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Antisemitismus-Report Berlin 2019
01.Juni 2020 | Beiträge – jüdisches berlin | Gesellschaft
Als im jb (Nr. 215, 6/2019, S. 16 f.) vor einem Jahr über die antisemitischen Vorfälle 2018 berichtet wurde, schloss der Beitrag mit: »Bislang kam es noch nicht zu Tätlichkeiten, die lebensbedrohlich gewesen sind. Doch ob dem so bleibt, muss als fraglich angesehen werden.« Zu unserem Entsetzen wurde diese Einschätzung durch den Anschlag auf die Hallenser Synagoge am Jom Kippur, am 9. Oktober 2019, Realität. Dieser Anschlag hat auch uns ins Mark getroffen, nicht zuletzt, weil Mitglieder unserer Gemeinde dort waren.
Zuvor verunsicherte uns der versuchte Messerangriff auf die Synagoge in der Oranienburger Straße am 4.10., vor allem, weil der Täter aus uns nicht nachvollziehbaren Gründen am nächsten Tag auf freien Fuß gesetzt wurde.
Zwar erfasste die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin) 2019 insgesamt 881 antisemitische Vorfälle, was in der Summe einem Rückgang um 19% gegenüber 2018 gleichkommt. Bei genauer Analyse ist aber festzuhalten, dass jüdische Personen in deren persönlichem Umfeld angegriffen wurden. Sei es beim Spazierengehen oder auf dem Heimweg von der Synagoge. Am bekanntesten ist der antisemitische Übergriff auf unseren Gemeinderabbiner Yehuda Teichtal im Juli 2019. RIAS Berlin-Projektleiter Benjamin Steinitz erläuterte grundsätzlich: »Weiterhin beobachten wir, dass Täter*innen auf die bloße Anwesenheit hebräischer Sprache, jüdischer Symbole oder religiös konnotierter Kleidung antisemitisch und potentiell gewalttätig reagieren.« Hier sei an die Iwrith sprechenden jungen Menschen erinnert, die nach einem Diskothek-Besuch auf dem Warschauer Platz angegriffen wurden.
Von den antisemitischen Vorfällen, die nicht im Internet passieren, geschehen rund 1/3 im Bezirk Mitte und ein weiteres Sechstel im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Danach folgen, mit jeweils ca. 10%, die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln und Pankow. Gerade da, wo es viele jüdische Einrichtungen gibt und wo viele jüdische Menschen leben, passiert am meisten.
Was sich bereits 2019 andeutete und in den letzten Wochen vermehrt festzustellen war: antisemitische Verschwörungsmythen werden nicht nur im Internet, sondern auch auf Demonstrationen immer häufiger kolportiert.
Angesichts der aktuellen Entwicklungen stehen wir vor neuen Herausforderungen. Die irrationalen Proteste gegen die Corona-Präventionsmaßnahmen werden von Antisemiten getragen, die sich nicht nur als Opfer stilisieren, sondern vor allem eine ekelhafte Bagatellisierung der Shoah betreiben. Sie suchen Sündenböcke, sie suchen Schuldige, und nicht nach Lösungen. Sie radikalisieren die Gesellschaft und jede Radikalisierung der Gesellschaft, jedes Schwarz-Weiß-Denken, wird von Antisemitismus begleitet.
In der Vergangenheit wurde bei antisemitischen Vorfällen seitens offizieller Stellen oft von »Einzeltätern« geredet, als ob der Hass vom Himmel fallen würde. Hier wäre eine sorgfältigere Einordnung wünschenswert, denn Antisemitismus kommt nicht aus dem Nichts, sondern ist – wie wir angesichts der Vorfälle der letzten Wochen sehen – im gesellschaftlichen Umfeld eingebettet.
Sigmount Königsberg
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