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Der Altruist und die Ägypterinnen
30.September 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur, Menschen
Ihm hat Berlin seine berühmtesten Kunstschätze zu verdanken, so die königlichen Büsten der Teje, der Nofretete und ihres Gatten Echnaton. Die BERLINER CAPPELLA erinnert zur Wiedereröffnung des Neuen Museums mit der konzertanten Aufführung von Philip Glass‘ Oper »Echnaton« an James Simon (1851–1932), den bedeutendsten Berliner Mäzen und Sammler.
Eine Biografie über James Simon zu schreiben sei einem Einzelnen unmöglich, befanden Zeitgenossen des »edelsten Kunstmäzenen unserer Zeit«, wie das 8Uhr-Abendblatt am 16. September 1931 zu seinem 80. Geburtstag titelte. Zu vielfältig war das Lebenswerk dieses Mannes, dessen sicherer Geschmack – gepaart mit uneigennützigem Bürgersinn und Philanthropie – seinem Heimatort mit dazu verholfen hatte, von der Hauptstadt auf dem Papier zu einer tatsächlichen (Kultur-)Metropole zu werden.
Nicht viel später, am 23. Mai 1932, starb James Simon. Die Beerdigung auf dem Jüdischen Friedhof Schönhauser Allee ging ohne Rabbiner vonstatten und ohne Aufsehen – ganz Simon. Wilhelm II. ließ es sich dennoch nicht nehmen, seinem (neben Albert Ballin und den Brüdern Rathenau) höchstgeschätzten »Kaiserjuden« aus dem niederländischen Exil einen Kranz ans Grab zu schicken. Der liberale Unternehmer war jahrzehntelang Wilhelms Berater gewesen, in Kunstfragen und in allen jüdischen Angelegenheiten. (Anders als der Vorstand der Jüdischen Gemeinde hatte er den nicht eben als Judenfreund bekannten Kaiser 1912 sogar zu einem Besuch der neuen Synagoge in der Fasanenstraße überreden können.)
Henri James Simon wurde 1851 in Berlin geboren, als Sohn des wohlhabenden Textilhändlers Isaak Simon und seiner Frau Adolphine, einer Rabbinertochter. Obwohl sich der Junge mehr für Alte Sprachen und die Antike interessierte, entsprach er dem väterlichen Wunsch in das Familienunternehmen einzusteigen. Mit 25 war er Teilhaber bei »Gebrüder Simon« in der Klosterstraße und heiratete drei Jahre später in die angesehene jüdische Bürgerfamilie Reichheim ein.
Vor dem 1. Weltkrieg hatte sich »Gebrüder Simon« zum wichtigsten Baumwollunternehmen auf dem Kontinent gemausert und machte 50 Mio. Mark Umsatz im Jahr; mit einem Vermögen von 35 Mio. Mark stand »Bauwollkönig« James Simon an siebter Stelle der reichsten Berliner. Bis zum Ruin der Firma, herbeigeführt durch hohe Verluste im Krieg (Simon lieferte unter anderem nicht ans Heer), die Weltwirtschaftskrise und Fehlinvestitionen, spendete der Kaufmann in jedem Jahr etwa ein Drittel seines Einkommens für soziale Zwecke.
Auch wenn Simon kein sonderlich gesetzestreuer Jude war, so hatte er doch die maimonidischen Prinzipien der Zedaka verinnerlicht. Hinzu kam die Erfahrung der Krankheit und des frühen Todes eines seiner drei Kinder, der geistig behinderten Marie-Luise. Wie andere Juden in der Berliner Geschäftswelt gründete oder unterstützte Simon diverse jüdische und konfessionsübergreifende Stiftungen oder Vereine – für verwahrloste Jugendliche und Waisen, für »Berliner Ferienkolonien« (dank ihrer konnten sich jedes Jahr 5000 Arbeiterkinder erholen), für (kulturelle) »Volksunterhaltung«. Er hatte unzählige Ehrenämter inne, betrieb eine firmeneigene Rentenkasse, stiftete die erste Berliner »Volksbadeanstalt« (heute Stadtbad Mitte) und war in rund 60 wohltätigen Vereinen aktiv, Mitglied der Armenkommission der Jüdischen Gemeinde und Mitinitiator des »Hilfsverein der deutschen Juden«, der das Erziehungswesen in Osteuropa und Palästina förderte. Bei vielen seiner Aktivitäten blieb er im Hintergrund. Ein »Tue Gutes und rede darüber« wäre Simon wesensfremd gewesen; von ihm ist der Satz überliefert: »Dankbarkeit ist eine Last, die man niemandem aufbürden sollte«.
