Beitragssuche
Das Kreuz mit dem Kreuz
27.Februar 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Politik
Das Verhältnis des Vatikans zur Piusbruderschaft gerät zur Zerreißprobe für den christlich-jüdischen Dialog und für die katholische Kirche
Die »Woche der Brüderlichkeit« 2009 steht unter dem Motto »Soviel Aufbruch war nie«. Das lässt sich wörtlich nehmen – bis zuletzt konnte niemand sicher sein, ob bei der zentralen Eröffnungsveranstaltung mit Bundespräsident Köhler in Hamburg und der mit Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch in Berlin am 1. März alle Protagonisten bei der Stange bleiben würden. Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin gab Anfang Februar eine Erklärung ab, in der es hieß: »…Mit Entsetzen und Empörung haben wir ... die Leugnung des Holocaust durch einen Vertreter der Priesterbruderschaft St. Pius X. zur Kenntnis nehmen müssen. Die Rücknahme der Exkommunikation… ist uns unverständlich, denn die Priesterbruderschaft St. Pius X. erkennt die Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils nicht an, lehnt den Dialog, insbesondere auch mit den Juden, ab… Wir werden das Miteinander von Christen und Juden, das in den vergangenen 60 Jahren nicht zuletzt auch durch die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit aufgebaut wurde und in ihnen gewachsen ist, nicht zerstören lassen…«
Dem vorausgegangen war ein wochenlanges Taktieren, nachdem Papst Benedikt XVI. im Januar die Exkommunikation von vier 1989 »illegal« zu Bischöfen geweihten Mitgliedern der ultrakonservativen Pius-Bruderschaft aufgehoben hatte, unter ihnen der Brite Richard Williamson, bis dahin Leiter eines Priesterseminars bei Buenos Aires, der behauptet, dass es keine Gaskammern und höchsten 300.000 NS-Opfer gegeben habe und die Juden den Holocaust erfunden hätten, »damit wir demütig auf Knien ihren Staat Israel genehmigen«. Damit sagt er nichts anderes als auf jeder Anti-Israel- Demo und von moslemischen Hasspredigern zu hören ist, ohne dass sich jemand daran stören würde. In diesem Falle jedoch folgte ein Sturm der Entrüstung – an der katholischen Basis, aber auch vom Zentralkomitee der Katholiken, von Bischöfen und vom führenden deutschen Papst-Unterstützer, Karl Kardinal Lehmann, der die Rehabilitierung Williamsons eine »Katastrophe« für alle Schoa-Überlebenden nennt. Im Vatikan indes hielt man sich lange bedeckt. Auf der Suche nach Schuldigen wurden Begründungen von »Managementfehlern « über »falsch beraten « bis »nichts gewusst« angeboten. Das, obwohl allseits und nicht seit gestern bekannt ist, dass die Pius-Bruderschaft (deren deutscher Oberer Schmidberger: »Die Juden unserer Tage… sind des Gottesmordes mitschuldig…«) zutiefst juden-, demokratie-, frauen- und schwulenfeindlich ist und liberale Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnt (vom deutschen Staat bezuschusst werden ihre Schulen dennoch). Nach lauten Protesten, u.a. dem Vorschlag, die Bruderschaft vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen, sowie reichlich Kirchenaustritten folgte in kleinen Häppchen erst die Distanzierung eines Vatikansprechers von den Äußerungen Williamsons, dann eine vage Solidaritätsadresse Benedikts, dann die Aufforderung, die Holocaust-Leugnung zu widerrufen. Der Zentralrat der Juden hingegen verlangte die Aufrechterhaltung der Exkommunikation und eine vollständige Abkehr von den Piusbrüdern. Sogar Angela Merkel verstand das Problem als »politische Grundsatzfrage« und forderte den Papst auf, sich deutlicher zu distanzieren, was ihr den parteiinternen Vorwurf »überflüssiger Einmischung« einbrachte. Williamson indes denkt gar nicht daran, seine Aussagen zurückzunehmen (wer würde ihm das auch glauben), sondern will zunächst »die historischen Beweise prüfen … Aber das wird Zeit brauchen«! Endlich sah sich auch die Pius-Bruderschaft selbst gezwungen, ihren Vorprescher zu bremsen und enthob ihn seiner Leitungsfunktion – wohl nicht viel mehr als ein Bauernopfer.
Auch wenn Israels Oberrabbinat die Gespräche mit dem Vatikan inzwischen wieder aufgenommen hat und man auch hierzulande wieder miteinander redet – die Frage, wohin die Amtskirche driftet, bleibt. Schwenkt der Vatikan auf Pius-Kurs um, wackelt das Bekenntnis zum Konzil? Die Wiedereinführung einer alten Form der Karfreitagsfürbitte (»Lasst uns auch beten für die Juden... damit sie Jesus Christus erkennen…«), die Pläne für die Seligsprechung Pius XII. und die anhaltende Ignoranz gegenüber dem Treiben der Piusbruderschaft weisen in diese Richtung. Vor diesem Hintergrund scheinen die Beteuerungen, man lehne jedweden Antisemitismus ab, als Lippenbekenntnis.
Judith Kessler
jüdisches berlin
2012_24 Alle Ausgaben
- Dezember 2024
- November 2024
- Oktober 2024
- September 2024
- Juni 2024
- Mai 2024
- April 2024
- März 2024
- Februar 2024
- Januar 2024
- Dezember 2023
- November 2023
- Oktober 2023
- September 2023
- Juni 2023
- Mai 2023
- April 2023
- März 2023
- Februar 2023
- Januar 2023
- Dezember 2022
- November 2022
- Oktober 2022
- September 2022
- Juni 2022
- Mai 2022
- April 2022
- März 2022
- Februar 2022
- Dezember 2021
- November 2021
- Oktober 2021
- September 2021
- Juni 2021
- Mai 2021
- April 2021
- Januar 2018
- März 2021
- Februar 2021
- Mai 2020
- Januar 2021
- Dezember 2020
- November 2020
- September 2020
- Oktober 2020
- Juni 2020
- April 2020
- März 2020
- Februar 2020
- Januar 2020
- September 2019
- November 2019
- Juni 2019
- Mai 2019
- April 2019
- März 2019
- Februar 2019
- Dezember 2018
- Januar 2019
- Mai 2015
- November 2018
- Oktober 2018
- September 2018
- Juni 2018
- Mai 2018
- April 2015
- März 2015
- März 2018
- Februar 2017
- Februar 2018
- fileadmin/redaktion/jb197_okt2017.pdf
- September 2017
- Juni 2017
- April 2017
- November 2017
- Januar 2017
- Dezember 2016
- November 2016
- Oktober 2016
- September 2016
- Juni 2016
- Mai 2016
- April 2016
- März 2016
- Februar 2016
- Januar 2016
- Dezember 2017
- Dezember 2015
- November 2015
- September 2015
- Juni 2015
- Oktober 2015
- Februar 2015
- Januar 2015
- Dezember 2014
- November 2014
- Januar 2022
- Oktober 2014
- September 2014
- Juni 2014
- Mai 2014
- März 2014
- Februar 2014
- Januar 2014
- Dezember 2013
- November 2013
- Oktober 2013
- Juni 2013
- Mai 2013
- April 2013
- März 2013
- Februar 2013
- Januar 2013
- Dezember 2012
- November 2012
- Oktober 2012
- September 2012
- Juni 2012
- Mai 2012
- April 2012
- März 2012
- Februar 2012
- Januar 2012