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Blutgetränkte Erde
29.Mai 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Gedenken
Peter Fischer vom Zentralrat der Juden in Deutschland über die Suche nach den Überresten ermordeter jüdischer Häftlinge in Jamlitz und neue Gedenkstättenkonzepte
Im Dorf Jamlitz im Südbrandenburger Landkreis Dahme-Spreewald befand sich das Außenlager Lieberose des KZ Sachsenhausen. Heute stehen hier Einfamilienhäuser mit großen Gärten. Am Jom Haschoa wurde auf einem 5000-Quadratmeter-Grundstück damit begonnen, nach den Gebeinen 1945 ermordeter jüdischer Häftlinge zu suchen.
jb: Herr Fischer, Sie begleiten von Seiten des Zentralrates die Grabungen in Jamlitz. Was wissen Sie über die Häftlinge, die hier ermordet wurden?
Jamlitz und Lieberose gehörten zu Sachsenhausen, aber die Geschichte hat eigentlich mehr mit Auschwitz als mit Sachsenhausen zu tun. Die Häftlinge, die hier durch schwerste körperliche Arbeit bei kärglichen Essensrationen für die SS den Truppenübungsplatz Kurmark aufbauen mussten, kamen direkt aus Auschwitz. Sie stammten in der Hauptsache aus Ungarn und Polen und wurden direkt nach der Einschätzung ihrer Arbeitsfähigkeit wie eine Ware zum Verschleiß nach Lieberose gebracht. Wenn sie der Arbeitshetze nicht mehr nachkommen konnten, wurden sie nach Auschwitz »zurückgeliefert«. Nachdem Auschwitz befreit worden war, sind die, die in Jamlitz nicht mehr arbeitsfähig waren, im Krankenrevier oder in so genannten Schonungsblocks gehalten worden. Die anderen sind auf den Todesmarsch gegangen am 2. Februar 1945 – durch Potsdam bis Falkensee. Viele sind unterwegs schon erschossen worden oder wurden nach dem berüchtigten Himmlerbefehl zur Erschießung der KZ-Häftlinge ermordet, als sie in Sachsenhausen ankamen. Die in Jamlitz Verbliebenen, die in den Schonungsblocks und im Krankenrevier, insgesamt 1342 Menschen – Namenslisten existieren leider nicht –, wurden an zwei Tagen, am 2. und 3. Februar, erschossen. Die erste Aktion war eine regelrechte Orgie – der Lagerkommandant Kesten hatte mit einem Stab von SS-Leuten mit vorgehaltener Maschinenpistole die Blocks betreten und ist von einem jüdischen Arzt angegriffen worden, der sah, was geschehen soll und versuchte, ihm ein Messer in den Hals zu stoßen. Darauf brach ein furchtbares Massaker los und die abmarschierenden Häftlinge, die auf den Todesmarsch gingen, haben später ausgesagt, dass noch am Ortsausgang die Salven der Maschinenpistolen bei den Schonungsblocks zu hören waren. Das wurde später auch von den Bewohnern bestätigt.
Am nächsten Tag hat die SS weiter gemordet und die Häftlinge in den Krankenbaracken mit Genickschüssen ermordet. Die sterblichen Überreste dieser Menschen wurden 1971 per Zufall in einer nahe gelegenen Kiesgrube entdeckt. Auch schon 1958 wurden Überreste von zwölf Personen gefunden, man geht davon aus, dass es das Arbeitskommando war. Aufgrund der damals geborgenen Leichen und intensiver Recherchen geht ein Gutachten von Prof. Morsch, dem Stiftungsdirektor der Brandeburgischen Gedenkstätten davon aus, dass jetzt noch die Überreste von 753 Opfern dieser Massaker in der Erde liegen müssten.
Warum wird erst jetzt nach ihnen gesucht?
Das Gutachten ist relativ neu. Es gab an die zwanzig Verdachtsflächen, die systematisch geprüft wurden. Es bleibt nun diese Fläche mit der höchsten Dichte an Indizien übrig. Wir wollten die Stelle auch schon seit vielen Jahren untersuchen. Aber der frühere Besitzer hat dies nicht zugelassen. Die Verhandlungen mit dem Grundstückseigentümer hat ja das Ministerium geführt. Da keine rechtlichen Grundlagen zur Strafverfolgung mehr vorhanden waren, musste man versuchen, sich mit dem Besitzer gütlich zu einigen. Nachdem man das nicht erreichen konnte, hat man geklagt. Am Ende wurde ein Vergleich geschlossen. Im Herbst 2008 kam es dann endlich zur Einigung.
Wer gräbt dort jetzt?
