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Das Neujahr der Bäume
01.Februar 2020 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde, Feiertage
Gedanken zu Tu Bischwat
Tu Bischwat, der 15. Tag des jüdischen Monats Schwat (2020 fällt er auf den 10. Februar), ist bekannt als das Neujahr der Bäume.
In der Mitte des Monats ist Vollmond. Inzwischen dauert der Tag zwei Stunden länger. Dies ist der Moment, wenn die Frühblüher unter den Bäumen Israels von ihrem Winterschlaf erwachen und in den neuen Kreislauf ihres Lebens eintreten.
Dieses Fest wird seit Urzeiten begangen. Zwar enthält die Tora keine Vorschriften dazu, es findet jedoch seine Erwähnung in der Mischna. An diesem Tag isst man üblicherweise Früchte, insbesondere Trauben, Feigen, Granatäpfel, Oliven und Datteln – das sind die Früchte, für die das Land Israel von der Tora gerühmt wird. Indem wir das Neujahr der Bäume feiern, beziehen wir uns auf die Gebote der Tora, in der wir Menschen mit Obstbäumen verglichen werden. Tatsächlich haben wir viel gemeinsam! Bei der Aufzucht eines Baumes sind die ersten Jahre besonders wichtig. Er muss an einer klug ausgewählten Stelle sorgfältig gepflanzt und korrekt ausgerichtet werden. Wenn wir den Baum in den ersten Jahren hingebungsvoll pflegen, werden wir später lange Jahre seine wunderbaren Früchte genießen können. Solche Bäume verfügen über eine mächtige Krone und besonders starke Wurzeln. Auch für uns Menschen sind die Jahre der Kindheit entscheidend, sie bilden die Basis des Lebens. Wir verinnerlichen die Gebote unseres Schöpfers, vollbringen gute Taten, und am Ende unseres Lebens legen wir die Schöpfung in die Hände unserer Kinder, die nicht die Blumen des Lebens, sondern seine Früchte sind. Von ihrer Erziehung hängt die Zukunft unserer Welt ab, ihre Kraft und Beständigkeit. Es ist äußerst wichtig, dass sie mit würdigen Vorbildern aufwachsen. Vom allerersten Lebenstag eines Kindes ist es entscheidend, was wir ihm geben und was es beobachtet. Das wird seine gesamte Zukunft beeinflussen.
Wenn der Baum gepflanzt, die Erde gedüngt und großzügig begossen ist, haben wir die Baumpflege längst nicht abgeschlossen. Wenn wir Kinder erziehen, dürfen wir nicht vergessen, dass sie uns noch viele Jahre lang im Blick behalten werden, wenn sie ihr Leben gestalten.
Ein gut gepflegter Baum wächst immer weiter. Seine Entwicklung wird zu keinem Zeitpunkt einfach so zum Stillstand kommen. Ebenso darf der Mensch in seinem Wachstum und seiner Entfaltung nicht stagnieren, welche Größe er auch erreicht haben mag. Solange seine Gesundheit es erlaubt, solange er geistig und körperlich dazu in der Lage ist, muss jeder Mensch weiterhin an sich arbeiten und sich entwickeln.
Wenn wir einen wachsenden Obstbaum beobachten, können wir einiges lernen, unseren Geist nähren und uns vervollkommnen. Ebenso wie es die Bestimmung eines jeden Baums ist, zu wachsen und regelmäßig Früchte zu tragen, muss sich auch der menschliche Geist immer weiter erheben, darf nicht aufhören nach Höherem zu streben und sich nicht mit Erreichtem begnügen. Zu keinem Zeitpunkt dürfen wir beschließen, wir hätten schon alles erreicht und genug gelernt. Selbstverständlich lässt unsere Aktivität mit den Jahren nach, die körperliche Leistungsfähigkeit verändert sich, doch das Streben nach Wachstum muss mit G-ttes Hilfe erhalten bleiben.
Getreide, Gemüse und eiweißhaltige Nahrung bilden die Grundlage unserer Ernährung. Die Früchte der Obstbäume bieten uns eher Genuss als Sättigung. Genauso müssen wir, statt nur für uns selbst zu leben, unserer Familie und unseren Freunden Freude machen, und vor allem G-tt, der uns erschaffen und uns Geist eingehaucht hat. Rechtschaffen ist der, dessen Verhalten seine Umgebung und damit auch G-tt erfreut. »Uns ist nur ein Leben gegeben«, heißt es zurecht. Falsch ist jedoch die Folgerung, dass man dieses eine Leben für ein Maximum an Spaß und Genuss nutzen sollte. Der größte Genuss liegt darin, seinen Liebsten Freude zu bereiten. Ein Dichter sagte einst: »Was du anderen gabst, das ist deins.« Wenn wir danach leben, verschönern wir die Welt durch unser befristetes Dasein, ebenso wie die Bäume. Indem wir an diesem Feiertag zur Tora, der Quelle unseres Lebens zurückkehren, festigen wir unsere Wurzeln. Von ihrer Widerstandskraft und Stärke hängt die Gesundheit unseres ganzen Baums ab: die Pracht der Krone, die Menge und Süße der Früchte.
Ein glückliches Tu Bischwat-Fest wünscht Ihnen
Ihr Gemeinderabbiner Reuven Yaacobov
jüdisches berlin
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