaus üblich war, dass ein Lehrer einen Nagel durch die Seiten des Buches steckte und von seinen Jeschiwebochern wissen wollte, welche Buchstaben der Nagel durchstochen hatte.
Das heilige Buch bedarf Respekt und das Schreiben ist ein zutiefst kontemplative Tätigkeit. Bevor Yaacobov sich an die Arbeit macht, spricht er ein Gebet und versucht, die Welt um sich herum zu vergessen. »Dann höre und sehe ich nichts – das ist wie Meditation für mich und der Schreibprozess wie die Umwandlung von etwas physischem in etwas geistiges«, sagt er.
Sein Arbeitszeug sind koscheres Pergament aus der Haut von Schafen, Ziegen oder Kälbern (für eine komplette Tora sind über 60 Tierhäute notwendig), in einem bestimmten Winkel zugeschnittene Gänse- und Putenfedern und eine hunderte Jahre haltbare Naturtinte aus Olivenöl, schwarzer Asche und Kräutern, wie sie bereits seit der Antike von den Schreibern »gebraut« wird. Und bevor er mit dem Schreiben beginnen kann, muss er mit einem Knochenmesser auch noch kaum sichtbare Orientierungslinien in das Pergament ritzen. Denn die Buchstaben dürfen weder»tanzen« noch sich gegenseitig berühren.
Ein Toraschreiber braucht also ein Höchstmaß an Konzentration, Geduld, Geschicklichkeit und eine ruhige Hand. Passiert doch einmal ein Fehler, kommt ein Skalpell zum Einsatz, mit dem er die Tinte an der entsprechenden Stelle vorsichtig entfernt, bevor er den Buchstaben neu schreibt.
Um eine ganze Sefer Tora zu schreiben, braucht Yaacobov zwischen acht Monaten und einem Jahr. Dementsprechend wertvoll sind sie auch. Er reinigt oder restauriert aber auch alte Torarollen, wenn einzelne Buchstaben verblasst oder abgeblättert oder Teile des Pergaments beschädigt sind. Beides verantwortvollungsvolle Aufgaben, zu denen nur wenige Menschen in der Lage sind. Kein Wunder also, dass die Jüdische Gemeinde stolz darauf ist, einen Sofer stam in ihren Reihen zu haben.
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