Beitragssuche
An allem sind die Juden Schuld. Auch an Corona
01.Mai 2020 | Beiträge – jüdisches berlin | Gesellschaft
Vor knapp 90 Jahren schrieb Friedrich Hollaender das zynisch-satirische Couplet »An allem sind die Juden schuld!«, in dem er zur Melodie einer Arie aus »Carmen« die gängigen antisemitischen Klischees ad absurdum führte. Seit Anfang des Jahres vergeht kein Tag, an dem man dieses Lied nicht anstimmen könnte. Wobei man statt »Juden« von »Zionisten« spricht – aber das ist nur Semantik. Letzten Endes sind Juden gemeint.
Sobald die Gesellschaft mit einer Krise konfrontiert wird, wenn bisherige Sicherheiten in Frage gestellt werden, so haben die Mythen Konjunktur, die einfache »Erklärungen« anbieten, in denen die Welt in schwarz und weiß, gut und böse unterteilt wird.
Unsere Geschichte ist mit solchen Mythen durchsetzt, wie im Mittelalter, als Juden beschuldigt wurden, Brunnen vergiftet und so die Pest ausgelöst zu haben.
Einfache Wahrheiten, klare Feindbilder, in unsicheren Zeiten mag das für viele reizvoll sein, um Sündenböcke stigmatisieren zu können, es hat aber mit der Realität nichts zu tun und dient in erster Linie zur Ablenkung von eigenen Versäumnissen.
Was wird uns heute geboten? Alles alter Wein in neuen Schläuchen.
Zum Beispiel wurde in türkischen Medien kolportiert, Corona sei eine von Zionisten verbreitete Krankheit zur Reduktion der Weltbevölkerung oder ein amerikanisch-jüdisches Komplott, das als Biowaffe und Machtinstrument der zionistischen Lobby eingesetzt wird. Im iranischen Fernsehen Press TV wurde sogar behauptet, dass »zionistische Elemente einen tödlicheren Stamm des Coronavirus gegen den Iran entwickelt haben«.
Der jordanische Islamgelehrte Ahmad Al-Shahrouri behauptete gar in Yarmouk TV (ein Fernsehsender, der der Muslimbruderschaft zuzurechnen ist), dass »Juden schlimmer als Coronavirus, AIDS, Cholera und jedes andere Übel der Welt seien«. Dieser Hetzer »empfahl« als Abhilfe den »Dschihad zur Befreiung der Al-Aqsa-Moschee«.
In Deutschland fabulieren antisemitische Reichsbürger, dass es keine Viren gäbe oder dass Corona nicht schlimmer als eine Grippe sei und die Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung nur dazu dienten, »BRD-Gegner« wegzuschließen. Und an diesen Maßnahmen sei angeblich George Soros (hier stellvertretend für »die Juden«) beteiligt oder er sei für das Virus verantwortlich. Auch protofaschistische Parteien z.B. in Ungarn und Polen bedienen sich gerne dieser antisemitischen Legende.
Überall auf der Welt sprießen die Mythen nur so. Zum Beispiel wurde die Legende verbreitet, Sars-CoV-2 sei von Israel gezielt gegen China eingesetzt worden, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Zudem gab es Aufrufe, wonach Infizierte gezielt Juden durch anhusten/anspucken anstecken sollen.
Man solle sich auch nicht der Illusion hingeben, dass mit einem Ende die Corona-Krise die Verschwörungsmythen verstummen werden. Angesichts der bevorstehenden Rezession wird bereits das Gerücht verbreitet, Juden würden von ihr profitieren (auch nichts Neues).
Antisemitismus gehört zur kulturellen DNA Europas, denn er ist mehr als ein Vorurteil, als Diskriminierung. Es ist, und dies zeigt sich dieser Tage sehr deutlich, sehr einfach, der mittelalterlichen Hetze des Judenhasses eine neue Verpackung zu geben. Ob diese alt-neue Judenfeindlichkeit und die Virusinfektion eingedämmt werden, hängt sehr von den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung ab. Für uns ist es nicht die Zeit, die Hände in den Schoß zu legen, sondern aktiv dafür zu sorgen, dass sowohl Antisemitismus als auch die Pandemie besiegt werden.
Sigmount Königsberg
jüdisches berlin
2012_24 Alle Ausgaben
- Dezember 2024
- November 2024
- Oktober 2024
- September 2024
- Juni 2024
- Mai 2024
- April 2024
- März 2024
- Februar 2024
- Januar 2024
- Dezember 2023
- November 2023
- Oktober 2023
- September 2023
- Juni 2023
- Mai 2023
- April 2023
- März 2023
- Februar 2023
- Januar 2023
- Dezember 2022
- November 2022
- Oktober 2022
- September 2022
- Juni 2022
- Mai 2022
- April 2022
- März 2022
- Februar 2022
- Dezember 2021
- November 2021
- Oktober 2021
- September 2021
- Juni 2021
- Mai 2021
- April 2021
- Januar 2018
- März 2021
- Februar 2021
- Mai 2020
- Januar 2021
- Dezember 2020
- November 2020
- September 2020
- Oktober 2020
- Juni 2020
- April 2020
- März 2020
- Februar 2020
- Januar 2020
- September 2019
- November 2019
- Juni 2019
- Mai 2019
- April 2019
- März 2019
- Februar 2019
- Dezember 2018
- Januar 2019
- Mai 2015
- November 2018
- Oktober 2018
- September 2018
- Juni 2018
- Mai 2018
- April 2015
- März 2015
- März 2018
- Februar 2017
- Februar 2018
- fileadmin/redaktion/jb197_okt2017.pdf
- September 2017
- Juni 2017
- April 2017
- November 2017
- Januar 2017
- Dezember 2016
- November 2016
- Oktober 2016
- September 2016
- Juni 2016
- Mai 2016
- April 2016
- März 2016
- Februar 2016
- Januar 2016
- Dezember 2017
- Dezember 2015
- November 2015
- September 2015
- Juni 2015
- Oktober 2015
- Februar 2015
- Januar 2015
- Dezember 2014
- November 2014
- Januar 2022
- Oktober 2014
- September 2014
- Juni 2014
- Mai 2014
- März 2014
- Februar 2014
- Januar 2014
- Dezember 2013
- November 2013
- Oktober 2013
- Juni 2013
- Mai 2013
- April 2013
- März 2013
- Februar 2013
- Januar 2013
- Dezember 2012
- November 2012
- Oktober 2012
- September 2012
- Juni 2012
- Mai 2012
- April 2012
- März 2012
- Februar 2012
- Januar 2012