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Der »Ahawah« eine Perspektive geben
30.September 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde, Orte
Zur Geschichte und Zukunft des ehemaligen jüdischen Krankenhauskomplexes in der Auguststraße
Fast unverändert stehen die Mauern des ehemaligen Jüdischen Krankenhauses und späteren Kinderheimes da. Doch die Geschichten, die ihre Ziegelsteine erzählen könnten, verstummen in der Agonie des Zerfalls. Ungenutzt und fast unbeachtet stehen die steinernen Zeugen eines bald 150-jährigen Zeitraumes, in dem sie blühende Entfaltung, katastrophale Zerstörung und langsames Auferstehen des sie umgebenden jüdischen Gemeindelebens erfuhren:
1857 kaufte die Jüdische Gemeinde zwei Grundstücke in der Spandauer Vorstadt, die Auguststraße Nr. 14 und 15. Hier sollte Carl Eduard Knoblauch ein neues Krankenhaus errichten, das eines der modernsten seiner Zeit werden sollte. Knoblauch war der führende private (also nicht im Staatsdienst befindliche) Architekt Preußens und ein Hauptvertreter der Berliner Schinkelschule. Als solcher war er einem sensiblen Klassizismus verpflichtet, der neben den historischen Stilen auch der zeitgenössischen Zweckarchitektur eine starke Beachtung schenkte. Bereits mit dem Entwurf der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße betraut, wurde er nun gebeten, auch das neue Krankenhausareal zu konzipieren. In intensiver Absprache mit Ärzten der Charité entwarf Knoblauch das noch heute stehende Gebäude (Nr. 16). Ergänzt werden sollte dieses durch ein Verwaltungs- und Apothekengebäude (Nr. 14). Nach schwierigem Ringen um die Finanzierung konnte schließlich im Mai 1858 dank hoher privater Spenden von Gemeindemitgliedern der Grundstein gelegt werden. Im September 1861 wurde das Krankenhaus eröffnet und nach 15 Jahren um ein weiteres Haus ergänzt, das der dauerhaften Unterbringung von Pflegebedürftigen dienen sollte (Nr. 15).
Alle drei Gebäude sind heute Teil des geschützten Bauensembles »Spandauer Vorstadt« und in der Berliner Denkmalliste verzeichnet.
Nr. 14: Torhaus, Verwaltungsgebäude
Zusammen mit dem Krankenhausgebäude errichtet, ist dieses Haus in seiner Erscheinung kleiner und zurückhaltender. Seine feine, weitgehend original erhaltene, ornamentierte Putzfassade macht es jedoch zu einem bedeutenden Beispiel der klassizistischen preußischen Stadthausarchitektur. Der gegenüber dem Krankenhausbau bescheidenere Maßstab des Torhauses lässt das Hauptgebäude umso repräsentativer und monumentaler erscheinen. Gegenüber der gewölbten Tordurchfahrt erhebt sich der großartige freistehende Bau des Krankenhauses mit seinen Vorsprüngen aus rotem Mauerwerk mit Formziegelbändern und Terrakottafriesen an den Türen und der Dachattika.
Nr. 16: Krankenhaus/»Ahawah«
Erbaut zwischen 1858 und 1861 galt das Gebäude als der modernste Krankenhausbau im damaligen Preußen. Sein bis heute erhaltener vorbildlicher Grundriss wurde Muster für viele europaweit nachfolgende Bauten. Nach 1900 wurde das Krankenhaus jedoch zu klein und entsprach nicht mehr den aktuellen Anforderungen. Nach dem Neubau des Jüdischen Krankenhauses im Wedding wurde es deshalb in den 1920er Jahren zum Kinderheim umgewidmet. Sein Name war von nun an »Ahawah« – Liebe.
In der Zeit der NS-Terrorherrschaft wurde das Haus der Jüdischen Gemeinde entzogen und als Sammellager missbraucht. Unzählige Menschen begannen hier ihren Weg in die Todeslager. 1943 führten Fliegerbombentreffer zu Teilschädigungen.
Nr. 15: »Siechenhaus«
Das Siechenhaus wurde 1876 als Erweiterungsbau des Krankenhauses für die Betreuung dauerhaft Pflegebedürftiger eingerichtet. Im 1. Obergeschoss wurde über ein Brückenhaus eine (noch existierende) Verbindung zum Hauptgebäude hergestellt.
Obwohl ebenfalls mit Ziegelsichtmauerwerkfassaden versehen, ist das Äußere dieses Hauses zurückhaltender und weniger ornamentiert als das Krankenhaus selbst. Es ist jedoch ein musterhaftes Beispiel für ein sensibel entworfenes und in hervorragender handwerklicher Manier ausgeführtes Zweckgebäude seiner Zeit.
Das Haus ist ähnlich schwer beschädigt wie das Hauptgebäude und in Teilen von akuter Einsturzgefahr bedroht. Der Erhalt kann hier nur noch mit Abbruch und Neubau der am schwersten geschädigten Konstruktionen, des Daches und der obersten Geschossdecke gewährleistet werden.
Nach der deutschen Vereinigung stand das gesamte Ahawa-Gebäude leer. Über die Jahre wurden verschiedene Nutzungskonzepte diskutiert, verstärkt wieder ab 2007, als die Untere Denkmalbehörde die Auflage erteilte, die Gebäudesubstanz zu sichern.
Die Sicherungsarbeiten für das Ahawa-Gebäude wurden 2008 – auch wegen fehlender Mittel der Gemeinde – vorerst abgeschlossen. Jetzt besteht jedoch die Gefahr, dass – nach fast 20 Jahren Leerstand – das Dach des Siechenhauses einstürzt.
Über die Kernfrage, was mit dem Areal und dem Gebäudeensemble geschehen soll, gibt es sehr interessante, aber auch unterschiedliche Vorstellungen. Einige Konzepte, so für ein Mehrreligionenhaus, eine Schule und ein Jugendhotel, wurden der Repräsentantenversammlung präsentiert. Der Vorstand und die RV führen zur Zeit intensive Diskussionen darüber. Aber unabhängig von der Frage der künftigen Nutzung muss das Ensemble schnellstens vor dem Einsturz bewahrt werden! Dazu haben Vorstand und Geschäftsführung bereits die Bauplanungsunterlagen fertig gestellt und den Bauantrag gestellt.
So können wir uns nun als erstes an die Gebäudesicherung machen, die voraussichtlich bis Jahresende mit dem ersten Bauabschnitt abgeschlossen sein wird – dank Landesdenkmalamt, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten, die 400.000 Euro zur Verfügung gestellt haben.
Der Anfang ist also gemacht, aber es gibt noch viel zu tun.
André Lossin/Benedikt Müller
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