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Das Licht in die Dunkelheit bringen
01.Oktober 2024 | Beiträge – jüdisches berlin | Religion
Gedanken zu Rosch Haschana von Gemeinderabbiner Jonah Sievers
Rosch Haschana ist eigentlich eine Zeit der Reflexion, des Neuanfangs und der Rückkehr zu uns selbst, zu unserer Tradition und zum Ewigen. Wir stehen vor dem Ewigen und fragen uns: Wie können wir in diesem neuen Jahr besser leben, gerechter handeln und näher zu Gott und unseren Mitmenschen kommen?
Wie gerne hätte ich dieses Jahr etwas Positives geschrieben. Seit dem vergangenen Jahr hat sich die Weltlage verschlimmert. Zum immer noch währenden Krieg in der Ukraine, hat das Massaker vom 7. Oktober die Lage für uns in einem Maße zum Schlechten verändert, wie viele von uns sie sich nicht hätten vorstellen können. Die Fratze des Antisemitismus hat in allen Bereichen des Lebens ihr widerliches Gesicht unverhohlen gezeigt. Der 7. Oktober mit seiner schrecklichen Gewalt und Trauer und, ja auch Wut, hat viele von uns erschüttert und uns mit einem Gefühl der Ohnmacht zurückgelassen. Doch obwohl all dies uns emotional sehr beschäftigt, stehen die Hohen Feiertage vor der Tür und wir sind aufgerufen, innezuhalten, um uns mit uns selbst als Personen und als Gemeinschaft, aber natürlich vor allem mit unserem Verhältnis zum Ewigen zu beschäftigen. Wir dürfen uns unsere Agenda nicht von unseren Gegnern vorschreiben lassen. In solchen Momenten fragen wir uns: Wie können wir das neue Jahr mit Freude und Hoffnung auf die Zukunft beginnen, wenn uns so viel Schmerz umgibt? Die Antwort liegt in der Essenz von Rosch Haschana selbst. Dieses Fest fordert uns auf, trotz aller Herausforderungen, an den Neuanfang zu glauben. Es erinnert uns daran, dass wir die Möglichkeit haben, uns zu ändern, die Welt um uns herum zu verbessern und Hoffnung zu säen, auch in den dunkelsten Zeiten. In der Tora lesen wir an Rosch Haschana von Sara, die im hohen Alter einen Sohn, Isaak, gebiert. Dies ist eine Geschichte der Unmöglichkeit, die aber doch möglich wird. Es ist ein Symbol dafür, dass, auch wenn die Welt uns vor Aufgaben stellt, die unüberwindbar erscheinen, Gottes Plan größer ist als unsere menschlichen Begrenzungen. Die Ereignisse vom 7. Oktober zeigen uns, dass Gewalt und Zerstörung jederzeit über uns hereinbrechen können. Aber als Juden wissen wir, dass wir in diesen Momenten nicht aufgeben dürfen. Wir sind ein Volk, das immer wieder aufersteht, das aus den Trümmern wieder Neues erschafft und das Licht in die Dunkelheit bringt. Das Schofar, das wir heute hören, ist nicht nur ein Ritual, es ist ein Weckruf. Ein Weckruf an uns alle, wach zu bleiben, wach für das Leid in der Welt, aber auch für die Möglichkeit, Heilung zu bringen. Es ruft uns auf, Verantwortung zu übernehmen – für uns selbst, für unsere Gemeinschaft und für die Welt. In einer Welt, die von Spaltungen und Konflikten zerrissen ist, kann das Schofar auch ein Ruf nach Frieden sein. Es erinnert uns daran, dass wir nicht nur Zuschauer der Geschichte sind, sondern aktive Teilnehmer, die die Macht haben, etwas zu verändern. Rosch Haschana bedeutet »Haupt des Jahres«, und es erinnert uns daran, dass der Anfang eines Jahres auch der Beginn neuer Möglichkeiten ist. Der Schmerz vom 7. Oktober darf uns nicht lähmen. Er darf uns nicht in Angst versetzen. Wir müssen uns immer daran erinnern, dass die Welt eine schmale Brücke ist, die Hauptsache aber erscheint, keine Angst zu haben. Vielmehr sollten wir dieses Rosch Haschana als Anlass nehmen, unser Engagement für inneren Zusammenhalt, Frieden und Gerechtigkeit zu erneuern. In den dunklen Momenten der Geschichte haben wir Juden immer wieder Licht gefunden. Wir haben unsere Gemeinden und Synagogen aufgebaut, uns für das Wohl anderer eingesetzt und uns unermüdlich für den Frieden engagiert. Mögen wir in diesem neuen Jahr die Kraft finden, uns nicht von der Dunkelheit überwältigen zu lassen, sondern das Licht zu sein, das die Dunkelheit durchbricht. Möge das Gedächtnis derer, die wir verloren haben, ein Segen sein, und möge ihr Vermächtnis uns dazu inspirieren, eine Welt des Friedens, der Gerechtigkeit und der Liebe zu schaffen. Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein gebenschtes und vor allem gesundes neues Jahr 5785! Ihr Gemeinderabbiner Jonah Sievers
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