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Betrachtungen zu Rosch Haschana 5781
01.September 2020 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde, Feiertage
von Gemeinderabbiner Jonah Sievers
Es gibt einen Aspekt, auf den ich in meinen Predigten im Zusammenhang mit Rosch Haschana häufig zurückkomme und der die Situation prägt, in der wir uns gerade befinden und uns wahrscheinlich auch zu Rosch Haschana befinden werden: die Unsicherheit!
Anders als das weltliche Neujahrsfest, das in die Zeit des zunehmenden Lichtes fällt (der. 21.12. ist ja der kürzeste Tag im Jahr), fällt Rosch Haschana immer in die Zeit des abnehmenden Tageslichts. Auch fällt Rosch Haschana immer vor den Abschluss der Ernte, so dass früher nicht bekannt war, wie das kommende Jahr werden würde. Würde die Ernte reichen oder müsste man sich auf eine Zeit der Einschränkung einstellen? So ist es auch für uns. Wie wird das kommende Jahr werden? Wir wissen es nicht. Wir stehen mit unserem Innersten vor dem Ewigen und sollen das vergangene Jahr Revue passieren lassen. Was haben wir falsch gemacht? Wo können wir uns verbessern? Es ist der Beginn unserer Gerichtsverhandlung, deren Ausgang wir noch nicht kennen. Nutzen wir die Chance, die uns Rosch Haschana bietet, um uns selbst zu stellen, denn Gott kennt unser Innerstes, unsere innersten Gedanken und Gefühle. Jetzt ist die Chance! Nutzen wir sie!
Das Gefühl der Unsicherheit ist aber auch durch die Situation, in die uns COVID-19 gestürzt hat, greifbar wie nie. Dies bleibt richtig, auch wenn Ferien und Sonnenschein uns vielleicht ein anderes Gefühl geben (und uns auch ein wenig sorglos machen). Dabei wissen wir nicht, was der bevorstehende Regelbetrieb an den Berliner Schulen noch für uns bereit hält. Es sind also Zeiten höchster Unsicherheit. Es kann besser werden, aber eben auch viel schlechter. So werden die Hohen Feiertage, so wie auch schon Pessach, für die meisten von uns anders sein, als wir es je erlebt haben.
Wie soll man sich in einer solchen Situation verhalten?
Zum einen scheint es mir, dass man die Option wählen sollte, die die geringsten Folgen für Leib und Leben haben.
Zum anderen gilt in unserer Tradition, dass bei Pikuach Nefesch, Lebensgefahr, alle bis auf drei Gebote, gebrochen werden müssen. Dies gilt auch für Sefek Pikuach Nefesch, also wenn über die Lebensgefahr eine gewisse Unsicherheit besteht. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass die jetzige halachisch als Sefek Pikuach Nefesch, zweifelhafte Lebensgefahr, zu verstehen ist. Hieraus ergibt sich, dass wenn Sie krank sind, Krankheitssymptome aufweisen, einer Risikogruppe angehören oder sich einfach nur unsicher fühlen, Sie sich nicht in zweifelhafte Gefahr begeben müssen. Auch müssen Sie deshalb kein schlechtes Gewissen haben, die etablierte Halacha, egal ob aus liberaler oder orthodoxer Sicht, ist auf Ihrer Seite!
Bitte bleiben Sie beim kleinsten Zweifel lieber zuhause! Dies gilt auch für das Fasten zu Jom Kippur!
In diesem Zusammenhang sei eine berühmte Geschichte des Rabbiners Israel Salanter uns als Beispiel vor Augen. Im Jahr 1848 bedrohte eine Choleraepidemie Wilna, und so ordnete Rabbi Salanter an, dass an jenem Jom Kippur, um sich selbst nicht noch mehr in Gefahr zu bringen, nicht gefastet werden dürfe. Nach einigen Berichten ging Rabbiner Salanter, da er fürchtete, dass sich die Menschen nicht an seine Anweisung halten würden, mit Wein und Kuchen in die Synagoge und macht vor aller Augen Kiddusch. Eindrucksvoller kann man wohl nicht unterstreichen, wie wichtig die Erhaltung des Lebens ist!
Versuchen Sie doch zuhause die Feiertage so festlich wie möglich zu feiern und zuhause zu beten. Ihr Rabbiner wird Ihnen sicherlich bei allen Fragen, die Sie haben, mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Möge der Ewige uns vor aller Krankheit und Ungemach immer beschützen, auf dass wir im kommenden Jahr unser Leben und unsere Feiertage, wie wir es gewohnt waren, wieder feiern können.
Ken j’hi razon
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein gebenschtes und vor allem gesundes neues Jahr 5781!
Ihr
Jonah Sievers
jüdisches berlin
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