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Behütet und selbständig im Alter
27.Februar 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde
Der Ambulante Pflegedienst im Seniorenzentrum ermöglicht preiswertes »Wohnen mit Service«
LBH, JWH, HSP – die Abkürzungen stehen für die drei Häuser, aus denen das Seniorenzentrum der Gemeinde in der Charlottenburger Dernburg-/Herbartstraße besteht: dem Leo-Baeck-Heim, einem reinen Senioren-Apartmenthaus ohne weiteren Service, dem Jeanette-Wolff-Heim für Betreutes Wohnen und dem Hermann-Strauss-Pflegeheim. Als das Pflegeheim vor gut einem Jahr vom Jüdischen Krankenhaus hierher verlegt wurde, war dies zugleich der Start für das längst geplante Projekt »Betreutes Wohnen «, das im (früher vollstationären) JWH eingerichtet wurde und am 1. Februar einjähriges Jubiläum gefeiert hat – bei Kaffee, Kuchen und Livemusik und mit vielen Gästen, von denen etliche die Gelegenheit nutzten und die Apartments besichtigten. Die haben nicht nur alle Bad, Küche, Einbauschränke im Flur und einen Balkon, sondern sie sind auch behindertengerecht und an der Eingangstür, im Bad und am Bett mit Notrufklingeln ausgerüstet, die rund um die Uhr im Betrieb sind. Während für das ›Wohnen‹ beim »Betreuten Wohnen« die Heimleitung des Seniorenzentrums zuständig ist, liegt das ›Betreuen‹ vor allem in der Hand des Ambulanten Pflegedienstes, des »Sozialwerks«, einer selbständig tätigen Tochtergesellschaft der Gemeinde. Der Pflegedienst, der 1997 mit drei Kräften (und drei Patienten) begann und heute 41 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, bietet im »Pflegeverbund« mit dem Seniorenzentrum eine sogenannte »aktive Nachtwache « als unentgeltliche Serviceleistung an. Das bedeutet, dass es nicht nur die 24-Stunden-Notklingel gibt, sondern dass auch reguläre pflegerische Leistungen, die in der Nacht notwendig sind, durchgeführt werden. Solch einen Service, analog einer privaten Nachtpflege, könnten sich die meisten »draußen« gar nicht leisten.
Für Ella Lerner (83), die erst seit zwei Wochen im JWH wohnt, ist die potentiell jederzeit »greifbare« Betreuung einer der Hauptgründe, warum sie hierher gezogen ist. »Falls was passiert, will ich wissen, dass gleich jemand da ist. Das Gefühl tut mir gut. Deswegen bin ich jetzt hier.« Außerdem »sind die Leute alle so nett und hilfsbereit«, fügt sie hinzu, gönnt sich noch eins von den wirklich köstlichen Geburtstagstörtchen und flirtet weiter mit den beiden ehemaligen Polizisten, die ebenfalls zum Einjährigen eingeladen wurden. Ja, auch die 24-Stunden- Pförtnerbereitschaft und die Polizei vor der Tür tragen zum Sicherheitsgefühl der Bewohner bei, vielleicht auch der Umstand, dass man mit jüdischen Menschen zusammen ist und etliche Bewohner bereits von früher kennt. Wie Helga Kaiser (85), die seit August letzten Jahres im JWH wohnt und sich ihr Apartment urgemütlich eingerichtet hat. Als langjährige Leiterin des jüdischen Kindergartens kennt sie »Hinz und Kunz« und wird von vielen gekannt – früher ging Sigi, die Heimleiterin, in ihren Kindergarten, heute ist es halt umgekehrt, und Sigi nimmt Helga an die Hand.
Ein Gemeindemitglied, das bei der Jubiläumsfeier einige der geräumigen 1- und 2-Zimmer-Apartments besichtigte, fand es auch für sich selbst beruhigend, dass er seinen Schwiegervater, der jetzt noch am anderen Ende der Stadt wohnt und hier bald einziehen soll, dann in sicheren Händen weiß. Außerdem ist das »natürlich auch ein Kostenfaktor«, sagt er. »Die Wohnung hier wird viel preiswerter als eine stationäre Einrichtung und Opa hat sein eigenes Reich, er kann seine geliebten Bücher mitbringen und sogar auf dem Balkon sitzen«.
Das Jeanette-Wolff-Heim ist mit seinem »Betreuten Wohnen« so organisiert, dass jeder Bewohner bis zuletzt in seiner Wohnung und seiner vertrauten Umgebung bleiben kann und bei Verschlechterung seines Zustandes eben nicht umziehen muss. Darum kümmert sich der Ambulante Pflegedienst, der darüber hinaus auch in der ganzen Stadt zugange ist – überall dort eben, wo Gemeindemitglieder wohnen, von Ahrensfelde bis Zehlendorf. Die Mitarbeiterinnen bereiten Mahlzeiten zu, pflegen, beraten (auch GEMEINDE · ОБЩИНА über die Finanzierungsmöglichkeit einzelner Leistungen), betreuen Patienten unter anderem nach ambulanten Operationen, vermitteln Hilfsmittel wie Pflegebetten oder Gehhilfen und vertreten auch pflegende Angehörige, wenn die mal in den Urlaub fahren wollen. Das ganzheitliche Konzept des Sozialwerks bezieht neben der Pflege auch die Sozial- und Migrantenarbeit mit ein. Verständigungsprobleme gibt es dabei keine; der Sozialdienst hat deutsch-, russisch-, iwrit-, englisch-, spanisch-, französisch-, polnisch- und serbokroatischsprachige Pflegekräfte. Neben Angeboten, wie sie es in den meisten Seniorenheimen gibt – Gedächtnistraining, Gymnastik, Konzerte, Vorträge, Ausflüge –, bietet das jüdische Seniorenzentrum neben seiner günstigen Lage (der Bus zum Zoo oder Ku‘damm hält gleich um die Ecke, der Lietzensee ist nur ein paar Schritte entfernt) natürlich zusätzlich originär Jüdisches. Zum einen werden alle jüdischen Feiertage mit den Bewohnern der drei Häuser begangen. Dann steht die Synagoge in der Herbartstraße zur Verfügung, zu der die Mitarbeiterinnen des Pflegedienstes die Bewohner auf Wunsch begleiten. Und bereits im Mietpreis inbegriffen ist auch der wöchentliche Kabbalat Schabbat mit Rabbiner und Kantor sowie einem dreigängigen »kosher Style«-Menü. Vom Restaurationsbetrieb im Haus können die Bewohner, wenn sie nicht selbst kochen wollen, auch ihr tägliches Frühstück, Mittagessen oder Abendbrot dazu kaufen. Gleiches gilt für den Wasch- oder den Raumreinigungsdienst, die zusätzlich »gebucht« werden können. All diese Service- Bausteine, vor allem aber die Sozialstation direkt im Haus, tragen dazu bei, auch im Alter selbstbestimmt, selbständig und auch noch jüdisch leben zu können, selbst wenn man nicht mehr auf allen Gebieten ganz »fit« ist.
Judith Kessler
jüdisches berlin
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