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»Das Internet vergisst nicht«
04.April 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Jugend
Von Mobbing, Cyberbullying und dem Umgang mit den eigenen Daten im Internet
Mit der Suchanfrage »Mobbing in der Schule« war Google gerade mal 0,07 Sekunden beschäftigt und schon erschien eine Liste von 223 000 Internetseiten zum Thema. Mobbing kommt aus dem Englischen und stammt von »mob«, dem randalierenden Haufen. Heute versteht man unter Mobbing offene oder subtile Gewalt verbaler oder physischer Art, der Personen über einen längeren Zeitraum ausgesetzt sind. Ziel ist dabei immer die soziale Ausgrenzung.
Zahlreiche Publikationen beschäftigen sich mit Mobbing, bieten Projektideen und überhaupt Lösungen an. Dass diese pauschalen Lösungen nicht für jede Mobbingsituation und jede Schule in gleichem Maße geeignet sind, muss nicht extra betont werden. Die Lehrer der Jüdischen Oberschule (JOS) jedenfalls reagierten überrascht, als sie vom angeblich neuen Thema »Mobbing in der Schule« hörten. Nicht nur die Klassenlehrer beschäftigen sich regelmäßig mit diesem Thema, nutzen oft auch Teile ihrer Unterrichtsstunden, um ihre Schüler immer wieder daran zu erinnern, dass hinter dem Rücken anderer zu lästern auch eine Ausgrenzung darstellt und dass dies beim ausgegrenzten Mitschüler nicht selten zu Tränen, Bauchschmerzen und Schulangst führt. Ein toleranter und respektvoller Umgang miteinander, auch das ist eines der Leitbilder der JOS.
Das, was seit einigen Wochen auf allen Schulfluren und in den Medien diskutiert wird, sprengt dann doch den Rahmen der bekannten Formen von Mobbing und Cyberbullying.
Eine Internetadresse ist in aller Munde und deren Name sagt schon alles: Ich verbreite Gerüchte! In diesem Messageboard können Jugendliche ihre Neuigkeiten, Gerüchte und Lästereien veröffentlichen und diskutieren lassen. Die Seite wirbt damit, ihre Nutzer absolut anonym zu behandeln. Damit Schüler ihre Schulgemeinschaft schnell finden, verfügt die Seite über eine Struktur, die nach Standort und Schule gegliedert ist. Hier finden sich dann diffamierende, beleidigende, bloßstellende Behauptungen von anonymen Autoren über Personen, die mit vollem Namen genannten werden. Nach Schätzungen des Vertrauenslehrers der JOS, Thomas Schaaf, kann man Posts über etwa 10 Prozent der JOS-Schüler auf der Internetseite finden. Inzwischen reiche eine Google-Anfrage mit dem Namen eines betroffenen Schülers und der fünfte aufgelistete Eintrag verweise auf die Gerüchte-Seite, so Schaaf. Entrüstet und etwas hilflos ergänzt er: »Und das Internet vergisst nicht!«
Eine der ersten Handlungen der Schulleitung bestand darin, einen offenen Brief an die Betreiber der Internetseite zu posten, in dem die Schulleiterin Barbara Witting die Löschung aller Einträge verlangt und unmissverständlich klar macht, dass die Schule rechtliche Schritte einleiten werde. Auch der Schulträger hat sofort reagiert. Die Bildungsreferentin Sarah Serebrinski hat auf Grund der antisemitischen und rassistischen Einträge auf dem Board Anzeige wegen Volksverhetzung erstattet. Gegen die Diffamierung der einzelnen Schüler kann der Schulträger allerdings nicht vorgehen. Deshalb wurde ein Rechtsanwalt von der Jüdischen Gemeinde zu Rate gezogen, der zunächst der Gesamtelternvertretung die juristische Sachlage erläuterte und ein Formular erstellte, mit dem Eltern betroffener Schüler bei der Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main Strafanzeige erstatten und einen Strafantrag wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte stellen können.
Einer der vermeintlichen Betreiber der hier gemeinten Internetseite sagte in einem Interview mit dem Frankfurt Journal: »Nicht das Internet ist böse. Nicht die Seite ist schlimm. Die Nutzer machen sie zu dem, was sie ist.« Wahr ist daran, dass nicht das Internet selbst die Gefahr darstellt, sondern der allzu sorglose Umgang damit. Verschwiegen wird der Vorsatz, der den Betreibern unterstellt werden kann, denn sie fordern die Nutzer der Seite dazu auf, andere Jugendliche zu mobben.
