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Das »Fest der Bäume« und die Umwelt
31.Januar 2023 | Beiträge – jüdisches berlin | Feiertage
Gedanken von Gemeinderabbinerin Gesa Ederberg zu Tu Bischwat
Tu Bischwat ist eines der großen und wichtigen jüdischen Feste, das weiß jedes Kind. Zumindest jedes Kind, das in Israel aufwächst oder irgendwo auf der Welt einen jüdischen Kindergarten besucht. Nur die jüdische Tradition kennt dieses Fest eigentlich kaum. Wie können wir dies erklären?
In der Mischna ist Tu Bischwat – der 15. Tag des Monats Schwat – ein Termin, der wichtig ist für die Besteuerung von Früchten, die an Bäumen wachsen. Wenn in Europa noch richtig Winter herrscht, ist in Israel ein großer Teil des Jahresregens gefallen und so bietet es sich an, ab hier das Alter der Bäume zu zählen, denn auf die jungen Bäume zahlt man noch keine Steuern.
Wie aus so einem Verwaltungsdatum ein religiöses Fest wird, ist spannend. Zuerst haben jüdische Mystiker im Mittelalter begonnen, an diesem Datum Früchte zu essen. Daraus entwickelte man ein ganzes Ritual, das dem Pessachseder nachgebildet war. Verschiedene Früchte symbolisieren die verschiedenen Ebenen der Welt: Von der materiellen Welt, die wir wahrnehmen können, bis hin zu den geistigen Welten der Engel und Gottes. Nicht überraschend war dies unter Sepharden populärer, denn sie hatten einfacher Zugang zu einer Vielfalt von Früchten.
Was ein besonderes Fest der Mystiker war, wurde mit der modernen Besiedelung des Landes Israel ein Fest der säkularen Zionisten, die damit die Rückkehr nicht nur zum Land Israel, sondern auch zur eigenen physischen Arbeit auf dem Land feierten. Aus dieser Zeit stammt der Brauch, zu Tu Bischwat Bäume zu pflanzen. In den Kindergärten und Grundschulen Europas pflanzen die Kinder aber Topfpflanzen, denn draußen kann noch keine junge Pflanze überleben.
In den letzten Jahren hat Tu Bischwat noch eine weitere Wende genommen. Im Judentum ist klar, dass Gott die ganze Welt geschaffen hat und im Schöpfungsbericht zu Beginn der Tora heißt es auch immer wieder, dass sie ‚gut‘ war. Und doch gab es für jüdische Umweltaktivisten keinen offenkundigen Punkt, an dem sie ihr Anliegen mit der jüdischen Tradition verbinden konnten. Die Möglichkeit, dass wir Menschen die Natur zerstören könnten, war einfach undenkbar gewesen. Tu Bischwat, als ein Tag, der mit dem Wachsen der Bäume und dem Essen von Obst verbunden war, bot sich hier an, um Natur- und Tierschutz im jüdischen Kalender zu verankern. So ist es mittlerweile in vielen jüdischen Gemeinden und auch an Universitäten üblich, zu Tu Bischwat Veranstaltungen zu organisieren. Teils in Aufnahme des Rituals der Mystiker, die einen Tu Bischwat Seder feierten, teils gar nicht religiös als einen Tag des Umweltaktivismus. Auch in Berlin werden von verschiedenen jüdischen Gruppen Aktionen zu Tu Bischwat organisiert.
Steuerdatum – mystisches Ritual – zionistische Rückkehr zum Land – Kinder, die jeden Morgen schauen, ob ihre Pflanze gewachsen ist – und schließlich Umweltaktivisten, die die Welt retten wollen. Tu Bischwat und alles, was sich mit diesem Datum in der jüdischen Geschichte verbunden hat, ist ein gutes Beispiel, wie Judentum mit der Zeit geht und sich weiterentwickelt, denn die Bedürfnisse der Menschen ändern sich. Die großen Feste sind schon in der Tora festgelegt und auch manche kleinen Feste - wie etwa Chanukka - sind schon sehr alt. Tu Bischwat gab es zwar schon als ein Datum im Kalender, aber es hatte noch kaum Traditionen und Rituale, daher konnten die Mystiker hier ihre besonderen Interessen pflegen und auf diesen Tag legen. In der rabbinischen Zeit war landwirtschaftliche Arbeit keinesfalls romantisiert, aber aus religiösen Gründen war Landwirtschaft ein wichtiges Thema. Hier konnten die Zionisten anknüpfen auf ihrer Suche nach dem Muskeljudentum im Gegensatz zur religiösen Tradition – so sahen sie es zumindest damals. Auch die heutigen Umweltaktivisten können an Traditionen anknüpfen. In ihrem Fall an die Mystiker und ihre Verbindung von großer Weltdeutung mit der konkreten Feier des gemeinsamen Essens von Früchten. So habe sie das Problem gelöst, dass es für Umweltschutz kaum Anknüpfungspunkte in der Tradition gibt. So gibt es vieles, was wir an Tu Bischwat tun können. In der Zukunft werden Juden wahrscheinlich noch auf weitere Ideen kommen, von denen wir heute nichts wissen.
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