Auch sein Engagement für die Kunst begann früh. Ließ er sich anfangs noch vom Direktor der Berliner Museen Wilhelm Bode beraten, dessen wichtigster Privatsammler er war, wurde Simon schnell zu einer eigenständigen Sammlerpersönlichkeit. Mit 34 kaufte er seinen ersten Rembrandt, 1898 gründete er mit Gleichgesinnten die Deutsche Orient-Gesellschaft, um Grabungsexpeditionen nach Syrien, Mesopotamien und Ägypten finanzieren und der englisch-französischen Konkurrenz trotzen zu können. Der rührige Simon gab nicht nur selbst große Summen, sondern beteiligte sich auch sonst aktiv – er warb im ganzen Reich neue finanzkräftige Mitglieder, betrieb professionelle PR, begeisterte den Kaiser und erreichte die Beteiligung des Staates an den Grabungskosten. Somit konnte die Gesellschaft in Babylon graben lassen, wo das Ischtar-Tor entdeckt wurde, in Galiläa waren es Synagogenruinen, in Tell-el-Amarna antike Bildhauerateliers und mit ihnen 1912 auch der »Große Kopf Echnatons« und die spektakuläre Porträtbüste seiner Gattin Nofretete. Der Ägyptologe Hermann Ranke schrieb begeistert in sein Grabungstagebuch: »Beschreiben nützt nichts, ansehen«! Auch Wilhelm Zwo kam sofort – in Simons Villa in der Tiergartenstraße, wo »die bunte Königin« in ihren ersten Berliner Jahren stand (er war der Alleinfinanzier der Grabung gewesen) und wo der Kaiser regelmäßig erschien, um die neuesten Schätze des Sammlers zu bewundern.
Zur Eröffnung des Kaiser-Friedrich-Museums 1904 (heute Bodemuseum) hatte der Liebhaber italienischer Malerei bereits seine berühmte Renaissance-Sammlung gestiftet, mit Werken wie Giovanni Bellinis »Porträt eines jungen Mannes« und Andrea Mantegnas »Maria mit dem Kinde«. Später folgten weitere Schenkungen an die Berliner Museen – Gemälde, Münzen, Plastiken, Möbel, Holzschnitte. Allein das Ägyptische Museum erhielt die unglaubliche Anzahl von 5000 Exponaten von Simon.
Heute sind die Skulpturen der Nofretete und Teje oder das Ischtar-Tor mit der löwenverzierten Prozessionsstraße im Pergamonmuseum Publikumsmagnete und Aushängeschilder Berlins.
Der omnipotente Wilhelm von Bode hat es zum Adelstitel und posthum zu seinem »eigenen«, dem Bodemuseum, gebracht; den Mann, dem er einen Großteil seiner Ankäufe zu verdanken hatte, haben die Nazis erfolgreich aus dem Berliner Gedächtnis vertrieben. Nun wenigstens soll das neue Besucherzentrum der Museumsinsel, das 2012 mit großem Brimborium eingeweiht werden wird, James Simon-Galerie heißen. Ob ihm das gefallen würde? Man weiß es nicht. Denn Orden und Auszeichnungen ließ der öffentlichkeitsscheue Weltbürger sich per Post zuschicken, heißt es – sie bedeuteten ihm nichts.
Judith Kessler
_BERLINER CAPPELLA & Deutsches Filmorchester Babelsberg: Philip Glass – »Echnaton«
Leitung: Kerstin Behnke
16. + 17. Oktober, 19 Uhr, Parochialkirche Klosterstraße
jüdisches berlin
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