Archäologen, ein Gerichtsmediziner des Landeskriminalamtes und die Generalstaatsanwaltschaft. Wir, also der Zentralrat und Rabbiner Menachem Halevi Klein, haben in Detailabsprachen die Vorgehensweise besprochen – vor allen Dingen, dass nicht exhumiert wird. Es gibt auch ohne Exhumierung moderne gerichtsmedizinische Möglichkeiten, genaue Aussagen zu treffen und die religiösen Traditionen im Umgang mit Toten zu respektieren. Wir hatten vor Ort auch einen Besuch der internationalen jüdischen Beerdigungsgesellschaft Athra Kadisha, die ebenfalls zufrieden mit der Vorgehensweise war.
Warum lassen Sie überhaupt graben?
Da mittlerweile auf diesem Gebiet eine Siedlung entstanden ist, besteht immer die Möglichkeit, dass ein Bauherr einen Pool oder eine Tiefgarage dort bauen lässt und die Überreste auf dem Müllhaufen der Geschichte landen. Deshalb war es wichtig, den Tatort zu prüfen um Gewissheit zu erlangen.
Und wenn Sie nichts finden?
Das ist blutgetränkte Erde. Dass das der Tatort ist, steht fest. Auch wenn keine sterblichen Überreste gefunden werden, kann man nicht aus der Auseinandersetzung mit dem Ort heraus gehen, wie man hinein gegangen ist. Und wir wissen durch jüngst aufgefundene Dokumente mit Gewissheit, dass sich auch in der Kiesgrube Schenkendöbern, drei Kilometer entfernt, immer noch Gebeine in der Erde befinden. Deswegen haben wir in einer Zusammenarbeit mit Rabbiner Klein und den örtlichen Ämtern beschlossen, dieses Gebiet am 16. Juni als jüdischen Friedhof zu weihen. Das bedeutet, dass die Fundstelle weit umzäunt und es eine Grabfläche geben wird. Wir bestatten dort auch sterbliche Überreste der Exhumierung von 1971, die bei der Stasi-Unterlagen-Behörde in Frankfurt/Oder gefunden wurden. Was Jamlitz betrifft, müssen wir gut überlegen, in welcher Weise man dort Gestaltungsmaßnahmen entwickelt, zusammen mit den Betroffenen, den Angehörigen, mit der Stiftung Gedenkstätten, dem internationalen Häftlingsbeirat und nicht zuletzt mit der Bevölkerung. Das sollte man vielleicht auch ein bisschen der Zukunft überlassen und dem nicht gleich eine feste Form geben, wie 1971, als hier ein Mahnmal geschaffen wurde, ohne dies mit jüdischen Vertretern zu besprechen.
Wie verhält sich denn die Jamlitzer Bevölkerung?
Da hier von 1945 bis 1947 noch das NKWD-Speziallager war, gibt es immer noch fortlaufend Reaktionen, Wirkungen, die wohl in Zusammenhang mit der Tabuisierung dieses Lagers erklärbar sind. Insofern sind die Nachbarn auch immer noch reserviert gegenüber dem Ganzen. Wir hatten auch eine Gemeinderatssitzung, an der Prof. Morsch und ich Stellung genommen haben, und wo nur Gemeindevertreter anwesend waren, aber kein einziger Anwohner. Trotzdem glaube ich, dass man sich hier zunehmend auch der Rechte nach Aufklärung bewusst ist. Es gab auch bei der Open-Air-Ausstellung in Jamlitz zur Geschichte bis 1945 und nach 1945, die seit 2002 besteht, nie irgendwelche Zwischenfälle. Man soll vielleicht einer ländlichen Bevölkerung gegenüber ein wenig mehr mentales Verständnis und mehr Geduld aufbringen. Die Zeit läuft dort nicht so schnell, das Vertrauen muss man sich erarbeiten.
Was sind Ihre sonstigen Aufgaben im Zentralrat?
Ich habe jahrelang die Geschäftsstelle für die neuen Bundesländer geleitet und mich in den letzten Jahren in erster Linie mit dem Thema Erinnerungspolitik befasst. Wir haben in der Zeit sehr viel in der Um- oder Neugestaltung der Gedenkstätten erreicht, wenn man bedenkt, dass bis 1991 nur eine einzige Gedenkstätte durch den Bund gefördert wurde – nämlich Buchenwald –, dann 1992/93 Sachsenhausen und Ravensbrück dazukamen und heute alle großen Gedenkstätten hälftig durch den Bund finanziert werden. Die Besucherzahlen in Sachsenhausen zum Beisspiel sind von 150 000 auf heute 350 000 gestiegen, in Buchenwald auf eine halbe Million. Die Hälfte der Menschen kommt aus ganz privater Initiative, ein Drittel aus dem Ausland. Und es haben sich neue museale Konzepte und Richtungen etabliert. Es gibt keine langweiligen Orte mehr, die Ausstellungen sind spannend geworden und gewinnen sehr viel durch die Authentizität des Ortes an sich. Ich gehe zwar Ende des Monats in den Ruhestand, werde aber auf dem Gebiet aktiv bleiben.
Vielen Dank, Peter Fischer. Wir freuen uns, dass wir Sie weiter in unserer Nähe haben.
Judith Kessler
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