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Das »Judenschloss am Meer«

01.Dezember 2010 | Beiträge – jüdisches berlin | Orte

Spurensuche im Ostseebad Kühlungsborn

Ein wenig bekanntes Foto zeigt Rabbiner Leo Baeck zusammen mit Professor Ismar Elbogen in einem Strandkorb; die Bildunterschrift lautet »Arendsee 1932«. Arendsee? Das Ost­seebad wurde 1938 mit seinen Nachbarorten Fulgen und Brunshaupten zur Stadt Kühlungs­born ver­eint. Am 28. Juni 1931 hatte Baeck hier – zwischen Rostock und Wismar an der Ostsee – das Erholungsheim der Hausmann-Stiftung eröffnet, ein Haus für jüdische Akademiker, ihre Angehörigen und Witwen. Die Villa Haus­mann war der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums zusammen mit weiteren Immobilien in Berlin von Mathilde Hausmann (1863–1929) vermacht worden. »Das selten schöne Gebäude, der außergewöhnlich große, herrliche Park, in dem es steht, die Lage unmittelbar am Meer bieten die prachtvollsten Möglichkeiten der Erholung für die müden Nerven der geistigen Arbeiter«, wirbt der Jahresbericht der Hochschule.

Die heutige »Villa Baltic« wurde 1910 bis 1912 als Wohnhaus für den Berliner Rechtsanwalt und Notar Jus­tizrat Wilhelm Hausmann (1856–1921) und seine Ehefrau Margarete geb. Frank errichtet. Sie ist nach Auskunft  Alexander Schachts von der Denkmalschutz­ behörde in Bad Doberan das Hauptwerk eines der renommiertesten mecklenburgischen Ar­chitekten des frühen 20. Jahrhunderts: Alfred Krause (1866–1930). »Bei der Villa handelt es sich um einen Putzbau von zwei Vollgeschossen und einem Mezzaningeschoss über einem hohen Feldstein­sockel. Die Fassaden sind durch Risalite, Erker und Ecktürme sowie durch eine überaus rei­che, von dem Neubrandenburger Wilhelm Jaeger geschaffene bauplastische Aus­schmückung aufwendig gestaltet. Das Haus wird von einem hohen Man­sarddach bekrönt. Vor der Nordseite der Villa ist ein großer, von Säulen getragener Altan angeordnet. Stilistisch ist die Villa dem Neobarock zuzuordnen, wobei sie in den Details, den verwendeten Mate­rialien und hinsichtlich ihrer technischen Ausstattung den damals mo­dernsten Stand der Bautechnik repräsentierte.«

Das Erholungsheim, das von Frau Sanitätsrat Dr. Herta Marcuse geleitet wurde, hatte 1931 bereits 104 Gäste. »Der Preis für volle Pension mit bester Verpflegung (rituell) beträgt täglich RM 5.« Um möglichst viele Besucher unterbringen zu können (die  »Akademische Gesell­schaft Hausmann-Stiftung« zählte damals bereits 136 Mitglieder) erwarb die Hochschule auch die dem Park gegenüberliegende »Villa Horn« mit 40 Zimmern.

Das Idyll währte nicht lange. »Das zur Stiftung gehörige Erholungsheim in Arendsee ist seit Ende 1935 behördlich geschlossen«, heißt es im Juni 1936 im Jahresbericht der Hochschule. Ein Jahr zuvor, am 7. Juli 1935, verkündete der Niederdeutsche Beobachter: »Arendsee wird judenrein«. 75 Jahre später gehört die »Villa Baltic«, wie sie inzwischen genannt wird, trotz Leerstand und allmählichem Verfall noch immer zu den repräsentativen Bauten an der Pro­menade von Kühlungsborn-West. Denn sie ist, so Alexander Schacht, »ein herausragendes, das Ortsbild prägendes Bauwerk. An ihrer Erhaltung und sinnvollen Nutzung besteht daher ein großes öffentliches Interesse«…

Die ehemalige Villa Hausmann, heute Villa Baltic, in Kühlungsborn-West,   Foto: Hartmut Bomhoff

Die ehemalige Villa Hausmann, heute Villa Baltic, in Kühlungsborn-West, Foto: Hartmut Bomhoff

Das »Schloss am Meer« erzählt deutsche Geschichte. Engagierten wie Alexander Schacht, Jürgen Jahncke und Axel Wermelskirchen ist es gelungen, die Geschichte des Hau­ses zu rekonstruie­ren, das 1935 durch die Nationalsozialisten enteignet und der »Goebbels-Stiftung für Bühnen­schaffende« überlassen wurde. Der Betreiber Alfred Brendel schrieb am 24.11.1938 über die umfangreiche Bibliothek: »Auf dem Boden in der alten Bettenkammer haben wir ungefähr anderthalb Zentner richtiggehende Judenschwarten liegen, sollen die noch aufbewahrt wer­den oder der Schule zur Altwarenverwertung übergeben? Auch alte Bilderrahmen mit den Photos von den Gaunern, die dieses Schloss erbaut, kurzum alle solche Sachen, die in unsere Weltgeschichte nicht mehr passen.« Dazu die handschriftliche Randbe­merkung: »Rahmen aufbewahren, Photos vernichten.« Wermelskirchen fand eine Bescheini­gung der Goebbels-Stiftung, die der Grabstätte von Mathilde und Wilhelm Hausmann im Park des sogenannten »Judenschlosses« galt: »Ich erteile hiermit der Israelitischen Gemeinde in Rostock meine Zustimmung zwecks Entfernung der Grabpyramide der Eheleute Hausmann.« Am 28. Mai 1940 brüstete sich der Geschäfts­führer der Stiftung, Ludwig Körner, damit, das »Objekt Kühlungsborn für einen Kaufpreis von sage und schreibe RM 20.000 er­worben [zu haben], das einen Wert von RM 1.500.000 repräsentiert.«

1945 soll die Villa von russischen Soldaten geplündert worden sein, 1949 ist sie Eigentum der UdSSR. In der DDR wird das Haus zum »Kurt-Bür­ger-Erholungsheim« des FDGB umgebaut und 1972 mit der neuen Meerwasserschwimmhalle verbunden. Seit der Wende sind die Bauschäden infolge von Leerstand und Vandalismus erheblich gestiegen. Dass die Jewish Claims Conference das Objekt 2003 verkaufte, machte die Lage nicht besser. Der Investor vermochte seine Pläne nie umzusetzen; aus dem angestrebten Wellnesstempel wurde nichts. Dennoch: »Die Villa«, so Schacht, »ist in ihrer Grundsubstanz … und mit Teilen ihrer Aus­stattung erhalten.«

Jetzt be­steht Hoffnung, dass die Villa an ihrem 100. Geburtstag 2012 wieder in der alten Pracht er­strahlt. Der renommierte Augenarzt Mathias Wagner hat das Haus für seine Familie erwor­ben, um hier ein kleines, feines Hotel samt Augenklinik einzu­richten. Die Hoffnung des Ham­burger Israelitischen Familienblatts, dass sich »in diesem Schlosse also seit dem Jahre 1931 allsommerlich ein neues Stück jüdischen Lebens in Deutschland abspielen« wird, hat sich nicht erfüllt. Ob unter Professor Wagners Obhut aber endlich auch an die jüdische Geschichte der Villa erinnert werden wird?         

Hartmut Bomhoff