Viele Eltern hörten zwar nicht zum ersten Mal von den Gefahren des Internets, aber wie perfide sich diese für das eigene Kind darstellen, war doch vielen neu. Die Elternschaft und die Schulleitung der JOS planen daher, den Eltern eben jene Informationsveranstaltung über Datenschutz im Internet anzubieten, die alle Schüler der JOS im Februar und März 2011 besuchten.
Dass es sich bei der nun schon mehrfach erwähnten Internetseite zur Verbreitung von Gerüchten nur um die Spitze des Eisberges handelt, dürfte mittlerweile allen klar sein.
Button und Aufkleber wie dieser sollen sich bald auf Schultaschen, Rucksäcken, Fahrrädern und Schulheften finden. Die Aktion startete anlässlich des Kultursplitters, der alljährlich die besonderen Talente an der JOS auf die Bühne holt. Der Erfolg dieser Veranstaltung ist alles andere als ein Gerücht, sondern eine viel gelobte Tatsache.
Internet, soziale Netzwerke und Smartphones werden immer öfter zur Falle für Jugendliche. Mobbing ist nicht mehr nur ein Thema in Klassenzimmern und auf Schulhöfen, sondern als Cyberbullying eine vor allem von Kindern und Jugendlichen unterschätzte Gefahr. Die Anonymität des Internets verleitet nicht nur Schüler dazu, allzu freizügige Fotos zu posten oder Klassenkameraden durch vermeintlich witzige Beleidigungen bloßzustellen. Auch Erwachsene, die von sich behaupten, zu wissen, was sie da im weltweiten Netz tun, sind sich nicht immer sicher, wie sicher ihre Daten im Internet sind. Vor allem jugendliche Internetnutzer müssen deshalb lernen, sensibel und verantwortungsbewusst mit den eigenen Daten im Internet umzugehen. Die Schülersprecher der JOS suchten also eine Möglichkeit, ihre Mitschüler durch kompetente Ansprechpartner auf einen überlegten Umgang mit dem Internet aufmerksam zu machen
Mit Frank Spaeing fanden sie einen Experten, der zum Arbeitskreis »Datenschutz geht zur Schule« des Bundesverbandes der Datenschutzbeauftragten Deutschlands (BvD) e.V. gehört und seit Ende 2010 an Schulen in den neuen Bundesländern und Berlin darüber informiert, warum »Passwörter wie Unterwäsche sein sollten und man sie häufig wechseln und niemals mit Freunden teilen sollte«.
An eingängigen Beispielen aus der Lebensrealität der Jugendlichen zeigte der Datenschützer, was es bereits für Möglichkeiten gibt, Daten oder gar Identitäten zu stehlen. Obwohl vor allem den Oberstufenschülern bekannt sein dürfte, dass es beim Datensammeln vor allem um das Konsumverhalten und gezielte Werbung geht, waren sie doch genauso entsetzt und verunsichert wie manche Mittelstufenschüler, wie wenig sicher ihre Bilder und Kommentare z.B. bei dem an der JOS sehr beliebten Facebook sind oder wie sorglos sie mit ihren Mobiltelefonen und dessen Bluetooth-Funktion umgehen.
Immer wieder weist Spaeing darauf hin, dass er keine Angst machen, sondern seine Zuhörer sensibilisieren wolle für einen verantwortungsvollen Umgang mit den eigenen Daten. Einerseits lernten die Schüler in den Vorträgen Spaeings, wie sorglos sie mit ihren Bildern und Informationen im Internet umgehen und wie sie das vermeiden oder kontrollieren können. Andererseits lernten viele beim Besuch der erwähnten Gerüchte-Plattform: »Diese Seite ist verletzend, verleumdend, Freundschaften zerstörend, Rassismus fördernd, rufschädigend und strafbar«, sagt eine Schülerin und eine andere betont: »Ich besuche diese Seite nicht mehr, nicht weil dort viele Lügen über mich verbreitet werden, sondern weil ich Angst habe, diese Seite mit einem Besuch noch populärer zu machen.« Eine dritte Schülerin stellt beängstigt fest, dass die Seite erst jetzt an vielen Schulen populär würde und bis zu 400 Kommentare pro Statement zu finden seien. An der JOS lasse ihrer Einschätzung nach das Interesse gerade wieder nach.
Dass man die Seite nicht einfach abschalten wird, ist aus juristischer Sicht klar. Aber nutzen muss man sie deshalb noch lange nicht. Deshalb gibt es an der JOS die von Eltern angeregte »I never share gossip«-Kampagne, mit der die JOS ihre Schüler genau dazu motivieren will: NEVER SHARE GOSSIP!
Hauke Cornelius
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