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Beginne mit dem Mann im Spiegel
01.September 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Soziales
Robert Berman über seine Halachic Organ Donor Society HODS, die Juden darin bestärkt, lebensrettende Organe zu spenden – für Juden und Nichtjuden.
Die Beziehung zwischen Deutschen und Juden ist für ewig auf grausame Weise verbunden mit der Schoa; jeder reagiert darauf auf seine eigene Art. Die Deutschen haben große Mühen unternommen, aus ihrer Geschichte zu lernen, in der Hoffnung, dass sie sich nie wiederhole. Eine der vielen Lektionen, die sie gelernt haben, besagt, dass es ein Fehler ist, alle(s) über einen Kamm zu scheren – religiös, rassistisch oder auf eine andere Weise. Sie haben gelernt, dass jedes menschliche Wesen wertvoll ist.
Mir als Jude hingegen, ausgebildet in einer orthodoxen Schule in New York, wurde im Kontext des Holocaust nicht gelehrt, was ich über Juden, sondern was ich über Gojim lernen kann. Mir wurde beigebracht, dass diese Katastrophe ein 2000 Jahre altes jüdisches Sprichwort bestätigt: Kratze irgendeinen Nichtjuden noch so sanft und unter seiner/ihrer Haut lugt ein Antisemit hervor. Ich habe gelernt, dass Stereotype zulässig und gültig, dass alle Deutschen Nazis und alle Polen Antisemiten sind und dass Juden mit Heugabeln zu jagen, ein litauisches Hobby ist.
Viele Juden haben das Gefühl, die Deutschen hätten nicht genug getan, die Tragödie der Schoa aufzuarbeiten und das Teuflische an religiösem Rassismus zu verstehen. Angesichts des Schrecklichen, dass sie Juden angetan haben, ist das verständlich und möglicherweise werden Juden niemals der Ansicht sein, dass die Deutschen genug getan haben. Aber während die Deutschen noch immer im Prozess der Selbstreflexion stecken, frage ich mich, haben wir Juden jemals damit begonnen?
Auf eine Art haben wir den Umstand, dass wir Opfer eines der größten Beispiele von Fanatismus in der Geschichte waren, genutzt, um uns selbst einen Freifahrtschein in Sachen mangelnder Selbstreflexion hinsichtlich unseres eigenen Rassismus zu geben. Aber nur, weil wir damals eine von der Majorität gejagte Minorität waren, heißt das nicht, dass wir nicht empfänglich dafür wären, Täter von Ingroup- und Outgroup-Dynamiken zu werden, weder im Kleinen noch, eines Tages, auf nationaler Ebene.
Insbesondere weil wir die Opfer eines solchen Rassismus waren, sollten wir uns wie obsessiv verpflichtet fühlen, ihn aus uns selbst auszulöschen und gleichzeitig an andere zu appellieren, die gleiche innere Arbeit zu tun – wie in Michael Jacksons Song: »If you want to change the world, start with the man in the mirror« – »Wenn du die Welt verändern willst, beginne mit dem Mann im Spiegel«.
Ich führe eine Non-Profit-Organisation, die Juden darin bestärkt, Organe zu spenden – für die breite Öffentlichkeit, wer auch immer auf der Warteliste steht, Jude oder Nichtjude. Einen Organspendeausweis zu haben kann acht Leben retten. Oft, wenn ich referiere, höre ich Juden, die sagen, sie werden ihre Organe spenden, aber nur wenn sie festlegen können, dass diese nicht an Nichtjuden gehen. Auch wenn diese Aussage auf den ersten Blick schockierend ist, ist sie verständlich. Nach 2000 Jahren der Verfolgung durch Gojim – die in der Abschlachtung von sechs Millionen Juden gipfelte – ist es nur natürlich, dass unser kollektives Bewusstsein uns ermahnt, den »Goj in die Mangel zu nehmen«, zum Teil aus Rache, zum Teil als Überlebensreflex.
