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Das vierte Kind
01.März 2021 | Beiträge – jüdisches berlin | Feiertage, Religion
Betrachtungen zu Pessach 5781 von Gemeinderabbiner Jonah Sievers
Zur Zeit der Abfassung dieser Zeilen, ist noch nicht absehbar, wie genau sich die Feierlichkeiten zu diesem Pessach gestalten werden können. Müssen wir wieder alleine zu Hause sitzen, mit oder ohne Familie? Klar scheint, dass große Gemeindeseder realistisch betrachtet nicht stattfinden können. Dieses Jahr hat uns leider eine Idee davon vermittelt, was es bedeutet, nicht frei zu sein. Äußere, nicht in unserer Macht liegende Umstände, zwingen uns immer wieder dazu, Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Im Unterschied zur Unterdrückung in Ägypten, aber nicht durch einen Pharao. Dennoch bleibt das Gefühl der Unfreiheit zurück.
Etwas, das sich aber nicht unterdrücken lässt, ist unsere Fähigkeit zu denken. Und so möchte ich mich mit Blick auf die Haggada, dem vierten Kind zuwenden. Dem Kind, das nicht zu fragen versteht. In vielen Haggadot wird das Kind als kleines Kind dargestellt. Aber muss das so sein? Wir bleiben doch auch Söhne und Töchter, wenn wir älter werden! Rabbiner Dr. Michalski weist darauf hin, dass dies auf jede Person zutrifft, die zwar seine Umwelt wahrnimmt, aber nicht über diese nachdenkt. Entweder, weil sie als kleines Kind dazu noch nicht fähig ist oder weil man sich als erwachsene Person keine Mühe gibt. Es gibt somit eine Parallele zur vierten Frage des Ma Nischtana. In dieser wird gefragt, warum wir diesmal nur liegen und nicht wie sonst, liegen oder sitzen. Es geht um Äußerlichkeiten und nicht um Inhalt.
Auch ist zu beachten, dass die Person, die nicht zu fragen versteht, dieselbe Antwort erhält wie der Rascha, das böse Kind.
Das vierte Kind der Haggada ist also neutral. Es kann somit auch leicht zum Rascha werden. Es kommt also auf uns an! Rabbiner Dr. Michalski sieht auch in den Worten, mit denen die Antwort eingeleitet wird, eine Aufforderung an uns: P’tach lo – Eröffne ihm, kann man auch so verstehen: Schaffen wir eine Umgebung, die Relevanz schafft. Eine Umwelt die zum Fragen anregt. Letztendlich sind die vier Kinder der Haggada doch vier verschiedene Seiten unserer selbst. Es wird von uns gesprochen. Wir werden aufgefordert, nicht nur unseren Kindern die Geschichte weiterzugeben, nicht nur für sie eine Umgebung zu schaffen, in der sich der Geist ausbreiten kann, sondern zuerst diese Voraussetzungen in uns selbst zu schaffen.
Ich möchte mit einer Geschichte enden, die ich zu jedem Seder erzähle, weil sie doch dies alles prägnant zusammenfasst:
Isidor I. Rabi war ein jüdischer Physiknobelpreisträger. Er wurde gefragt, wieso er Wissenschaftler geworden sei. Er antwortete, dass seine Mutter ihn zum Wissenschaftler gemacht hätte. Anders als viele andere Mütter, habe sie nie gefragt: »Was hast Du heute gelernt?«, sondern: »Izzy, hast Du heute eine gute Frage gestellt?«. Diese Fragen hätten ihn zu einem guten Wissenschaftler werden lassen.
Nutzen wir dieses Vorbild und stellen Fragen!
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein koscheres Pessach
Rabbiner Jonah Sievers
Der Ablauf des Seders im Schnelldurchlauf
Viele glauben, dass ein Seder eine komplizierte Angelegenheit ist. In der Tat dauert er häufig lange und auch die Vorbereitungen für Pessach sind oft sehr anstrengend, aber der Ablauf des Seders selbst ist nicht kompliziert. Zum Glück gibt es heute eine Vielzahl an Haggadot mit Erklärungen und Umschrift, die es auch dem Ungeübten ermöglichen, einen traditionellen Sederabend zu halten.