Doch die Beweggründe zu verstehen rechtfertigt das Verhalten nicht. Organe von Nichtjuden zu nehmen, wenn wir sie brauchen, aber keine zu spenden, wenn wir danach gefragt werden, ist ungerecht und unethisch. Und zu guter Letzt ist es sicherlich keine Position, die wir als Mitglieder der Gesellschaft anstreben sollten.
Unlängst war ich in Berlin, um vor der dortigen jüdischen Gemeinschaft über die Wichtigkeit von Organspenden zu sprechen. Auch hier gab es Einwände dagegen, dass Organe an Nichtjuden gehen könnten. Angesichts der Geschichte war diese Reaktion zu erwarten. Aber diese Meinung ist wohl nicht einfach nur ein Reflex auf den Antisemitismus.
Sie könnte auf bestimmten anti-nichtjüdischen Kommentaren im Talmud basieren. Da hier kein Platz ist, die historische Meinung des Talmud bezüglich Nichtjuden und Heiden zu erklären, begnügen wir uns mit der Feststellung, dass es viele orthodoxe rabbinische Auslegungen gibt, die einen allgemeinen Ansatz zu lebensrettenden Maßnahmen (wie Organspenden) von Juden an andere Menschen unterschiedlichsten Glaubens favorisieren.
Ich hoffe, dass die deutschen Juden diese humane Sicht auf die Dinge annehmen werden, die in der Tat mit ihrer Religion vereinbar ist. Ich erwarte noch mehr. Es war Deutschland, wo die diskriminierenden Nürnberger Rassengesetze gegen uns verordnet wurden. Deutsche Juden sollten ganz besonders allergisch auf religiöse Diskriminierung reagieren, ob verschlüsselt oder nicht.
Ich lebe in Israel, wo viele Juden sich noch immer weigern, deutsche Produkte zu kaufen, getrieben davon, den heutigen Deutschen irgendwie die Schuld an den Sünden ihrer Vorfahren zu geben. Aber wenn christliche Antisemiten behaupten, dass alle Juden bis heute des Mordes an Jesus schuldig sind, ist eines unserer Gegenargumente, dass – selbst wenn Juden Jesus an die Römer verraten hätten – kein heute lebender Jude für die Taten seiner Vorfahren verantwortlich gemacht werden sollte. Warum sollte dieses Argument nicht auch für die Deutschen gelten?
Wo bringt uns das Ganze hin? Zu erklären, dass wir Juden aufgrund unserer Negativeinstellung gegenüber Nichtjuden irgendwie mitschuldig am Holocaust sind? Das wäre so hässlich wie unwahr. Keine negative Ingroup/Outgroup-Unterscheidung kann Massenmord rechtfertigen. Zu behaupten, Juden wären rassistischer und bigotter als Antisemiten ist genauso falsch: Juden haben niemals Gojim durch die Straßen gejagt oder Konzentrationslager gebaut, um sie auszurotten.
Gibt es bei Juden also Raum für Verbesserungen? Sind Juden, wie jede andere Gruppe, einfach ein wenig rassistisch? Oder müssen wir uns nicht in irgendeiner Art und Weise bemühen, uns zu integrieren und unsere Mitgliedschaft in der Brüderschaft der menschlichen Rassen einzufordern? Können wir Juden etwas aus dem Holocaust lernen, das uns helfen kann, bessere Menschen zu werden? Die Antwort ist ein lautes JA.
Ich hoffe, auch die Juden in Deutschland beginnen, den Wert aller menschlichen Wesen zu begreifen, ungeachtet ihrer nationalen Geschichte, und lassen sich für Organspenden registrieren, auch wenn die Empfänger der lebensrettenden Organe Menschen sein könnten, die nicht zwangsläufig Juden sind.
Näher informieren und registrieren kann man sich unter www.organspende-info.de, www.hods.org .
jüdisches berlin
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