Hier wollen wir kurz die einzelnen Schritte des Seders betrachten: Bevor der Seder beginnen kann, benötigt man einen Sederteller. Auf diesem müssen sich folgende Dinge befinden: – drei Mazzot – Maror und Charoset, zwei Arten von Bitterkräutern, – Karpas, ein Gemüse, das nicht zu den Bitterkräutern gehört (zB. Petersilie), – Zeroa, ein Knochen, der an das Opfer im Tempel erinnert, und – Bejtza, ein hartgekochtes Ei als Erinnerung an das Chagiga-Opfer. Für die Anordnung gibt es verschiedene Traditionen. Falls keine Familientradition besteht, folgen Sie einfach der Anordnung, die häufig auf den Sedertellern vorgegeben ist, oder die Sie in Ihren Haggadot vorfinden. Im Laufe des Sederabends werden vier Becher Wein (oder Traubensaft) getrunken, die an die vier Stufen der Erlösung aus Ägypten erinnern. Der Sederabend gliedert sich wie folgt: 1. KADESCH (Kiddusch) Wir sagen den KIDDUSCH für den Feiertag. Nur am ersten Abend wird auch noch das SCHEHECHIJANU eingefügt. Es wird die HAWDALAH eingefügt. Der 1. Becher wird angelehnt getrunken. 2. URCHAZ (Händewaschen) Der Leiter des Seders wäscht sich die Hände, allerdings ohne einen Segensspruch. Dies erinnert daran, dass man seine Hände waschen muss, wenn man Gemüse isst, das in Wasser getaucht wurde und noch feucht ist. 3. KARPAS (Vorspeise) Ein Gemüse wird in Salzwasser getaucht, als eine Erinnerung an die Tränen, die von den versklavten Vorfahren in Ägypten vergossen wurden. 4. JACHAZ (Brechen des Mazza) Der Leiter des Seders nimmt die mittlere der drei Mazzot und bricht sie. Das größere Stück wird als Afikoman aufbewahrt. 5. MAGGID (Erzählung) An dieser Stelle folgt der wichtigste Teil des Sederabends. Verschiedene Texte aus der Tora und den Midraschim werden vorgelesen und erörtert. Am Anfang dieses Abschnittes steht das bekannte Lied MA NISCHTANA, in dem vier Fragen gestellt werden. Der Abschnitt endet mit dem ersten Teil des Hallel, gefolgt von einem Segensspruch über die Errettung aus Ägypten. Der 2. Becher wird angelehnt getrunken. 6. ROCHZA (Händewaschen) Jetzt werden die Hände mit einem Segensspruch gewaschen, so wie es vor jedem Essen mit Brot (hier Mazza) üblich ist. 7. MOZI MAZZA (Segen über Mazza) Die oberste und unterste Mazza wird genommen und der Segensspruch »ha-motzi lechem min ha’aretz« gesagt, danach folgt ein Segensspruch bezüglich des Gebots Mazza zu essen. 8. MAROR (Bitterkraut) Man nimmt Maror, taucht es in Charoset und isst es, nachdem man den Segensspruch gesagt hat. 9. KORECH (Sandwich In Erinnerung an den Brauch Hillels, der Maror zwischen zwei Mazzastücke legte und aß, wird ein Mazzasandwich zubereitet. 10. SCHULCHAN ORECH (Gedeckter Tisch) Endlich, mögen einige sagen, folgt das Essen. 11. ZAFUN (Afikoman) Das Afikoman wird verteilt. Traditionell das letzte Essen, das man am Sederabend zu sich nimmt. 12. BARECH (Tischgebet) Es folgt das Tischgebet. Der 3. Becher wird angelehnt getrunken. Darauf wird die Tür geöffnet und der Becher für Elijahu den Propheten gefüllt. 13. HALLEL Der zweite Teil des Hallels wird gesagt. Der 4. Becher wird angelehnt getrunken. 14. NIRZAH Zum Abschluss gibt es eine ganze Reihe traditioneller Pessachlieder, die jetzt gesungen werden können. Chag Pessach Sameach!
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